Das Portemonnaie oder den Schlüssel zu Hause zu vergessen, das war einmal, wird man wohl bald sagen. Ganz nach dem Motto: Smartphone dabei, alles dabei. Denn mit den Apps darauf gibt es für die meisten Probleme kleine Helfer, auch im Geschäftsumfeld. Mobile Apps – sprich: Software, entwickelt für mobile Geräte – sind Medium, Kanal und Instrument zugleich. Sie transportieren Informationen, lassen in Gruppen kommunizieren oder führen die Benutzer durch die (virtuelle und reale) Welt.
Geburtsstunde war 2008, Apple lancierte das iPhone. Und nutzte Erfahrungen und Infrastruktur des anfangs Jahrtausend gegründeten Musikdownload-Dienstes iTunes, um daraus einen App Store zu formen, eine Vermarktungs- und Vertriebsplattform, die Entwicklern ermöglicht, ihre Apps einem weltweiten Publikum bereit zu stellen. Apples Grösse verhalf den Entwicklern zu raschem Erfolg, was wiederum mehr Entwickler anzog – die App Economy ward geboren.
Android verdrängt iOS
Die anfängliche Dominanz von Apples Betriebssystem iOS, das auf iPhones und iPads läuft, wurde jedoch über die letzten Jahre durch Android gebrochen, das Betriebssystem des US-Internetgiganten Google. Dieser hat mit dem Play Store nachgezogen und das Feld von hinten aufgerollt. Mittlerweile haben sich gemäss dem Statistikportal «Statista» die globalen Marktanteile der Betriebssysteme markant zugunsten von Android verschoben: Im Jahr 2014 lief auf 82 Prozent der mobilen Geräte Android, iOS war noch auf 14 Prozent installiert. Der kleine Rest teilt sich auf Windows Phone, Blackberry OS und andere auf.
Apple verdient mit dem App Store trotzdem mit Abstand am meisten. Letztes Jahr waren es gemäss Mitteilungen der Anbieter 15 Milliarden Dollar Umsatz, 10 für die Entwickler und 5 für Apple. Zum Vergleich: Google machte mit seinem Play Store «nur» 4 Milliarden Dollar Umsatz und verdiente davon 30 Prozent, also 1,2 Milliarden Dollar. Ein Grund für diese Diskrepanz zwischen Marktanteil und Umsatz ist unter anderem die Kaufkraft der Benutzer – Android läuft meistens auf günstigeren Smartphones als iOS. Zudem muss bei Apple einmalig eine Kreditkarte hinterlegt werden für den Download von Apps – auch wenn sie gratis sind (man kann sie später wieder entfernen, was aber die wenigsten machen). Dies erhöht die Conversion Rate im App Store vermutlich markant.
Bis ins Jahr 2012 war iOS in der Schweiz noch das dominante Betriebssystem. 2013 hat Android überholt und ist heute mit 50 Prozent Marktleader, wobei iOS immer noch 42 Prozent ausweist. Hauptgründe für den Unterschied der globalen und Schweizer Marktanteile sind die Kaufkraft der Schweizer Bevölkerung und die Marktdominanz von Swisscom, das Apple-Produkte sehr prominent vermarktet.
Interessant ist auch, dass viele Kunden im Auftragsgeschäft weiterhin auf iOS setzen. Wenn es aufgrund der Entwicklungskosten darauf ankommt, ist Android meistens zweite Priorität. Trotz der schwachen Marktanteile der restlichen mobilen Betriebssysteme, gibt es aber auch viele App-Entwickler, die ebenfalls für Windows Phone und andere Betriebssysteme entwickeln. Meistens sind das Kunden, die eine möglichst grosse Abdeckung der Benutzer-Geräte anstreben oder bei denen etwa die Mitarbeitenden mit einheitlichen Geräten ausgestattet sind.
Sinnfrage statt Spielbudget
Wenn man in der Schweiz im Jahr 2010 die ersten Schritte als Anbieter in der App Economy nahm, galten Apps noch als neu, als unerforscht. Es wurde viel ausprobiert mit «Spielbudgets» grösserer Unternehmen, die auf den Zug aufgesprungen waren. Eine App zu haben, weil man zu den «Early Adopters» gehören wollte, war damals sicher ein wichtiges Motiv. Meistens standen dahinter marketingorientierte Bereiche und Mitarbeitende, die innovativ sein und Neues wagen wollten. Entsprechend stiegen die Umsätze der Entwickler-Unternehmen rasch.
Heute sind die Unternehmen vorsichtiger geworden und beschäftigen sich intensiver mit dem tatsächlichen Nutzen einer App. Trotzdem spüren Entwickler die nach wie vor wachsende Nachfrage nach Apps deutlich. Denn heute überlegen sich viele KMU, ihr Geschäft mit mobilen Kanälen zu erweitern. Wobei diese nicht dieselben Möglichkeiten wie Grossunternehmen haben, was die durchschnittlichen Budgets und Auftragsvolumen der App-Entwickler wiederum sinken lässt.
Neben der Nachfrage nach Apps steigt aber auch das Angebot. Es gibt einige wenige App-Entwickler, die mehr als zehn Mitarbeitende beschäftigen: Rund 75 Prozent sind kleiner, bestätigt eine Marktstudie der Swiss Mobile Association (Smama) und der Uni St. Gallen. Hinzu kommen mittlerweile viele hausinterne Entwickler grosser Unternehmen, beispielsweise bei SBB und Swisscom, Online-Agenturen und mittelständische Software-Unternehmen, die ihr Glück ebenfalls in diesem jungen Geschäftsfeld suchen. Auch aufgrund dieses Strukturwandels stehen die Preise in der Branche seit einiger Zeit unter Druck, der Wettbewerb steigt trotz wachsender Nachfrage.
Goldgräber- oder Katerstimmung?
Klar ist auf jeden Fall: Mit eigenen Apps lässt sich nur sehr schwer Geld verdienen. Nach dem Prinzip «The Winner takes it all» sind es einige wenige Goldgräber, die sich die grossen Umsätze aufteilen. Die Top-Apps dienen als profitable Werbefläche (beispielsweise ÖV-Tickets in der SBB Mobile App) und/oder als Vertriebskanal (Migros, «20 Minuten», «Blick»), bestätigt die Smama-Marktstudie. Der Rest verdient praktisch nichts, auch weil Gratis-Apps sehr beliebt sind. Die Entwicklungs- und Vermarktungskosten können dabei beliebig in die Höhe getrieben werden, das Risiko von eigens vermarkteten Apps bleibt hoch. Um global erfolgreich zu sein, ist anzunehmen, dass es eine noch grössere Portion Glück braucht.
Studien aus dem Ausland wie etwa von Gigaom Research im Jahr 2014 zeigen, dass App-Entwickler im EU-Raum zunehmend und mehrheitlich mit Auftragsarbeiten ihr Geld verdienen. Dies bestätigen auch die Schweizer Zahlen der Smama-Marktstudie 2015: Rund drei Viertel der professionellen App-Entwickler in der Schweiz machen ihren Umsatz mit Kundenaufträgen.
Interessant wäre zu wissen, wie das Wachstum im Auftragsgeschäft aufgeteilt ist nach der Art der Anwender. Wachsen die sogenannten B2E-Apps (Business to Employee – Apps für Mitarbeitende im Geschäftsumfeld) schon stärker als die B2C-Apps (Business to Consumer – Apps für Endkonsumenten)? Dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen, es ist aber anzunehmen, dass die B2E-Apps in einem früheren Stadium des Marktlebenszyklus’ sind. Diese Betrachtung führt unweigerlich zu Fragen, wie lange der Markt noch wächst und die Kuchenstücke verteilt werden. Wie oben beschrieben, wächst die Menge an Anbietern, wodurch die Annahme nahe liegt, dass es eher früher als später zu einer Marktkonsolidierung kommen wird.
Chancen für Apps im Geschäftsumfeld
Nebst den Klassikern wie Mail, Kalender oder Dokumentenverwaltung, die auch im Geschäftsalltag Anwendung finden, sind die Branchen Verkauf, Vertrieb, Logistik oder Transport zunehmend im Fokus der mobilen Lösungen. Arbeitsprozesse, die per se schon mobil funktionieren, wozu beispielsweise der Aussendienst oder die Logistik zählen, haben augenfälliges Potential zur Verbesserung mit mobilen Technologien: Die Versicherungsvertreterin präsentiert Produkte und schliesst Verträge mittels iPad beim Kunden vor Ort, der Lastwagenfahrer nutzt das Smartphone für die Auftragsbestätigung aus seinem Fahrzeug und für die Navigation im Terminal und der Mechaniker prüft seine Teile mit der Checkliste auf dem Tablet, das mit der Datenbank der Qualitätssicherung verbunden ist.
Letztlich geht es im Geschäftsumfeld stets darum, direkt oder indirekt Erträge zu steigern und/oder Kosten zu senken. Mehrwerte für das Kerngeschäft, zusätzliche Einnahmekanäle, verbesserte oder gar neue Prozesse sind zu finden. Eine Mobile-
Strategie kann hierbei durchaus zielführend sein, wenn sie sich an den Kunden- oder Mitarbeiterbedürfnissen orientiert und Massnahmen via konkrete Businessziele ergriffen werden. Resultat sollte eine Strategie mit Übersicht über Nutzen, Kosten und Zeitplan sein. Dabei kann es hilfreich sein, Expertise in Form von Beratung und Schulungen beizuziehen. Die grösseren Investitionskosten fallen erst in der darauf folgenden Entwicklungsphase an (ein Überblick über Schweizer App-Entwickler und Informationen, worauf man bei der Auswahl achten sollte, finden sich ab Seite 49).
Blick in die Zukunft
Wie sich das Feld der Mobile Apps in den nächsten Jahren entwickeln wird, ist nicht abschliessend zu beurteilen. Auszugehen ist aber durchaus davon, dass uns die Themen Mobile Payment sowie Marketing- und Kundenbindungsprogramme in näherer Zukunft begleiten werden. Smartphones, Wearables und allgemein das Internet of Things helfen beispielsweise das Portemonnaie und physische Kundenkarten zu verdrängen oder Kunden zu navigieren. Mit Apps für Wearables öffnet sich zudem ein neues Feld, das neben den schon verfügbaren auch noch ungeahnte Möglichkeiten bietet – es beginnt mit einfachen Dingen wie mit der smarten Uhr Schritte zu zählen oder den Fahrplan der nächsten Haltestelle abrufen zu können. Und es geht weiter mit dem Durchbruch einer Brille, die Handwerkern hilft, ihren Kunden Fernwartung zu ermöglichen («Nun müssen Sie durch dieses Rohr schauen und kontrollieren, ob es nicht verstopft ist...»).
Inwieweit sich die Technologie für die Herstellung von Apps entwickelt, wird sich auch noch zeigen: Ist native Software für komplexere Apps nötig oder könnten hybride Apps oder gar mobiles Web die Bedürfnisse besser befriedigen (mehr dazu auf Seite 42)? Es bleibt spannend.
Der Autor
Beni Hirt ist CEO und Partner von Swiss Digital. Das Berner Technologie-Start-up ist Systemintegrator für Dienstleistungen und Produkte im Bereich Digital & Mobile. Hirt hat fünf Jahre Erfahrung als Unternehmer in der App-Economy. Er hat mit vielen KMU und Grosskunden wie Swisscom, SBB und Roche zusammengearbeitet.
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