Swiss IT Magazine: Herr Pannatier, Sie sind erst 33 Jahre alt und bereits CIO eines grossen Schweizer Unternehmens. Wie kam es dazu?
Frédéric Pannatier: Ich bin nach meinem Studium der Wirtschafsinformatik als Consultant für die Lösung Proconcept beim Schweizer ERP-Hersteller Solvaxis eingestiegen. Dabei war ich unter anderem für den Kunden Hublot zuständig und habe dann etwas mehr als ein Jahr später dorthin gewechselt. Bis Anfang 2012, also bevor ich die Stelle des CIO übernommen habe, arbeitete ich als Project Manager.
Was hatten Sie als Project Manager für Aufgaben?Zu Beginn war ich fast ausschliesslich für Proconcept und somit für verschiedene ERP-Projekte zuständig. Hublot war und ist sehr stark am Wachsen, und es galt, das ERP und die dazugehörigen Prozesse in den verschiedenen neuen Niederlassungen einzuführen, zum Beispiel in Japan oder den USA. Später kümmerte ich mich dann auch um andere Projekte, wie zum Beispiel den Aufbau einer Basis für die Einführung einer BI-Lösung, die wir unterdessen nutzen und die sich bereits stark weiterentwickelt hat. Ausserdem habe ich auch an einem ganz speziellen Projekt zum Schutz vor Fälschungen mitgearbeitet.
Die Classic Fusion Bol d’Or Mirabaud, eine Sonderedition von Hublot zur 76. Austragung der Regatta auf dem Genfersee. (Quelle: Hublot)
Bei der Produktion einer mechanischen Uhr ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Die IT spielt dabei eine immer wichtigere Rolle, wenn auch im Hintergrund. (Quelle: Hublot)
Frédéric Pannatier (33) ist seit Januar 2012 CIO des Schweizer Luxusuhrenherstellers Hublot. (Quelle: Hublot)
Können Sie uns etwas mehr über dieses System verraten?Zu jeder Uhr, die wir heute verkaufen, gibt es eine spezielle Chipkarte mit einem digitalen Zertifikat, das wiederum mit der Seriennummer der Uhr verknüpft ist. Mit einem entsprechenden USB-Lesegerät kann man damit zu Hause im Internet oder in einer unserer Boutiquen die Echtheit einer Uhr überprüfen. Dieses System funktioniert sehr gut. Trotzdem denken wir bereits über ein neues nach, weil wir die Technologie mit USB-Lesegeräten nicht mehr so zeitgemäss finden. NFC ist dabei ein Thema. Wir haben uns aber noch nicht entschieden, auf was wir in Zukunft setzen wollen. Es gibt verschiedene Ansätze.
Das Beispiel zeigt: IT ist unterdessen überall anzutreffen. Welche Rolle sollte sie in Ihren Augen darum heute spielen?Die IT wird heute in vielen Unternehmen nach wie vor als Back-Office-Dienstleistung abgetan. Ich sehe das etwas anders. Die Rolle der IT ist in meinen Augen nicht mehr die, die sie noch vor einigen Jahren war. Sie muss heute die Abteilung im Unternehmen sein, die am besten über neue Technologien im Bild ist und diese ins Business bringt – und nicht umgekehrt nur auf Wünsche oder Forderungen des Business reagiert. Aber: Innovationen sind natürlich nur dann möglich, wenn die Basis stimmt, also wenn die bestehende IT einwandfrei läuft.
Und dazu braucht es ein starkes IT-Team. Wie gross ist Ihr Team aktuell?Unsere Abteilung ist klein, das globale IT-Team umfasst nur zehn Personen. Allerdings wird die Zahl in Zukunft sicher wachsen, weil auch das Unternehmen wächst. Hier am Hauptsitz in Nyon wird gerade eine neue, zweite Manufaktur gebaut. Das heisst, es wird schon bald mehr Ausrüstung geben, die Wartung braucht, und neue Applikationen, die unterhalten werden müssen. Zudem eröffnen wir laufend neue Boutiquen, um die wir uns auch kümmern müssen.
Wie unterscheidet sich die IT in einer Manufaktur von der in einer Boutique?Es ist ein ganz anderer Job, sich um eine Boutique oder um eine Manufaktur zu kümmern. Einige Systeme in einer Boutique sind zum Beispiel nicht so kritisch wie die in der Manufaktur, dafür müssen sie aber durch den direkten Kunden-
kontakt benutzerfreundlicher sein.
Wie viele Mitarbeiter und Niederlassungen betreuen Sie insgesamt?Für Hublot arbeiten aktuell rund 450 Personen. Wir haben Niederlassungen, die direkt an uns berichten, wie in Japan und den USA, und solche, die dies an die Gruppe tun – seit 2008 gehören wir zur LVMH-Gruppe (Moët Hennessy Louis Vuitton). Deren IT wird im Gegensatz zu den anderen Niederlassungen lokal gemanagt. Wir stellen ihnen zwar gewisse Services zur Verfügung, aber Dinge wie den Support oder die Einführung einer neuen Software stellen sie lokal sicher. Wichtige strategische Entscheidungen, welche die ganze Watch & Jewelry Division betreffen, werden derweil von einem IT-Steuerungs-Komitee beschlossen und dann entsprechend umgesetzt.
Wie ist die IT in Anbetracht dessen organisatorisch aufgebaut?Die IT ist heute in vier verschiedene Bereiche gegliedert. Zuerst haben wir den Support, der fundamental ist und einfach funktionieren muss. Darauf baut der Bereich Infrastruktur auf, der von einem CTO gemanagt wird. Ausserdem haben wir ein ERP-Team, das sich vor allem um Prozesse kümmert, und noch ein separates Applikations-Team. Wir haben nämlich immer mehr Applikationen, die ausserhalb des ERP laufen.
Was meinen Sie damit?
Noch vor ein paar Jahren war das ERP alles. Nun sehen wir, dass gewisse Applikationen ausserhalb oder neben dem ERP effizienter arbeiten und nutzerfreundlicher sind, was dem Unternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet. Ein ERP, ob SAP oder Proconcept, ist zum Beispiel nicht dafür entwickelt worden, um auf einem Gerät wie dem iPad zu laufen. Es ist nicht komfortabel, und es sieht nicht schön aus. Darum haben wir uns zum Beispiel entschlossen, im Retail in Zukunft einen anderen, innovativeren Weg zu gehen.
Wie sieht dieser Weg aus? Was wollen Sie im Retail konkret ändern?
Wir arbeiten an einer Retail-Lösung auf Basis der E-Business-Lösung Magento. Aus meiner Sicht braucht es nicht zwei separate Systeme. Und ob ein Produkt online von zu Hause oder in einer Boutique gekauft wird, macht eigentlich keinen grossen Unterschied. Ich glaube sogar, dass dieser Schritt interessante Möglichkeiten für die Zukunft bringt.
Beschäftigen Sie eigene Entwickler? Oder wird alles extern entwickelt?
Mein Team besteht nur aus Projekt-Managern. Wir sind zwar in der Lage, kleine Lösungen wie Datenbankabfragen auf Basis von SQL selber zu erstellen. Für die Entwicklung von Software oder für Entwicklungen fürs Web arbeiten wir aber komplett mit externen Firmen zusammen, wobei unser Hauptpartner Blue-Infinity ist.
Nutzen Sie auch Software aus der Cloud?
Ja, wir nutzen Cloud-Lösungen, aber nicht viele, eigentlich fast ausschliesslich Salesforce. Ich bin nicht gegen die Cloud, aber man muss schon vorsichtig sein. Noch vor ein paar Jahren, als wir über Salesforce gesprochen haben, gab es intern wie auch extern viele Stimmen, die uns nahelegten, nie in die Cloud zu gehen. Das sei zu gefährlich, und man wisse nie, was mit den Anbietern in ein paar Jahren sei, hiess es. Auch der Patriot Act war und ist nach wie vor ein Thema. Wir schauen darum, dass unsere Daten soweit möglich in europäischen Rechenzentren lagern. Zusätzlich speichern wir alle Daten, die wir in der Cloud haben, zum Beispiel bei Salesforce, auch noch bei uns, also an einem zweiten Ort.
Was bezwecken Sie damit, die Daten aus der Cloud noch an einem zweiten Ort zu speichern?
Salesforce ist zwar ein tolles Tool und ich habe grosses Vertrauen in den Anbieter. Wir wollen damit einfach sicherstellen, dass andere Applikationen auch ohne Salesforce funktionieren, wenn die Lösung mal down sein sollte – was hoffentlich nie der Fall sein wird – oder wenn wir in Zukunft aus irgendeinem Grund nicht mehr mit dem Anbieter zusammenarbeiten sollten. Sie sehen, wir sind wirklich vorsichtig und gehen nicht kopfüber in die Cloud.
Betreiben Sie noch ein eigenes Rechenzentrum?
Ja, wir haben ein Rechenzentrum hier an unserem Hauptsitz in Nyon, das von unserem CTO gemangt wird. Zudem haben wir im Rahmen unseres Disaster-Recovery-Plans noch ein zweites Datacenter in der Schweiz.
Bleiben wir noch etwas bei der IT-Infrastruktur. Wie viele Rechner gibt es bei Hublot?
Wir, also unser Helpdesk, kümmert sich aktuell um rund 300 PCs. Die meisten davon sind Laptops. Und es werden immer mehr, weil unsere Mitarbeiter sehr mobil sind und die Differenz zu einem PC bezüglich Preis und Leistung heute nicht mehr so gross ist. Natürlich gibt es aber auch Mitarbeiter, insbesondere im 3D-Umfeld und in der Konstruktion, die auch in Zukunft mit einem Desktop-Rechner arbeiten werden, weil hier die Leistung ganz klar im Vordergrund steht.
Kommen speziell in diesem Bereich auch Macs zum Einsatz?
Wir überlegen uns das aktuell gerade. Vor ein paar Jahren haben wir beschlossen, nur auf Windows zu setzen, jetzt wollen wir diese Strategie etwas öffnen. Das Ziel ist nicht, das ganze Unternehmen umzustellen, denn Macs sind deutlich teurer als andere PCs. Aber es kann nicht sein, dass ein Designer, der es gewohnt ist mit einem Mac zu arbeiten, und damit deutlich effizienter ist, im Büro mit einem Windows-Rechner arbeiten muss.
Und sehr wahrscheinlich haben Sie auch einige iPhone-Nutzer.
Unsere Mitarbeiter können selber wählen, welches Mobiltelefon sie nutzen möchten, solange darauf Android, iOS oder Blackberry läuft. Blackberrys sind allerdings nur noch ganz selten anzutreffen. Bei uns sind aktuell tatsächlich viele iPhones im Umlauf, einige mehr als Android-Smartphones. Wir setzen mit Airwatch auch eine Mobile-Device-Management-Lösung ein. Allerdings schränken wir damit nicht viel ein, weil unsere Mitarbeiter in der Regel nur ein Gerät haben und das für private und geschäftliche Zwecke nutzen. Das heisst, sie können eigentlich jede App herunterladen, solange uns dahingehend kein Sicherheitsrisiko bekannt ist. Wir haben die Lösung vor allem deshalb im Einsatz, um die Geräte bei einem Verlust orten und löschen zu können.
Was ist mit Tablets?
Auch iPads sind bei uns mittlerweile ziemlich verbreitet, zum Beispiel in den Boutiquen, aber auch bei unseren Verkäufern. Die Geräte eigenen sich sehr gut, um Dinge zu präsentieren. Das Problem mit Tablets ist jedoch, dass sie momentan noch kein anderes Gerät ersetzen. Das führt dazu, dass der Preis eines Computers sinkt und sinkt und die Kosten pro Nutzer trotzdem steigen. Wir wägen darum sehr genau ab, wer ein Tablet braucht und wer nicht, also wem ein PC oder Notebook reicht. Es wäre wundervoll, wenn man nur noch ein iPad haben müsste und damit alles hätte, was man braucht. Das ist aber leider noch nicht der Fall. Ich habe es selber versucht und dabei festgestellt, dass vor allem die Maus ein Problem ist. Die habe ich am stärksten vermisst.
Wie sieht es bei anderen Tablet-Herstellern aus, zum Beispiel bei Microsoft?
Wir haben schon andere Tablets getestet, zum Beispiel ein Dell Latitude mit Windows-Betriebssystem. Das hat mich persönlich aber nicht überzeugt. Und ein Latitude oder ein Surface sind kein iPad, sondern eben «nur» ein Latitude und ein Surface. Versuchen Sie mal jemandem das iPad wegzunehmen: Das wird nicht funktionieren und nur zu Frustrationen führen.
Apropos Frustpotential: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem IT-Budget?
Das IT-Budget ist bei uns im Vergleich zum Umsatz nicht sehr gross, aber auch nicht zu vernachlässigen. Es wächst stetig, aber weniger stark als der Umsatz. Dadurch sind wir in einer komfortablen Lage. Unsere Mittel sind zwar nicht unbeschränkt, aber ich kann nicht klagen.
Last but not least muss ich Sie als IT-Chef eines Schweizer Uhrenherstellers natürlich auch noch fragen, was Sie von Smartwatches halten.
Meine ganz persönliche Meinung ist, dass das Handgelenk heute und vielleicht noch für die nächsten 10 bis 15 Jahre ein strategisch wichtiger Ort für sogenannte Wearables ist. Und der Wearables-Markt wird sich in den nächsten Jahren bestimmt rasant entwickeln. Es gibt also einen Platz für Smartwatches. Ob sie allerdings einen Einfluss auf die Schweizer Uhrenindustrie haben werden oder nicht, das kann ich nicht sagen. Eine Smartwatch und eine Uhr, wie wir sie zum Beispiel herstellen, das sind nämlich zwei ganz unterschiedliche Produkte.
Ich glaube aber auch, dass es Apple mit seiner Marktmacht schaffen wird, Uhren an Handgelenke von Menschen zu bringen, die vorher noch keine getragen haben, weil das Gerät für sie einen Nutzen bringt. Vielleicht werden deshalb ein paar Schweizer Marken betroffen sein, das ist durchaus möglich, aber ich denke, dass die bereits Pläne dafür haben und entsprechend reagieren werden. Und wie gesagt, Marken wie Hublot, die Luxusprodukte mit einem Preis von über 15’000 Franken herstellen, werden nicht im Wettbewerb mit Einweg-Verbraucherprodukten wie der Apple Watch stehen.
Welchen Nutzen bieten Smartwatches in Ihren Augen denn – wenn überhaupt?
Ich persönlich brauche kein Display an meinem Handgelenk, das mir Bilder anzeigt oder auf dem ich E-Mails lesen kann. Gut, ein paar Informationen, wie zum Beispiel Anrufbenachrichtigungen, könnten durchaus nützlich sein. Aber den eigentlichen Nutzen von solchen Geräten sehe ich im Health-Bereich. Nicht in dem Sinn, als dass einen das Gerät darüber informieren muss, dass man gut geschlafen hat – das weiss man selber. Ich denke mehr in dem Sinn, als dass damit im Hintergrund viele nützliche Daten gesammelt werden können und so zum Beispiel die Diagnose bei einer Erkrankung vereinfacht werden kann. Aber wie gesagt, das ist nur meine ganz persönliche Meinung.