Swiss IT Magazine: Herr Blumenstiel, wie sind Sie in die IT gekommen?
Sven Blumenstiel: Über einen kleinen Umweg. Ich habe während meinem Studium nebenbei Geld damit verdient, für die biologische Forschung an der Universität Software zu entwickeln. Was folgte, war eine typische Karriere in der IT von der Software-Entwicklung über die Verantwortung für den Betrieb der Systeme bis hin zur Übernahme von gewissen Führungsaufgaben und schliesslich der gesamten IT. Und ich bin nach wie vor mit Herzblut dabei.
Seit zwei Jahren sind Sie CIO bei Phonak. Welche Themen beschäftigen Sie aktuell?Es gibt, wie das bei einer IT als Betriebseinheit üblich ist, immer viele Themen. Man hält das, was bereits da ist, sauber am Laufen. Hinzu kommen Projekte, die auch bei uns natürlich immer zahlreich vorhanden sind, die es erfolgreich durchzuführen gilt. Wir sind ein sehr innovationsgetriebenes Unternehmen, was immer wieder auch auf die IT durchschlägt.
Können Sie noch etwas konkreter werden?Wenn wir den Bereich IT-Management betrachten, gibt es momentan zwei grosse Themen. Das eine ist die strategische Neuausrichtung der IT, die im letzten Jahr mit der Geschäftsleitung diskutiert und ausgearbeitet wurde und wo nun die ersten Initiativen gestartet wurden. Das zweite grosse Thema ist, dass das Unternehmen in den letzten Jahren sehr stark gewachsen ist, auch international, und wir die IT entsprechend aufstellen wollen. Ausgehend von der starken Präsenz der zentralen IT in der Schweiz, bauen wir im Moment die IT auch stark ausserhalb der Schweiz auf. In einem ersten Schritt steht Nordamerika im Fokus, mittelfristig folgen aber auch Schwellenmärkte, insbesondere in Asien, um auch dort mit dem Geschäftswachstum Schritt zu halten und die nötigen Services und die nötige Infrastruktur effizient bereitstellen zu können.
Also wird die IT dezentralisiert?Nein, das kann man so nicht sagen. Wir haben eine gute Balance, wobei wir sicherlich von einer eher dezentralen Aufstellung der IT kommen, bedingt durch das schnelle Wachstum aber auch durch die Zukäufe, die die Sonova-Gruppe über die Jahre getätigt hat. Wir haben viele allgemeine Services zentralisiert, zum Beispiel die ganze Backend-Infrastruktur oder das Client-Management. Aber wir leisten uns nach wie vor auch eine dezentrale Präsenz. Wir haben an jedem Standort Mitarbeiter, die für die IT zuständig sind, vor allem um den Kontakt mit den lokalen Mitarbeitern und dem Geschäft nicht zu verlieren. Das lohnt sich. In einer jährlichen Umfrage, in der wir die Zufriedenheit der Mitarbeiter erheben, schneiden wir immer gut ab. Die Zufriedenheit mit der IT liegt im oberen 80-Prozent-Bereich. Das ist aus meiner Erfahrung ein sehr hoher Wert, auf den wir stolz sein können.
Sie haben eine neue IT-Strategie angesprochen. Wie sieht diese aus?
Es gibt drei grosse Eckpfeiler. Ein wichtiges Thema beziehungsweise eine grosse Frage war, ob wir die IT für Sonova – ich verantworte ja die IT der gesamten Gruppe – eher divisionsspezifisch oder über die ganze Gruppe hinweg aufstellen wollen. Die Entscheidung ist klar dahingehend gefallen, Sonova in den Vordergrund zu stellen, und wir versuchen nun, sinnvolle Synergien über die verschiedenen Brands hinweg zu erzielen und zu nutzen. Das ist an manchen Stellen einfacher, zum Beispiel im Infrastruktur-Bereich, anderenorts muss natürlich den verschiedenen Strategien der verschiedenen Bereiche Rechnung getragen werden. Das Ziel ist aber ganz klar, dort, wo wir in der Vergangenheit sehr spezifische Lösungen hatten, immer mehr zu gemeinsamen Plattformen und Infrastrukturen zu kommen. Die zweite grosse Frage war, wo wir unsere IT eigentlich hin entwickeln wollen. Klassisch, wie in vielen anderen Unternehmen, kommt sie auch bei uns eher aus dem operativen Bereich, also aus dem Betrieb der Systeme. Technologie und IT nimmt aber einen immer grösseren Stellenwert ein. Wir haben uns deshalb vorgenommen, uns, also die IT, ganz klar und noch stärker als internen Service-Partner zu positionieren. Das heisst, dass wir die Skills um das Business herum noch stärken müssen. Wir brauchen heute nicht nur technische Experten, sondern auch Mitarbeiter, die das Geschäft gut genug verstehen, um die Bedürfnisse aufzunehmen, zu diskutieren und entsprechend in Lösungen umzusetzen.
Fehlt noch der dritte Eckpfeiler.Genau. Der dritte Eckpfeiler, den wir definiert haben, betrifft das Thema «buy or build». Wir sind ein Unternehmen, das ein High-Tech-Produkt herstellt – ein Hörgerät ist heute im weitesten Sinn auch ein Computer. Das bedingt, dass wir Mitarbeiter haben, die sehr technologie-orientiert und auch sehr versiert darin sind. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass viele Leute Ideen haben, und zwar nicht nur was das Produkt betrifft, sondern auch wenn es um Business Software oder dergleichen geht. In der Vergangenheit haben wir deshalb sicherlich die Tendenz gehabt, dass wir sehr viel selber entwickelt haben. Das ist natürlich eine grosse Herausforderung was den Betrieb und die Betriebskosten angeht. Darum haben wir in der Strategie jetzt eine klare Differenzierung festgelegt und schauen immer, wenn neue Lösungen anstehen, ob das nicht ein Standardprozess ist. Falls ja, dann fahren wir Eigenentwicklungen und Customizing zurück und bündeln unsere Energien lieber dort, wo sie uns als Unternehmen weiterbringen.
Ich spüre, dass die IT bei Phonak einen grossen Stellenwert hat.Ja, die IT wird bei uns, in einem Unternehmen der Medtech-Branche, definitiv anders gesehen und höher eingestuft als anderswo. Auch die Begeisterung der Kollegen und Mitarbeiter für die IT ist da. Das Umfeld ist, wie erwähnt, sehr innovativ. Und man darf auch nicht vergessen, dass die klassische Grenze zwischen dem Produkt und den Business-Systemen, die wir vielleicht einmal hatten, mehr und mehr zu Gunsten übergreifender Services verschwindet. Auch daher kommt die Einsicht oder das Verständnis, dass die IT eine wichtige Komponente im Unternehmen ist.
Würde ohne IT noch etwas gehen?
Nein, jeder Mitarbeiter hat mit IT zu tun, und ganz ohne IT stünden bei uns die Räder still. Bereits wenn das SAP oder E-Mail nur «husten», glühen bei uns die Telefone schon. Es ist unabdingbar, dass alles rund läuft, und wir haben eine entsprechende Ausfallsicherheit vorgesehen. Das ist allerdings auch unser Anspruch, also dass man die Standard-IT als selbstverständlich erwarten kann, wie den Strom aus der Steckdose.
Wie viele Mitarbeiter kümmern sich um die IT?
Wir haben die IT organisatorisch geteilt. Die Corporate IT verantwortet die zentrale Infrastruktur, verteilt über mehrere Standorte. Hauptorte sind die Schweiz und die USA. Dann haben wir noch IT-Mitarbeiter, die dezentral oder an den einzelnen Standorten sowohl für spezifische Systeme und die lokale Infrastruktur als auch für den Support zuständig sind. Es sind insgesamt etwa 200 Mitarbeiter, und ich glaube, dass wir damit sehr gut und relativ schlank aufgestellt sind. Wir liegen kostenseitig auch immer unter den Benchmarks der Industrie. Das zeigt, dass wir effizient arbeiten und über ein schlagkräftiges Team verfügen.
Wie gross ist Ihr Budget?
Das wächst mit dem Unternehmen. Wir sind in der positiven Situation, dass wir, wie angesprochen, unter den gängigen Benchmarks liegen und das Management ganz klar weiter in die IT investieren will und sich der Bedeutung der IT durchaus bewusst ist. Wir dürfen aber natürlich nicht erwarten, dass «die Bäume in den Himmel wachsen» und müssen im Interesse des Gesamtunternehmens weiterhin moderat arbeiten.
Gibt es im Unternehmen noch weitere, IT-affine Mitarbeiter? Sie haben erwähnt, dass die klassische Grenze zwischen dem Produkt und der IT zusehends verschwindet.
Ja, es gibt durchaus noch IT-Spezialisten in anderen Bereichen. Wir haben beispielsweise im Produktbereich zahlreiche Entwickler, die die Embedded-Software für unsere Hörgeräte entwickeln. Aber auch im Bereich Produktion gibt es Entwickler-Teams. Eines davon kümmert sich zum Beispiel um eine spezielle CAD-Lösung für den 3D-Druck von Hörgerätekomponenten.
Ist es schwierig, neue IT-Mitarbeiter zu finden?
Absolut. Wir haben auf der einen Seite einen guten Ruf, sind sehr bekannt und werden als Arbeitgeber geschätzt. Nichtsdestotrotz ist es sehr schwierig, der Markt ist sehr eng. Das merken wir hier in der Schweiz ganz besonders. Aber auch in den USA ist es so. Und da wir einen Mix von Fähigkeiten und nicht nur reine Spezialisten suchen, ist es noch einmal schwerer. Zudem muss es natürlich auch kulturell passen.
Bilden Sie auch selber IT-Leute aus?
Ja, das tun wir, und zwar sowohl System-Techniker als auch Informatik-Praktiker. Zudem bilden wir auch Applikations-Entwickler aus. Die Ausbildung haben wir nicht zuletzt auch auf Initiative der Geschäftsleitung im vergangenen Jahr ausgebaut und werden sie noch weiter ausbauen. Aber auch hier ist es eine Herausforderung, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Kommt hinzu, dass man am Ende der Ausbildung auch eine passende Stelle zur Verfügung haben sollte.
Machen Sie eigentlich alles selber?
Wir hinterfragen immer sehr stark, ob es Sinn macht oder nicht. Um unser Netzwerk kümmert sich beispielsweise T-Systems. Wir arbeiten auch im Softwarebereich sehr stark mit verschiedenen Herstellern zusammen. Dell liefert sowohl die Hardware als auch gewisse Standardsoftware für uns. Was klassisches Outsourcing betrifft, sind wir hingegen relativ konservativ. Wir haben bisher bewusst immer wieder die Entscheidung getroffen, dass wir lieber Spezialisten in den einzelnen Projekten dazu nehmen und weniger ganze Blöcke nach draussen geben. Das hat sich insbesondere in den letzten Jahren, in denen sich das Unternehmen sehr stark verändert hat und gewachsen ist, bewährt. Wir konnten so relativ rasch reagieren und das Business entsprechend unterstützen.
Um wie viele Clients kümmern sich die rund 200 IT-Spezialisten?
Wir haben im Unternehmen alles in allem 9500 IT-Arbeitsplätze. Für den grössten Teil unseres Geschäfts haben wir seit einem vor kurzem abgeschlossenen, zweijährigen Client-Management-Projekt einen einheitlichen Standard aus Hardware und Software, basierend auf Windows 7, inklusive einer Lösung im Backend, um die ganze Sache möglichst einfach administrieren zu können. Wir können jetzt quasi auf Knopfdruck Updates einspielen und helfen, wenn es Probleme gibt. Zu den klassischen Arbeitsplatzgeräten kommen dann noch zahlreiche IT-Arbeitsplätze in der Produktion oder Fertigung sowie auch Geräte, die in unseren eigenen Shops stehen.
Wie sind Sie Server-seitig aufgestellt?
Wir haben unsere Serverlandschaft vor fünf Jahren sehr stark konsolidiert und virtualisiert. Wir haben im Raum Zürich zwei Rechenzentren, in denen unsere Serverinfrastruktur steht. Wir setzen dabei ganz bewusst auf den Standort Schweiz. Wir haben mittlerweile über 95 Prozent der rund 500 Server virtualisiert, dank dem lassen sie sich mit einem sehr kompakten, internen Team betreiben. Was bleibt, ist natürlich der eine oder andere Server draussen im Feld, also in den Niederlassungen.
Ist die Cloud für Sie ein Thema?
Ja, wir nutzen bereits einzelne Cloud-Dienste, sind aber auch hier sehr selektiv, insbesondere was die Risiken, das Kosten-Nutzen-Verhältnis, aber auch andere Faktoren betrifft.
Sie haben also Sicherheitsbedenken?
Die Sicherheit ist sicher ein Thema in diesem Zusammenhang. Wir müssen sehr genau überlegen, was wir überhaupt nach draussen geben wollen – wobei ich nicht der Ansicht bin, dass es generell sicherer ist, wenn ich etwas selber mache. Es gibt professionelle Anbieter, denen wir vertrauen können und mit denen wir auch zusammenarbeiten. Ein anderes Thema ist, dass Cloud Services überall und relativ einfach zu nutzen sind. Das Interesse der Mitarbeiter dafür ist gross. Das freut uns auf der einen Seite, andererseits müssen wir den Anwendern aber auch bewusst machen, wo bei allen Vorteilen die Risiken liegen.
Apropos Risiken und Mitarbeiter: Wie gehen Sie mit dem Thema Bring your own Device um?
Das ist absolut auch ein grosses Thema, ich glaube in jedem Unternehmen. Im PC-Bereich haben wir den Schritt bis jetzt noch nicht gewagt. Den Security-Bereich, den könnten wir sicher abdecken. Aber man muss natürlich auch sicherstellen, dass die Vielzahl der Anwendungen, die wir nutzen, miteinander und mit der Plattform kompatibel sind. Da ist die Variabilität, die BYOD mit sich bringt, noch ein Stück weit zu gross. Wo wir BYOD natürlich massiv haben, ist im Smartphone- und Tablet-Bereich. Um hier die Security zu erhöhen, haben wir im letzten Jahr eine MDM-Lösung von Airwatch auf allen Endgeräten, also auch auf denen, die nicht firmeneigen sind, installiert.
Von wie vielen Smartphones und Tablets sprechen wir?
Es kommen sicher noch einmal 3000 bis 3500 Geräte hinzu, zu den bereits erwähnten rund 9500 IT-Arbeitsplätzen im Unternehmen, insbesondere wenn man die Privatgeräte mitrechnet.
Wo werden die Tablets eingesetzt?
Das ist unterschiedlich. Im Wesentlichen im Aussenkontakt mit dem Kunden. Viele unserer Sales-Organisationen haben Tablets zur Verfügung. Die Nutzung im internen Bereich ist hingegen noch gering. Ich würde sagen, wir befinden uns momentan in einer Pilotphase.
Ein Tablet ersetzt also in absehbarer Zeit noch kein Notebook?
Nein, soweit ist es noch lange nicht. Sicherlich macht ein Tablet an gewissen Stellen Sinn, beispielsweise um an einem Meeting oder am Flughafen schnell eine E-Mail zu beantworten. Aber viele der Backend-Systeme laufen auf Tablets noch nicht.
Fehlt es auch an den richtigen Geräten?
Im Gegenteil, es gäbe viele vernünftige Geräte. Wir haben uns in der IT in den letzten Jahren ganz generell darüber gefreut, dass sich der Markt etwas konsolidiert und fokussiert hat und Standards etwas klarer geworden sind. In den letzten zwei, drei Jahren haben wir nun das Gegenteil erlebt, die Vielfalt nimmt wieder zu. Auch bei der angesprochenen Airwatch-Lösung mussten wir genau überlegen, was wir unterstützen wollen. Klar muss man heute iOS unterstützen, und auch Blackberry will man noch behalten. Klar muss man auch Android unterstützen, aber welche Ausgabe? Hier gibt es ja unzählig viele Versionen. Es ist ein konstantes Abwägen in diesem Umfeld. Das ist sicher eine grosse Herausforderung für jede IT, insbesondere im Corporate-Umfeld, wo man immer auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis abwägen muss.
(mv)