Die Erlenmatt-Siedlung in Basel mag auf den ersten Blick aussehen wie viele andere – nicht aber auf den zweiten. Denn die Wohnungen kommen alle mit eigener App, der sogenannten Erlenapp. Über diese App können die Bewohner unter anderem der Hausverwaltung Mängel melden, kontrollieren, wie viel Energie sie im Vergleich zu anderen Siedlungsbewohnern verbrauchen, nachsehen, ob ein Nachbar einen Bohrer verleihen würde oder ob noch jemand Lust auf ein Nachbarschaftsfest hat. Die Erlenapp basiert auf der generischen Plattform Allthings Home von Qipp. Für diese ist das ETH-Spin-Off im März gleich zweimal ausgezeichnet worden: zuerst als beste vernetzte Lösung im Heimbereich am Mobile World Congress (MWC) in Barcelona und anschliessend als Gewinner des Internet-of-Things-Innovation-World-Cup in Zürich.
Gestartet hat das Ganze Anfang 2013, als Stefan Zanetti den Ehrgeiz hatte, mit seinem Start-up Qipp in das Hype-Thema Nummer eins einzusteigen – das Internet der Dinge. «Wir überlegen uns nicht, wo wir überall Hardware einbauen und was wir alles zum Funken bringen können, wie in klassischen Smart-Home-Ansätzen», erklärt Gründer und CEO Zanetti. «Stattdessen fragen wir uns: Was sind die Bedürfnisse von Menschen, wenn sie an ein Heim denken, das sie in alltäglichen Jobs unterstützen soll.» Seit Anfang 2014 hat er die Plattform speziell auf die Immobilienwelt ausgerichtet, zunächst im Rahmen eines Grossprojekts. Das Generalunternehmen Losinger Marazzi realisierte in Basel zusammen mit Bricks Immobilien eine Überbauung mit unter anderem knapp 600 Wohnungen und wollte diese smart machen – auch weil bestimmte Nachhaltigkeitszielsetzungen für das 200-Watt-Areal erfüllt werden mussten. «Wohnungen sind aus unserer Sicht aber generell sehr interessant, da es keine brauchbaren Smart-Home-Ansätze im Mieterumfeld gibt», erklärt Zanetti. «Und es skaliert wie verrückt: Wenn wir mit einem grossen Bewirtschafter zusammenarbeiten, der ein paar hunderttausend Wohnungen unter Vertrag hat und diese mit Applikationen ausrüsten will, dann gibt es in relativer kurzer Zeit eine grosse Installationsbasis.»
Über die Erlenapp können Bewohner der Erlenmatt-Siedlung Daten rund um ihre Wohnung einsehen oder mit der Verwaltung und der Nachbarschaft kommunizieren. Im News-Fenster werden zudem aktuelle Informationen aus dem Umkreis eingespielt. (Quelle: Erlenapp)
Die Erlenapp kommt im responsive Design, also für Smartphone, Tablet und den Desktop. Über das integrierte digitale Schwarze Brett können Nutzer Sachen verkaufen oder verleihen. (Quelle: Erlenapp)
Wohnung in einer App vernetzt
Technisch sieht das in der Erlenmatt-Siedlung nun so aus, dass sämtliche Bestandteile einer Wohnung mit einer eineindeutigen digitalen Identität versehen sind – oder einfach gesagt mit einer URL. So können Bodenbelag, Waschmaschine und Spülmaschine separat sowie als logische Einheit in Qipps Applikation abgebildet werden. Und an diese 30 bis 40 Bauteile pro Wohnung sowie gesammelt an alle 600 Wohnungen der Siedlung können dann bestimmte Dienste angehängt werden. Das können Informationen zur korrekten Reinigung des Parkettbodens sein oder ein übergreifendes digitales Schwarzes Brett für die gesamte Nachbarschaft. «Das hat am Anfang überhaupt nichts mit klassischen Smart-Home-Technologien zu tun», erklärt Zanetti. Denn: Qipp baut keine Hardware, keine Sensoren ein. Wenn Geräte aber über solche verfügen, können sie an die Responsive-Web-App angebunden werden. «Das macht das Bild rund», meint der CEO weiter. «Wenn der Backofen etwas funkt, oder wenn die Heizung sich von unterwegs regulieren lässt, dann können wir das integrieren. Wir stellen die Technologie generisch zur Verfügung, und Partner können darauf ihre Services implementieren.» Für die SMS-Anbindung etwa arbeitet Qipp mit Swisscom zusammen.
Mieter finden App attraktiv
Zanetti ist überzeugt: Die Erlenapp ist Qipps erster Schritt auf dem Weg dahin, alle Wohnungen der Welt mit einer digitalen Applikation zu versehen. «Bewirtschafter haben auf einmal eine volle Transparenz darüber, welche Vorfälle überhaupt in den Siedlungen vorkommen, die sie managen», meint Zanetti. «Denn am Ende hilft es wenig, wenn von dreissig Bauteilen nur der Backofen Signale sendet.» Dass Allthings Home als Grundlage für weitere Wohnungs-Apps wird dienen können, bestätigen für Zanetti auch die Ergebnisse einer Umfrage, die Qipp kürzlich in Auftrag gegeben hat. Von den rund 1000 befragten Mieterinnen und Mietern aus der Schweiz gaben 85 Prozent an, dass sie eine Applikation zu ihrer Wohnung attraktiv fänden. Ausserdem meinte rund die Hälfte, dass sie bereit wäre, einen Betrag für solch eine App zu zahlen. Was die Kosten angeht, will Qipp bald eine Light-, eine Pro- und eine Enterprise-Version der Plattform Allthings anbieten.
Die Light-Version wäre als Standard-Ausführung denkbar, bei der etwa Immobilienverwaltungen nur ihr Logo platzieren, sonst aber nichts individualisieren können. Dafür käme sie ohne Set-up-Kosten, die sich laut Zanetti je nach Anzahl angebundener Schnittstellen auf 30’000 bis 150’000 Franken belaufen können. Die monatlichen Betriebskosten liegen derweil bei 50 Rappen bis 2.90 Franken pro Wohnung.
Im Erlenmatt-Areal sind mittlerweile Bewohner eingezogen: «Neben dem Schlüssel bekommen sie die Applikation dazu», erzählt Zanetti, «wie ein Access-Point zur digitalen Welt rund um die Wohnung.» Und tatsächlich nutzen die Mieterinnen und Mieter ihre Erlenapp bereits fleissig: Gerade erst in den Neubau eingezogen, meldeten die ersten der Verwaltung darüber etwa, dass die Badewanne kein warmes Wasser hergibt.