Fabian Cancellara und Co. kämpfen wieder um Etappensiege und das warme Frühlingswetter lockt auch viele Hobbysportler wieder nach draussen auf ihre Fahrräder. Auch ich, zugegebenermassen nur ein Schönwetterfahrer, habe kürzlich die erste Velotour gemacht. Und wie es der Zufall will, durfte ich kurz darauf eine Testfahrt mit dem neuen Schweizer E-Bike Stromer ST2 unternehmen, das erst seit Mitte März im Handel erhältlich ist. Erste Kunden sollen nach Ostern beliefert werden.
Die selbst entwickelte Cloud-Plattform Omni ermöglicht es, via Smartphone mit dem Bike zu kommunizieren. (Quelle: Stromer)
Im neuen Stromer ST2 steckt viel Technik, beispielsweise ein GPS-System oder ein SIM-Chip. Die Reichweite des Akkus liegt bei bis zu 150 Kilometern. (Quelle: Stromer)
Bis zu 45 km/h schnell
Bisher dachte ich, ein E-Bike sei etwas für ältere Menschen oder Manager, die im Anzug ins Büro radeln wollen. Ich habe mich geirrt. Ein E-Bike wie der neue Stromer ist durchaus auch etwas für mich, einen IT-affinen und sportlichen Mitdreissiger. Besonders beeindruckt hat mich das Tempo. Im dritten «Gang», also mit voller Motorenunterstützung, beschleunigt man nämlich in wenigen Sekunden von 0 auf 45 km/h, die Höchstgeschwindigkeit. Das heisst, bei 45 km/h schaltet sich der Elektromotor aus, mit Muskel- oder Schwerkraft geht es natürlich noch schneller. Mit kräftigem in die Pedale treten kann man auch den auswechselbaren Lithium-Ionen- Akku schonen, der im Optimalfall bis zu 150 Kilometer durchhält und sich unter anderem durch die Energie, die beim Bremsen entsteht, wieder aufladen lässt.
Imponiert hat mir auch die viele Elektronik, die im ST2 steckt. Das beginnt damit, dass ich, bevor ich überhaupt losfahren kann, das Fahrrad wie meinen PC erst einschalten muss. Neben dem Elektromotor geht dann auch ein kleiner Computer samt einem in der Mittelstange eingebauten Display an. Darauf werden Informationen wie das aktuelle Tempo, der Akku- ladestand und die Stufe der Motorenunterstützung angezeigt – geschaltet wird am Lenker.
Smartphone-Verbindung
Der kleine Computer, der unter dem Display steckt, beinhaltet ein GPS-, Bluetooth- und Mobilfunk-Modul und kommuniziert damit fleissig mit anderen Geräten. Dank einer Zusammenarbeit mit Swisscom und der Nutzung der M2M-Plattform des Telekomunternehmens ist das Fahrrad sogar mit dem Internet verbunden. Stromer nutzt dies für den Zugriff auf eine in den vergangenen zwei Jahren selbst entwickelte und Cloud-basierte Plattform namens Omni.
Omni verbindet das Fahrrad mit einer App für iOS- und Android-Smartphones – weitere Geräte und Plattformen werden in naher Zukunft nicht unterstützt – sowie einem Online-Portal mit Namen Stromer Portal, das via Browser für Händler und den Kundendienst zugänglich ist. Die Stromer App ermöglicht es, die Leistungseinstellungen des E-Bikes zu verändern. Zudem kann man das Fahrrad damit auch remote sperren und entsperren. Das eingebaute GPS-System lässt es ausserdem zu, das Velo aus der Ferne aufzuspüren.
Diebstahlschutz und Navi
Omni ermöglicht aber nicht nur einen gewissen Diebstahlschutz, die Plattform bietet in Verbindung mit der Energybus-Schnittstelle auch Remote-Zugriff auf den Systemstatus des E-Bikes (z.B zur Gesundheit des Akkus oder des Motors) sowie auf Serviceeinträge und Wartungspläne. Service-Techniker von Stromer können so aus der Ferne bei der Beseitigung kleinerer Probleme am E-Bike helfen – natürlich nur, falls diese nicht mechanischer Natur sind. Zudem werden via Omni drei bis vier Mal im Jahr drahtlos Firmware-Updates eingespielt. Momentan ist Omni ein abgeschlossenes System. Gemäss Dominic Isenschmid, Product Development & Innovations bei Stromer, aber nicht mehr lange, arbeitet man doch an einer API für Drittentwickler. Und es gibt auch schon erste Ideen, wie man diese Schnittstelle nutzen könnte. Das Berner Unternehmen Geo7 soll beispielsweise an einer Navigations-App arbeiten, die auf dem Smartphone läuft und via Omni Informationen wie bevorstehende Richtungsänderungen ans E-Bike schickt. Diese sollen dann auf dem im Rahmen verbauten Display angezeigt werden. Man muss also in Zukunft nicht mehr am Strassenrand fragen oder gar das Handynavi konsultieren, um den richtigen Weg zu finden.
Hoher Preis, hohes Gewicht
Der neue Stromer bietet also nicht nur viel Speed und Fahrspass, sondern auch eine ganze Menge technischen Schnickschnack – für einige vielleicht sogar etwas zu viel. Falls das der Fall ist, muss man mit dem Stromer ST1 oder einem anderen E-Bike Vorlieb nehmen, denn es gibt derzeit noch keine Möglichkeit, einzelne Funktionen des ST2 auszuschalten oder sogar komplett auf den kleinen Computer und das Display zu verzichten. Dafür verspricht der Hersteller, dass sensible Informationen wie beispielweise Positionsdaten nur vom Besitzer eines ST2 selber gesehen werden können. Ganz allgemein investiert man laut Dominic Isenschmid viel in den Bereich Security, so dass es beispielsweise nicht möglich ist, dass Fremde ein E-Bike sperren oder die Leistung drosseln können.
Obwohl mir die Testfahrt sehr gefallen hat und mir der neue Stromer ST2 auch optisch zusagt, werde ich ihn wohl kaum kaufen. Ich fahre zu wenig, als dass sich die hohen Anschaffungskosten von 6690 Franken lohnen würden. Und wenn ich unterwegs bin, dann viel auf Wald- oder Feldwegen, auf denen sich mein nur halb so schweres, aktuelles Bike – das ST2 bringt gut 28 Kilo auf die Waage – besser bewegen lässt. Wer aber täglich ins Büro radelt und dies etwas angenehmer haben möchte oder dies bisher wegen einer mörderischen Steigung noch nicht getan hat, der sollte das neue Schweizer E-Bike mindestens einmal Probe fahren.
(mv)