swissICT Magazin: Die Medien berichteten prominent über gescheiterte ICT-Projekte der öffentlichen Verwaltung und über die mögliche Umgehung von WTO-Ausschreibungen bei der IT-Beschaffung. Wie erleben Sie die Stimmung bei der öffentlichen Verwaltung?
Erich Hofer: Ich empfinde die Stimmung als angespannt. In einigen Fällen führte die Furcht vor negativer Medienpräsenz dazu, dass geplante Beschaffungen aufgeschoben wurden. Insbesondere kleinere Beschaffende in Kantonen und Gemeinden sind verunsichert, da ihnen oftmals ein kompetenter Ansprechpartner in ICT-Beschaffungsfragen fehlt.
Inwiefern haben ungeeignete WTO-Richtlinien zu den Umgehungen der WTO-Ausschreibungen beigetragen?Ausschreibungen müssen gegenüber den Lieferanten gerecht sein. Die WTO-Richtlinien schaffen juristische Klarheit, was begrüsst wird. Gleichzeitig wünschte ich mir eine grössere Flexibilität der WTO-Bestimmungen. Ein möglicher Lösungsansatz ist die Einführung des Dialog-Verfahrens bei Beschaffungen mit grossen Volumina.
Welche Vorzüge haben WTO-konforme Ausschreibungen?Die WTO-Richtlinien garantieren dem Beschaffenden wie auch dem Lieferanten Rechtssicherheit. Dies ist eine wichtige Voraussetzung um ein Projekt erfolgreich umzusetzen. Aufgrund der Erfordernisse an WTO-konforme Ausschreibungen sind die Mitarbeiter zudem gezwungen Ausschreibungsunterlagen in guter Qualität zu erstellen. In kleineren ICT-Projekten wird die Dokumentation oftmals vernachlässigt, was sich nachteilig auf den Projekterfolg auswirken kann.
Wie gehen Sie bei WTO-Ausschreibungen vor?Wichtig ist es, frühzeitig zu ermitteln ob die Ausschreibungs-Unterlagen den WTO-Anforderungen zu genügen haben. Die Anforderungen unterscheiden sich je nach Kostendimension der Ausschreibung. Man muss sich daher frühzeitig Gedanken darüber machen, welche Projektteile in die Ausschreibung integriert werden müssen und wie hoch die Kostenfolgen dieser Projektteile sind.
Bei der Beschaffung von komplexen ICT-Lösungen ist der Vergleich der Lieferanten-Angebote wesentlich anspruchsvoller als bei der Beschaffung von technisch einfach vergleichbaren Gütern wie z.B. Baumaterialien. Die Qualität des gewünschten Baumaterials lässt sich relativ präzise definieren, wodurch der Preis zum primären Zuschlagskriterium wird. Bei Beschaffungen im ICT-Bereich spielt der Preis eine weniger herausragende Rolle. Wichtiger ist die Frage, inwiefern eine ICT-Lösung den eigenen Bedürfnissen entspricht und wie gut die Lösung funktioniert (Qualität). Zudem muss die Lösung zur bestehenden ICT-Landschaft passen.
Wo liegen die wichtigsten Fallstricke bei Projekten mit WTO-Ausschreibungen?
Am häufigsten diskutiert wird die juristisch korrekte Durchführung des Beschaffungsprozesses. Sie ist jedoch nur ein kleines Puzzleteil eines erfolgreichen ICT-Projekts.
Zwar gibt es mittlerweile eine Reihe von Hilfsmitteln, die den Beschaffungsprozess unterstützen, wodurch vieles Fleissarbeit geworden ist. Eine grosse Herausforderung bleibt jedoch die Festlegung von Anforderungen an die ICT-Lösung, da sie der zunehmenden Komplexität der Geschäftswelt gerecht werden muss.
Ein Beschaffungsprojekt nach WTO steht im Spannungsfeld Zeit, Geld und Qualität. In diesem Spannungsfeld können Ansprüche und Wirklichkeit divergieren, was letztlich ein Scheitern der Projekte zur Folge haben kann.
Was zeichnet erfolgreiche Projekte aus?
Auftraggeber, Projektleiter und Vertreter der ICT sollten bereits zu Beginn gemeinsam festlegen welchen Anforderungen das Projekt genügen muss. Zudem gilt es das Gesamtprojekt und die Projektlaufzeit stets im Auge zu behalten. Es muss sichergestellt werden, dass sowohl bei den Entscheidungsträgern als auch bei den Mitarbeitenden das erforderliche Wissen und die notwendige Erfahrung vorhanden sind.
Immer wieder wird das fehlende Wissen der öffentlichen Verwaltung zum Thema «Beschaffung» beklagt. Zu Recht?
Leider gab es bislang keine Weiterbildungsangebote zum Thema «Beschaffung». Daher herrscht in diesem Bereich ein Mangel an kompetenten Fachkräften. Hermes-Lehrgänge können daran wenig ändern. Glücklicherweise wird die Wiso-Fakultät der Uni Bern bald einen CAS-Lehrgang anbieten (CAS ICTB Unibe).
Ich stelle fest, dass die Anforderungen an die Rolle des ICT-Leiters steigen. Mittlerweile muss sich ein ICT-Leiter nicht nur mit Technologie, sondern auch mit Verfahrensfragen der Beschaffung auskennen.
Politiker und Medien fordern striktere Regeln und niedrigere Schwellenwerten für WTO-Ausschreibungen. Die Anbieter fordern mehr Flexibilität und höhere Schwellenwerte. Was macht aus Ihrer Sicht mehr Sinn?
Führungsmängel und Umgehungen können durch eine Senkung der Schwellenwerte nicht eliminiert werden. Ich befürworte eine Anhebung der WTO-Schwelle. Dadurch wäre der hohe Aufwand der Beschaffenden bei WTO-Ausschreibungen eher gerechtfertigt. Müssten Projekte bereits ab 50‘000 Fr. nach WTO-Richtlinien ausgeschrieben werden, würde dies für die öffentliche Verwaltung einen massiven Mehraufwand bedeuten. Die Schaffung vieler neuer Stellen wäre wohl unumgänglich.
Ausführliches Interview
Eine ausführliche Fassung des Interviews mit weiteren Fragen/Antworten:
http://www.swissict.ch/beschaffung/