cnt
Die Zukunftsmärkte der digitalen Gesellschaft
Quelle: get_credit/FlickR

Die Zukunftsmärkte der digitalen Gesellschaft

Von Joël Luc Cachelin

Die Digitalisierung zerstört viele Arbeitsplätze, schafft aber durch neue Bedürfnisse auch neue Märkte und Jobs. Um die Zukunftsmärkte zu erschliessen, sind Unternehmen und Staaten aufgefordert, eine digitale Strategie zu entwickeln.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2015/04

     

Unbestritten wird die Digitalisierung in den nächsten Jahren zahlreiche Jobs vernichten. Grund dafür sind letztlich die Kosten- und Leistungsvorteile der Maschinen gegenüber uns Menschen. Doch die Digitalisierung schafft auch neue Bedürfnisse und damit neue Märkte. Acht Thesen sollen dies illustrieren:
Vernetzung: Im Kern der Digitalisierung geht es um die Erhöhung der sozialen, technischen und ökonomischen Vernetzung. Zentral sind die Nachfolgegeräte des Smartphones, deren Clouds und Applikationen.
Identität: Die Märkte der Identität umfassen alle Produkte und Dienstleistungen, mit denen wir an unserem Selbstverständnis arbeiten. Unser Selbst hat einen körperlichen, geistigen, emotionalen und seelischen Aspekt.

Intensität: In der hyperdigitalen Multioptionsgesellschaft verwirklichen wir uns mit verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Kontexten an mehreren Orten. Das ist nur möglich, wenn die Möglichkeiten sichtbar, erreichbar und bewertbar sind.
Einfachheit: Wir sehnen uns nach einem einfachen und sicheren Austausch von Daten, Gefühlen, Geld und Gütern. Die Interaktion mit Mitmenschen, Unternehmen und Behörden soll schnittstellenfrei, zeit- und ressourcenschonend sein.
New Management: Die Digitalisierung verlangt eine hohe Anpassungsfähigkeit sowie das Übersetzen von Kontroversen und Big Data in Lernprozesse. Führungs- und Managementverständnisse verändern sich.

Recycling: Ohne Recycling gehen Energie und Rohstoffe dem Ende zu. Die Zukunft verlangt recycelbare Hardware, Beratungsleistungen und digitale Applikationen, um Abfälle zu verwerten und Stoffkreisläufe zu schliessen.
Sicherheit: Durch Cyberterror, Datenklau und Identitätsdiebstahl häufen sich die Risiken im digitalen Raum. Sicherheit wird durch Kultur ebenso vermittelt wie durch Prävention im Bereich der Gesundheit, Bildung, Versicherung und Vorsorge.
Offliner: Je digitaler die Welt, desto mehr Widerstand regt sich gegen eine fremdbestimmte Digitalisierung. Zentrale Bedürfnisse der Offliner sind technologiefreie Momente, Dezentralisierung, Entschleunigung und Datenschutz.

Die Managementaufgaben


Die digitale Wirtschaft ist von einer hohen Geschwindigkeit der Veränderung geprägt – besonders, wenn die Gefahr disruputiver Veränderungen besteht. Diese drohen, wenn bisher zentral erbrachte Leistungen durch das Internet dezentralisiert werden, Amateure und Crowds an die Stelle von Experten treten, Intermediäre eliminiert oder das Internet neue Mittel der Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung stellt. Derselbe Druck tritt bei evolutionären Veränderungen auf, insbesondere wenn durch Netzwerkeffekte Quasi-Monopole entstehen und Margen gegen Null tendieren.
Will ein Unternehmen die Digitalisierung mitmachen, kommt es nicht darum herum, alle Prozesse radikal zu digitalisieren. Das ist das Eintrittsticket in die Wirtschaft der digitalen Gesellschaft. Um Konkurrenz durch neue Wettbewerber zu verhindern, sollte dies rasch passieren. Durch die Digitalisierung der Prozesse verändert sich das unternehmerische Innenleben. Dazu gehört die Art und Weise, wie die veränderte Wertschöpfung erarbeitet wird, wie man managt und führt. Eine Digitalisierungsstrategie zeigt auf, wie man in Bezug auf Arbeitsumgebung, Hardware, Software, die Kompetenzen der Mitarbeitenden sowie Unternehmenskultur auf die Digitalisierung reagieren will.

Um die nötige Geschwindigkeit mitzugehen, sehen sich Unternehmen mit der Versuchung konfrontiert, einen Teil ihrer Belegschaft abzuspalten. Sie hoffen so disruptiven Veränderungen besser begegnen oder diese aktiv auslösen zu können. Andere versuchen im Sinne der Diversität verschiedene Tempi zu integrieren. Gleichzeitig will man die Folgewirkungen der Digitalisierung abfedern: das Multitasking, die Filterbubble, oder die Entgrenzung der Arbeit. Offline-Zonen setzen einen Kontrapunkt – durch Rituale, WIFI-freie Zonen oder bewusstes Entschleunigen.
Wenn die Belegschaft eines Unternehmens zunehmend Maschinen – also Roboter, Algorithmen, Automaten und Drohnen – umfasst, braucht es eine integrierte Betrachtungsweise von menschlicher und maschineller Arbeitskraft. Eine stärkere Integration von HR und IT verbessert das Risikomanagement und begünstigt eine ganzheitliche Investitionsplanung. Je digitaler die Welt wird, desto mehr stellt sich die Frage, ob man in Human- oder Maschinenkapital investiert, also die IT optimiert oder die Mitarbeitenden entwickelt.

Die Investitionen der Gesellschaft

Die digitale Transformation fordert auch Staaten heraus. Als Gemeinschaft steuern wir die Bedingungen, ob Unternehmen die globalen Märkte erschliessen und damit Jobs kreieren können. Zudem beeinflussen wir als Gesellschaft den sozialen Frieden, der letztlich auch das Marktumfeld prägt.

Digitale Infrastruktur: Die Infrastruktur beeinflusst die Qualität der Personen-, Finanz- und Informationsströme. Der digitale Service Public umfasst im Wesentlichen die Möglichkeit, stets auf ein qualitativ hochwertiges, stabiles und sicheres Internet zugreifen zu können.

Digitaltaugliche Bildung: Weil die künftige Wirtschaft stark vom Entwickeln neuer Maschinen und Algorithmen abhängig ist, sollte das Programmieren bereits in der Primarschule gefördert werden. Als Latein des digitalen Zeitalters lehrt es das konzentrierte Arbeiten, das Kombinieren und das logische Denken.

Soziale Sicherungssysteme: In einer Wirtschaft, in der es voraussichtlich nicht mehr für alle Arbeit gibt und in der Ideen wichtiger sind als Präsenzzeit, drängt sich eine Entkoppelung von Arbeitszeit und sozialer Sicherheit auf. Sozialversicherungen sollte neu gedacht werden.


Digitale Verwaltung: Sämtliche Behördengänge (AHV, Handelsregister, Identifikation) sollten vollkommen elektronisch stattfinden, um das Unternehmertum zu erleichtern und zu fördern. Dieser Zwang gilt auch für alle Unternehmen, welche unser Land repräsentieren.

Steuersystem: Wenn Mitarbeitende von Maschinen aus dem Markt vertrieben werden, drängt sich die Frage auf, ob nicht auch auf Maschinen Steuern erhoben werden sollten. Die Maschinen direkt zu besteuern erscheint schwierig, jedoch liessen sich Beiträge über die verbrauchte Energie indirekt erheben.

Digitale Diversität: Wichtig für den sozialen Frieden ist auch die digitale Diversität. Ohne Toleranz für weniger und stärker digitalisierte Mitmenschen drohen eine digitale Monokultur sowie eine neue Form des Rassismus.


Joël Luc Cachelin hat 2009 die «Wissensfabrik» gegründet, hat zur Zukunft des Managements doktoriert und mehrere Sachbücher zum digitalen Zeitalter geschrieben. www.wissensfabrik.ch

Trends und IT 2020

Das Swiss ICT Symposium widmet sich relevanten Aspekten von IT 2020. Entsprechend stellen vorgängig sachkundige Autoren Trends zur Diskussion. Wollen Sie einen Beitrag leisten? Senden Sie einen Abstract oder Text: swissictmagazin@swissict.ch.
Swiss ICT Symposium 2015:
www.swissict-symposium.ch


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welche Farbe hatte Rotkäppchens Kappe?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER