Swiss IT Magazine: Welches Projekt beschäftigt Sie beziehungsweise die IT-Abteilung von Wincasa aktuell am meisten?
Sandro Pfammatter: Am meisten beschäftigt uns aktuell die Implementation eines neuen Kunden. Wir haben erst kürzlich den Zuschlag bekommen für das kaufmännische Facility Management der gesamten Swisscom-Immobilien. Swisscom wird also per 1. Januar 2015 ein neuer Kunde von Wincasa. Wir haben nun knapp sechs Monate Zeit, um das gesamte Portfolio zu übernehmen, die IT-Systeme entsprechend aufzubereiten und Schnittstellen einzurichten.
Was bedeutet es denn für die IT von Wincasa, wenn das Unternehmen das Facility Management von Swisscom übernimmt?
Wir implementieren und betreiben die Systeme, die benötigt werden, um den Leistungsauftrag von Swisscom sicherzustellen – in erster Linie die Software Wincasa Q. Dies ist unser Kernsystem, in dem die meisten Geschäftsprozesse abgewickelt werden. Wir generieren über sämtliche Tätigkeiten, die wir machen, Daten – beispielsweise Liegenschaftsstammdaten, Mietverträge und so weiter. Diese müssen so ausgegeben werden, dass Swisscom diese auswerten respektive in seine Systemwelt integrieren kann. Entsprechend müssen wir die Schnittstellen sicherstellen.
Diese Schnittstellen müssen Sie quasi für jeden Kunden sicherstellen, unabhängig von seiner Grösse?
Ja, im Prinzip schon. Wobei sich Wincasa ja vor allem auf institutionelle Anleger und Firmenkunden mit grösseren Immobilienportfolios konzentriert. Wir fokussieren auf das Geschäft mit grossen Volumen. Vor allem darin sind wir stark.
Wo liegen die Besonderheiten in Ihrer IT-Infrastruktur?
Speziell an unserer IT-Infrastruktur ist, dass wir als Unternehmen mit 22 Standorten in der ganzen Schweiz verteilt sehr dezentral aufgestellt sind, die IT aber zentral gehandhabt wird. Wir betreuen die IT komplett von unserem Hauptsitz in Winterthur aus. Auch die Rechenzentren sind in Winterthur.
Warum hat man sich für diese Strategie mit einer zentralisierten IT trotz zahlreicher Standorte entschieden?
Weil diese effizient und am kostengünstigsten ist – ganz einfach. Ausserdem zwingt uns diese Strategie, zu standardisieren und die Prozesse zu optimieren.
Wie viel IT steht noch in den Filialen?
Nebst den Arbeitsplatzsystemen gibt es in jeder Filiale einen Filialserver, der aber im Prinzip nur das Drucken übernimmt, so dass nicht sämtliche Dokumente zuerst nach Winterthur und zurück geschickt werden müssen, sondern vor Ort gedruckt werden können. Zudem kommen diese Server bei der Softwareverteilung zum Einsatz, um das Netzwerk zu entlasten.
Wie viel Zeit verbringen Ihre Mitarbeiter aufgrund der zentralisierten IT denn auf den Schweizer Autobahnen?
Überhaupt nicht viel. Wir können sehr viele Aufgaben remote erledigen. Ausserdem haben wir in jeder Filiale einen sogenannten IT-Assist – einen Mitarbeiter, der diese Nebenberufsfunktion ausführt und uns beispielsweise aushilft, wenn ein neuer Mitarbeiter anfängt und einen PC-Arbeitsplatz braucht. Erst bei Auf- oder Ausbauten von Filialen oder bei grösseren Roll-outs sind wir aus der IT vor Ort.
Für solche Dinge mit einem externen Dienstleister zu arbeiten war nie eine Option?
Doch, das machen wir in gewissen Bereichen auch. Beispielsweise ist der gesamte Service und Support für Drucker und Multifunktionsgeräte ausgelagert. Wird ein neues Gerät benötigt oder fällt ein Gerät aus, übernimmt der Outsourcing-Partner die Installation respektive die Reparatur vor Ort.
Was lagern Sie sonst noch aus? Und gibt es Pläne, verstärkt auf Outsourcing zu setzen?
Wir verfolgen die Strategie des selektiven Outsourcings. Das heisst, bei grösseren Beschaffungen und grösseren Infrastruktur-Änderungen wird das Thema Outsourcing überprüft. Wir haben unter anderem auch einen Teil der Software-Entwicklung ausgelagert, genauso wie einen grossen Teil unserer Netzwerk-Infrastruktur. Zudem laufen vereinzelte Anwendungen wie zum Beispiel unser Fotoportal bereits zu 100 Prozent in der Cloud.
Stichwort Software-Entwicklung: In welchen Bereichen entwickelt Wincasa Software selbst?
Grundsätzlich versuchen wir, wie erwähnt, möglichst mit Standard-Produkten, in unserem Fall weitgehend von Microsoft, zu arbeiten. Im Bereich ERP – bei unserer Immobiliensoftware Wincasa Q also – sehen wir allerdings einen strategischen Vorteil darin, auf eine Eigenentwicklung zu setzen. Wir sind der Meinung, dass wir dadurch, dass wir Wincasa Q selbst entwickeln, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber unseren Mitbewerbern haben. Wobei ich «selbst entwickeln» in Anführungszeichen setzen muss, denn die Software wird grösstenteils von einem strategischen Partner entwickelt. Wir bestimmen aber die Funktionen und Prozesse, die optimiert werden sollen – und zwar nach unseren Bedürfnissen. Mit einer Standardlösung ginge das nicht, beziehungsweise nicht so schnell. Genauso wie wenn man das zusammen mit Mitbewerbern macht. Diesen Weg haben wir früher mit der Lösung REM gewählt, aus der Wincasa Q dann entstanden ist.
Wie lief denn dieser Wechsel von REM auf Wincasa Q?
REM wurde von Wincasa gemeinsam mit anderen Branchenvertretern entwickelt und vorangetrieben. Das Problem war: Wenn man mit Mitbewerbern am Tisch sitzt und entscheiden muss, welche Funktionen neu in eine gemeinsame Software implementiert werden sollen, ist das aus strategischer Sicht nicht unbedingt eine einfache Situation. Hinzu kam, dass Wincasa seit jeher der grösste Vertreter in diesem Gremium war und entsprechend Anforderungen an die Software hatte, die die anderen Vertreter nicht unbedingt hatten. Deshalb hat Wincasa vor einigen Jahren entschieden, REM herauszukaufen und ursprünglich unter dem Namen Winplus weiterzuentwickeln – auch um schneller vorwärts zu kommen. Den Namen der Software haben wir in der Zwischenzeit auf Wincasa Q geändert, da dieser dem, was die Software kann und leistet besser gerecht wird. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass in einigen Jahren, wenn allenfalls grosse Standardsoftware-Anbieter im Bereich Real Estate Lösungen mit ähnlichem Funktionsumfang wie Wincasa Q bieten können, auch eine solche Standard-Lösung wieder ins Auge gefasst wird. Heute sind aber solche Lösungen noch nicht in Sicht.
Können Sie ausführen, wie Ihr Team aufgebaut ist?
Bei Wincasa arbeiten rund 20 Mitarbeiter in der IT, aufgeteilt in fünf Teams. Ein Team kümmert sich um den klassischen PC-Support, ein weiteres Team ist für das Software-Engineering zuständig und macht zum einen selbst Software-Entwicklung, zum anderen vor allem aber auch Qualitätssicherung bei externen Entwicklungen. Ein drittes Team ist für das System Engineering zuständig und stellt zusammen mit den Outsourcing-Partnern sicher, dass die Systeme immer funktionieren. Ein Team kümmert sich um das Data Management und erstellt Schnittstellen und Reports. Und dann beschäftigen wir noch ein Team von Business-Analysten, die die Brücke zwischen der IT und dem Business schlagen. In der Regel handelt es sich dabei um Projektleiter für die Einführung von Software oder aber für das Change und Release Management von Wincasa Q. Diese Weiterentwicklung, die ständige Optimierung der Software und damit verbundene Prozessoptimierungen, ist sehr strategisch für uns.
Wie viele Mitarbeiter arbeiten bei Ihnen mit Wincasa Q, und für wie viele Mitarbeiter müssen Sie Infrastruktur bereitstellen?
Wincasa beschäftigt aktuell knapp 700 Mitarbeiter, und 500 Mitarbeiter arbeiten täglich mit Wincasa Q. Das allein zeigt die Bedeutung dieser Software. Wincasa wächst enorm schnell, was ein weiterer Grund ist, warum wir weitgehend auf Standards setzen. Wenn wir das nicht tun würden, könnten wir mit dem Wachstum IT-seitig kaum mithalten.
Ist das Mitarbeiter-Wachstum auch eine Herausforderung für Sie?
Das Wachstum per se nicht unbedingt – ein paar Arbeitsplätze mehr sind rasch bereitgestellt. Die Herausforderung liegt darin, den richtigen Mix zwischen Unternehmenswachstum, Innovation und Prozessoptimierung zu finden. Wenn ein Unternehmen stark wächst, besteht die Gefahr, dass die Innovation auf der Strecke bleibt. Es ist aber wichtig, trotz eines grossen Auftrags wie aktuell demjenigen von Swisscom die Innovation und damit wichtige Trends nicht zu verpassen.
Gäbe es denn Projekte, die Sie gerne umsetzen würden, wegen des Wachstums aber nicht können?
Mit 20 IT-Mitarbeitern kann man trotz des schnellen Wachstums einiges umsetzen. Es laufen eigentlich ständig drei, vier Projekte parallel. Ein Beispiel: Momentan verfolgen wir Optimierungen, die sich durch die Verbreitung von mobilen Devices und digitalen Signaturen ergeben. Daraus resultieren neue Möglichkeiten etwa beim Abnahmeprotokoll. Der Bewirtschafter soll das Abnahmeprotokoll mit dem Tablet ausfüllen und unterschreiben lassen können, und das Ganze soll dann automatisch in Wincasa Q einfliessen. In Anwendungen wie dieser sehen wir noch viel Potential. Ein weiteres Projekt ist die Einführung eines CRM-Systems, wobei wir auf eine Microsoft-Lösung setzen. Bis Ende Jahr sollte diese Einführung abgeschlossen sein. Der Entscheid darüber, welche Projekte wir umsetzen, hängt letztlich davon ab, welche Projekte von der Geschäftsleitung als dringlicher angesehen werden. Projekte sind bei uns ein unternehmerischer Entscheid.
Welche Bedeutung hat denn die IT in der Geschäftsleitung von Wincasa?
Die Bedeutung ist hoch. Das hat unter anderem auch mit dem strategischen Entscheid zu tun, dass wir uns über unsere Wincasa Q Lösung – durch IT also – von den Mitbewerbern differenzieren wollen. Daneben ist es aber in meinen Augen absolut entscheidend, dass die IT das macht, was das Unternehmen braucht. Man darf IT nicht zum Selbstzweck betreiben.
Und wie setzen Sie das um?
Das Stichwort lautet Governance. Um die IT auf die Unternehmensansprüchen auszurichten, ist es wichtig, nahe an der Geschäftsleitung zu sein und sicherzustellen, dass die Geschäftsleitung versteht, was die IT macht. Dies kann man einerseits dadurch erreichen, indem der Leiter IT Teil der Geschäftsleitung ist. Oder aber – und das ist der Weg, den wir hier wählen – man implementiert ein ICT-Board. Bei Wincasa besteht dieses Board aus der Geschäftsleitung, der Leiterin Business Management, externen IT-Experten und mir.
Und welche Aufgabe hat dieses Board?
Es fällt sämtliche strategischen IT-Entscheide, setzt Prioritäten und verabschiedet Standards. Das wichtigste ist aber die strategische Planung für die kommenden Monate und Jahre – inklusive dem Entscheid über Investitionen, die in den kommenden Jahren getätigt werden sollen.
Wo sehen Sie die Vorteile dieses Boards?
Das Board trifft sich fünf Mal pro Jahr für zwei Stunden. Mit diesem Zeitaufwand hat die Geschäftsleitung die Möglichkeit, auf sehr effiziente Weise die gesamte IT zu führen und unternehmensweit abzustimmen. Ich kann so sicherstellen, dass die IT auch das tut, was das Unternehmen tatsächlich braucht und lasse mir dies regelmässig bestätigen. Zudem ist es für mich effizient, denn ich bin nahe an der Geschäftsleitung, ohne dass ich als Teil der Geschäftsleitung an jeder Sitzung teilnehmen muss und kann mich so auf meine Aufgaben fokussieren.
Allerdings: Die Mitglieder des Board kennen die Anwenderbedürfnisse ja auch nicht zwingend?
Das stimmt zum Teil, und deshalb suchen wir auch die Nähe zu den Benutzern. Dazu gibt es beispielsweise für Kernapplikationen ein Gremium, in dem die Benutzer vertreten sind und in dem festgelegt wird, wie eine Software weiterentwickelt wird. Gerade rund um Wincasa Q ist das sehr wertvoll. In diesem Weiterentwicklungsgremium, wir nennen es Request Management Board, ist jeder wichtige Unternehmensbereich durch Anwender vertreten. Vom Request Management Board werden die Anforderungen der Nutzer entgegen genommen, um dann zu entscheiden, was umgesetzt wird. So delegiert die Geschäftsleitung eigentlich die Weiterentwicklung und die Innovation an dieses Board bestehend aus Mitarbeitern, die mit den Systemen arbeiten.
(mw)