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CIO-Interview: «Herzlichen Glückwunsch, das gehört jetzt euch»
Quelle: Socar

CIO-Interview: «Herzlichen Glückwunsch, das gehört jetzt euch»

Socar ist seit zwei Jahren in der Schweiz tätig. Nun gibt es einen Wechsel an der Spitze der IT und ein Doppelinterview mit «Swiss IT Magazine».

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2014/09

     

Swiss IT Magazine: Vor zwei Jahren hat Socar Esso Schweiz übernommen und seit damals auch sämt­liche Esso- zu Socar-Tankstellen umgebaut. War auch die IT in den letzten zwei Jahren eine grosse Baustelle?
Markus Gasser:
Es gab mit Sicherheit einiges zu tun die letzten zwei Jahre. Eine grosse Baustelle betraf etwa das SAP-System, das vom Esso-Mutterhaus Exxon­mobil herausgelöst wurde, genauso wie sämtliche Business-Applikationen – rund 85 an der Zahl. Dann wurde auch die Hardware erneuert, Server wurden virtualisiert und vieles mehr.

Können Sie beschreiben, wie damals die IT-Übergabe von Esso Schweiz aus dem Exxonmobil-Konzern an Socar ablief?
Stefan Plogmann:
Exxonmobil hat am Hauptsitz in Zürich die gesamte Übergabe soweit wie möglich vorbereitet. Am Wochenende vom 1. Juli 2012 stand dann die eigentliche Übergabe auf dem Programm, wobei gegen 100 Leute von Exxonmobil und acht Leute von Socar zugegen waren. An diesem Tag X hiess es von Exxonmobil quasi: ‹Herzlichen Glückwunsch, das gehört jetzt euch›, sämtliche Verbindungen zum Exxonmobil-Hauptquartier wurden gekappt, und die Infrastruktur ging an uns über – natürlich stark vereinfacht geschildert.

Aber dieser Tag X wurde gemeinsam vorbereitet?
Stefan Plogmann:
Ja und nein. Exxon­mobil war sehr auf die eigene Sicherheit bedacht, was natürlich verständlich ist. Wie üblich bei solchen Übernahmen haben wir erst am Tag der Übernahme gesehen, was wir wirklich bekommen. Natürlich gab es Status-Meetings, damit wir keine «Katze im Sack» kaufen, und ein externer Outsourcing-Partner von uns hatte auch Zugang zu den Büros von Esso Schweiz. Von Socar aber durfte niemand rein, und so haben wir zwar theoretisch gewusst, was wir erhalten werden, dennoch war es letztlich eine «Black Box». Nach der Übernahme standen uns die Exxonmobil-Spezialisten noch einige Tage zur Verfügung, doch durften sie dann auch aus rechtlichen Gründen eigentlich nichts mehr machen, ausser beratend zur Seite zu stehen. Angesichts dieser eigentlich widrigen Umstände muss ich sagen, dass die Übergabe ziemlich gut geklappt hat. Eigentlich war das schlimmste, dass in SAP bei der Migration alle User-Accounts verloren gingen. Da kamen wir kurz ins Schwitzen, aber auch das konnten wir gemeinsam lösen.
Sprechen wir über die Gegenwart: Können Sie in groben Zügen erklären, wie Ihre IT-Infrastruktur aufgebaut ist?
Markus Gasser:
Wir betreiben zwei Rechenzentren bei Co-Location-Anbietern und im Prinzip zwei Umgebungen. Zum einen eine Office-Umgebung in unseren Büros, zum anderen die Tankstellen-IT. Beide Umgebungen laufen auf unterschiedlichen Netzwerken – unter anderem aus Sicherheitsgründen. Dann ist es so, dass wir Schlüsselpositionen intern besetzen und «Commodity» auslagern. Ich meine diesen Begriff überhaupt nicht abschätzig, im Gegenteil. Als Commodity bezeichne ich etwa den Help Desk, als Schlüsselposition eigentlich alle Positionen, die mit den internen Prozessen stark verknüpft sind.

Wie gross ist das hauseigene IT-Team?
Markus Gasser:
Alles in allem sind wir acht Personen, die bei Socar angestellt sind. Eine Gruppe daraus beschäftigt sich mit der Tankstellen-IT beziehungsweise dem Retail-Bereich mit den Kassensystemen, Bezahlterminals, der Tanküberwachung und so weiter. Dann beschäftigt sich ein Team mit den Business-Applikationen, ein weiteres mit SAP und eines mit der Infrastruktur, also Netzwerk, Servern, Clients und Druckern.


Und diese Mitarbeiter nehmen vor allem koordinative Aufgaben wahr, oder sind sie selbst auch aktiv tätig?
Markus Gasser:
Beides. Die Mitarbeiter greifen bei Bedarf schon auch aktiv ein, und wir versuchen, das Know-how in allen Bereichen auch intern zu haben. Doch den ganzen Betrieb mit acht Mitarbeitern aufrecht zu erhalten, wäre gar nicht möglich. Wir sind ein 24-Stunden-Betrieb mit rund 160 Tankstellen in der ganzen Schweiz. Wenn nun ein Problem an einer Tankstelle im Tessin auftaucht, macht es wenig Sinn, jemanden aus der Zentrale zu schicken. Dazu haben wir einen qualifizierten Lieferanten mit Standorten in der ganzen Schweiz. Oder auch bei der Fülle an Business-Applika­tionen brauchen wir externe Spezialisten, die die jeweiligen Applikationen in der gesamten Tiefe verstehen.

Woher kommt es, dass Socar über 80 Business-Applikationen im Einsatz hat? Und gibt es Bestrebungen, diese zu konsolidieren?
Stefan Plogmann:
Klar sind wir immer daran zu prüfen, wo wir vereinfachen können. Aber alles zu seiner Zeit. Socar ist in vielen inhomogenen Geschäftsfeldern tätig. Wir betreiben Tankstellen, was für sich schon ein Prozess mit einer einigermassen hohen Komplexität ist. Denn eine Tankstelle ist nicht nur Retail, also Privatkundengeschäft, sondern wir müssen auch die Treibstoffversorgung sicherstellen. Hinzu kommt unser Geschäft mit Firmenkunden: wir beliefern andere Tankstellen, Grossbetriebe oder Busunternehmen. Wir betreiben auch eine Abfüllanlage für LPG-Flaschen (Liquified Petroleum Gas, Flüssiggas), samt Vertriebsorganisation. Auch im Bereich Luftfahrt sind wir Zulieferer, hier beliefern wir über Flug­häfen die Airlines. So erklärt sich die hohe Zahl an Applikationen, die wir benötigen. Allein 25 oder 30 Applikationen hängen ganz spezifisch mit dem Ölgeschäft zusammen. Spezialanwendungen für die Schweizer Mineralölsteuer zum Beispiel. Oder Software für die Steuerung und Planung der Logistik rund um die Tankbestände in den Fremddepots. In solchen Bereichen finden Sie keine Standardsoftware, das sind alles selbst entwickelte Applikationen, die wir von Exxonmobil übernommen haben und die teilweise sehr alt sind. Zum Glück haben wir noch Kontakte zu den Leuten, die diese Applikationen zum Teil in den 90er-Jahren entwickelt haben und uns im Notfall auch helfen.

Gibt es angesichts dieses Zustands Bestrebungen, diese Applikationen auf eine moderne, einheitliche Architektur zu migrieren und sie zu modernisieren?
Markus Gasser:
Natürlich ist das ein Fernziel. Wir sind mit der beschrieben Situation nicht zufrieden, und gewisse Anwendungen sind auch von der Hardware abhängig, auf der sie laufen, und diese Hardware kommt irgendwann ans Ende ihres Lebenszyklus. In den letzten zwei Jahren lag unser Fokus allerdings darauf, die Firma beziehungsweise die Infra­struktur erst mal zum Laufen zu bringen und sie dann zu konsolidieren. Das haben wir inzwischen geschafft. Jetzt können wir uns an zukunftsgerichtete Projekte machen, und dazu gehören sicher auch die selbstentwickelten Business-Applikationen. Allerdings wird dieser Prozess Zeit beanspruchen, denn einiges ist nicht ganz trivial.

Gäbe es auch die Möglichkeit, gewisse Anwendungen in SAP zu integrieren?
Markus Gasser:
Diese Möglichkeit besteht, allerdings finde ich, dass man hier nicht naiv sein darf. Einige unserer Eigenentwicklungen besitzen zwar eine komplexe Business-Logik, sind aber an sich gar nicht so kompliziert. Will man diese Anwendungen aber in SAP integrieren, muss man auf die Kosten achten. Schliesslich sind die Tagessätze von SAP-Beratern doch deutlich höher als die von anderen Entwicklern. SAP ist in meiner Beurteilung dann geeignet, wenn man das übernehmen kann, was standardmässig geboten wird. Sobald Custom-Applikationen in SAP ungesetzt werden, kauft man sich auch einen komplexen Upgrade-Prozess, für den man bei jedem Release-Wechsel kostspielige Testszenarien fahren muss, um sicherzustellen, dass alles noch läuft.

Socar hier in der Schweiz ist ja Teil des globalen Socar-Konzerns. Wie weit sind Sie hier IT-mässig verknüpft?
Stefan Plogmann:
Um das klar zu sagen: Wir sind vollkommen eigenständig. Das geht so weit, dass ich immer wieder im Scherz sage, dass Socar vermutlich kantonaler als die Schweiz ist (lacht …). Aber es ist wirklich so, dass die Firma stark dezentral funktioniert. Das hat Vor- und Nachteile. Teilweise wäre es sicher schön, könnte man Lösungen aus dem Regal des Mutterhauses nehmen und müsste nicht für jedes Land einen eigenen E-Mail-Server betreiben, um nur ein Beispiel zu nennen. Sehr positiv ist: Wir können frei entscheiden und haben eine grosse Flexibilität und Geschwindigkeit, die grosse internationale Konzerne nicht haben.



Gibt es Bestrebungen, im IT-Bereich gewisse Teile zu globalisieren?
Markus Gasser:
Wir haben bei Socar in der Schweiz ja unser Datencenter und unsere Infrastruktur in den letzten zwei Jahren rundum erneuert, und wir sind in den letzten Zügen des Aufbaus einer Private-Cloud-Infrastruktur. Dabei überlegen wir uns natürlich auch, ob wir hier, aus der Schweiz heraus, nicht anderen Socar-Länderorganisationen Dienste anbieten können. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, es gibt Bestrebungen hinsichtlich einer Globalisierung der IT-Dienste, wobei wir in der Schweiz aber als Service Provider auftreten wollen. Denn die Schweiz bietet einige Standortvorteile, gerade im Bereich Infrastruktur, und ist bekanntlich prädestiniert für das Thema Datenhaltung.


Können Sie sonst noch etwas zu aktuellen Projekten erzählen?
Markus Gasser:
Ein Projekt beschäftigt sich mit der Erneuerung der Kassensysteme. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bei Themen wie Mobile Payment ganz vorne mit dabei zu sein. Hier sind wir im Moment am Evaluieren.
Welche Lösungen schauen Sie sich im Mobile-Payment-Umfeld an?
Stefan Plogmann:
Es ist im Moment noch ziemlich unklar, in welche Richtung sich die Branche entwickelt. Tapit ist in diesem Sommer live gegangen, wir waren hier auch am Ball und wären eigentlich am liebsten bei der Lancierung dabei gewesen, doch unsere Kassensysteme haben die Integration nicht mit vertretbarem Aufwand zugelassen, weil die Software zu alt ist. Wir schauen uns aber im Moment viele verschiedene Mobile-Payment-Lösungen an, bevor wir entscheiden, worauf wir letztlich setzen werden. Darunter hat es auch Lösungen für das Bezahlen mit dem Handy à la Tapit. Mit entscheidend wird zudem sein, auf welche Technologien die Hersteller der Kassensysteme setzen. Aber es ist eine Tatsache, dass man als Vorreiter immer Gefahr läuft, auf das falsche Pferd zu setzen. Eine Prognose, was sich durchsetzen wird, kann im Moment niemand abgeben. Der Kunde wünscht sich Systeme, alle Marktteilnehmer gehen in irgendeine Richtung, aber niemand weiss, welche Richtung stimmt – ein merkwürdiger, aber auch spannender Zustand.
Markus Gasser: Ein weiteres Projekt, das ansteht, ist zudem ein Umzug. Wir werden innerhalb Zürichs bis nächsten Sommer neue Büros beziehen. Im Rahmen des Umzugs werden wir verstärkt auf Unified Communication setzen. Wir nutzen heute schon IP-Telefonie, wollen in Zukunft aber mehr auf Softclients gehen und zusätzliche Dienste anbieten wie etwa Videokonferenzen oder Präsenta­tionsmöglichkeiten. Dies vor dem Hintergrund, dass wir nebst dem Hauptsitz in Zürich auch weitere Standorte in der Schweiz betreiben, und vor allem auch, dass viele Mitarbeiter insbesondere im Vertrieb auch mobil und von zuhause aus arbeiten. Mit Unified Communication soll die Zusammenarbeit verbessert werden.

Ich führe dieses Gespräch mit Ihnen beiden, weil Herr Plogmann die Leitung der IT aktuell (das Interview fand Mitte Juli 2014 statt, Anm. d. R.) an Herrn Gasser übergibt. Wie läuft diese Übergabe?
Markus Gasser:
Ich bin im Moment daran, so schnell wie möglich alles kennenzulernen. Erst wenn ich alle Belange der IT und die Prozesse fundiert kenne, kann ich auch auf Fakten basierende Entscheidungen treffen. Solange Stefan Plogmann noch da ist, versuche ich zudem, so viel wie möglich aus den vergangenen zwei Jahren von Socar in der Schweiz – quasi die Historie – aufzu­saugen.

Wie lange dauert die Übergabe?
Markus Gasser:
Knapp drei Monate, was sehr lange und somit ein grosses Glück für mich ist.
Stefan Plogmann: Ich habe mich zwar entschlossen, die Firma zu verlassen, aber der Entschluss ist nicht deshalb gefallen, weil ich hier unzufrieden wäre. Dieser Job war oder ist wahrscheinlich mit einer der besten Jobs meiner bisherigen Karriere. Ich werde mir nun eine Auszeit gönnen, will aber vorher alles so sauber wie möglich übergeben – das war mir wichtig.
Markus Gasser: Und das ist natürlich eher die Ausnahme. Kommt es sonst zu einer Trennung, ist es leider meist so, dass der Know-how-Träger beziehungsweise der Vorgänger nur noch ein eingeschränktes Interesse an einer optimalen Übergabe hat. Nehmen Sie das Beispiel Outsourcing: Meine Erfahrung ist leider, dass beim Outsourcing der Outsourcing-Partner immer hell begeistert ist, Wissen zu erhalten. Beim Insourcing aber hat er oft keine grosse Lust, sein Wissen weiterzugeben – warum auch? Schliesslich gibt es nichts mehr zu verdienen, und der Auftrag ist weg. Bei der Übergabe der IT-Leiter-Position ist das oft ähnlich.

Eine letzte Frage: Der IT-Leiter gehört bei Socar nicht zur Geschäftsleitung. Ist das ein Nachteil?
Markus Gasser:
Diese Firma tickt etwas anders als andere Unternehmen, die ich kenne. Man ist mit der Geschäftsleitung per Du, die Türen sind immer offen, und das wird auch gelebt. Wir sind ein echtes Schweizer KMU. Die IT ist zum Beispiel permanent im Gespräch mit allen Geschäftsleitungsmitgliedern und allen Abteilungen. Wir verschaffen uns Gehör, und die Socar-IT-Abteilung wird als Business-Partner und nicht als Fachabteilung wahrgenommen. Insofern würde sich eigentlich kein Vorteil ergeben, würde der IT-Leiter in der GL setzen.
Stefan Plogmann: Ich persönlich wollte das auch nie, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich war schon so wöchentlich an der Geschäftsleitungssitzung, wo man sich über den Stand der IT ausgetauscht hat – das Ganze aber sehr informell. Dadurch war ich immer informiert da­rüber, was gerade läuft. Wäre ich auch noch in der Geschäftsleitung gewesen, hätte es für mich eigentlich nichts zu gewinnen gegeben, ausser dass ich mich nebst IT- auch noch mit anderen Fragen hätte auseinandersetzen müssen. Und als IT Manager hatte ich die letzten zwei Jahre schon mehr als genug zu tun. (mw)


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