Swiss IT Magazine: Herr Balsiger, was macht die Frutiger Gruppe und wo ist die IT zuhause?
Matthias Balsiger: Die Frutiger Gruppe, zu der die bereits 1869 gegründete Frutiger AG und 24 weitere Gesellschaften im In- und Ausland gehören, ist eines der führenden Unternehmen im Schweizer Baumarkt. Unsere Kompetenzen liegen im Hoch- und Tiefbau, im Tunnel- und Strassenbau, in der Projektentwicklung, Generalunternehmung sowie bei den Bauspezialitäten und im Handel. Wir haben über 2500 Mitarbeitende, davon rund 90 Lernende, und sind in Thun zu Hause. Die Informatik gehört zum Bereich Dienstleistungen und stellt für die ganze Gruppe, also alle Tochtergesellschaften und Abteilungen, die sonst sehr eigenständig am Markt agieren, die Informatik sicher.
Welchen Stellenwert hat die IT für die Firma? Geht es auch ohne?Wir haben über 30 organisatorische Einheiten als Kunden, welche alle IT-Leistungen komplett über uns beziehen. Vor zwei Jahren wurde die IT-Strategie neu erarbeitet. Damals war die Geschäftsleitung der Meinung, dass wir zwei Tage ohne IT weiterarbeiten können, ohne dass wir dadurch Umsatz verlieren. Da auch in unserer Branche die Abhängigkeit von der IT laufend steigt, kann heute aber wahrscheinlich nur noch ein Teil meiner Kunden zwei Tage ohne IT problemlos überbrücken.
Zwei Tage ohne IT wäre für viele andere Unternehmen komplett undenkbar. Wieso für Sie nicht?Wir sind ein Bau-Unternehmen und unsere Wertschöpfung findet auf der Baustelle statt. Ich sprenge und betoniere im Tunnel weiter, auch wenn die IT nicht läuft. Natürlich ist das mittlerweile nur noch halb richtig. Immer mehr Poliere sind heute mit einem Notebook unterwegs und rufen direkt auf der Baustelle Daten ab, machen Bestellungen von Material und haben gewisse Merkblätter gar nicht mehr auf Papier. Zwei Tage ohne IT könnte am einen oder anderen Ort also wie erwähnt tatsächlich zu Einschränkungen führen, aber es ist bei weitem nicht so dramatisch wie beispielsweise in der Industrie. Wenn dort das ERP-System ausfällt, kann man 80 Prozent der Leute nach Hause schicken. Wir verlieren auch nicht gleich Kunden, wenn die IT ausfällt, wie dies bei einem Online-Versandanbieter sicher der Fall ist. Ich würde es zusammenfassend so sagen: Die IT wird immer wichtiger und ich bin überzeugt, wenn wir die IT-Strategie das nächste Mal überarbeiten, wird betreffend der geforderten Verfügbarkeit nicht mehr dasselbe drin stehen wie heute.
Werden auf den Baustellen spezielle Geräte wie Toughbooks genutzt?Nein, wir setzen ganz normale, zum Teil möglichst günstige Notebooks ein. Toughbooks und dergleichen werden genau so dreckig und staubig – und wenn ein Lastwagen darüber fährt, sind auch sie kaputt. Wir haben die Situation erst im vergangenen Jahr neu beurteilt. Dabei haben wir die Anwender auf der Baustelle auch gefragt, ob sie auf Tablets wechseln wollen. Zu meinem Erstaunen gibt es keinen Druck dies zu tun, sicher auch weil es für die meisten Bauprogramme, die wir einsetzen, noch keine Apps gibt. Man kann die Applikationen zwar via unsere Citrix-Umgebung auf einem Tablet nutzen, aber die Bedienung ohne Tastatur und Maus ist dann halt etwas eingeschränkt.
Kommen anderswo Tablets zum Einsatz?Ja, primär im Management und bei den Projektleitern. Dank dem Citrix Receiver können die Mitarbeiter mit einem Tablet von überall auf ihre Daten zugreifen und müssen beispielsweise nicht vier Bundesorder voller Dokumente oder ein Notebook mit an ein Meeting nehmen. Das Tablet ist eine ideale Ergänzung, einen Laptop ersetzt es aber noch nicht. Niemand bei uns kann derzeit nur mit einem Tablet komfortabel arbeiten.
Wie viele Smartphones zählen Sie?Wir haben eine grosse Dichte an Mobiletelefonen. Über 1300 sind im Umlauf, wobei wir drei Gerätetypen unterstützen: Das aktuelle iPhone von Apple, das aktuelle Galaxy S von Samsung sowie ein drittes, günstigeres Gerät für die Baustellen.
Was ist beliebter: iPhone oder Galaxy S?Wer sich bei uns sein Gerät aussuchen kann, wählt zu 90 Prozent ein iPhone. Ein Galaxy S wählen primär die, denen das Display des iPhone zu klein ist.
Apropos Grösse: Wie gross ist Ihr IT-Team?Wir sind eine sehr kleine Crew, verglichen mit dem, was wir alles betreuen und leisten. Aktuell besteht mein Team aus neun Leuten, acht festangestellten und einem temporären Mitarbeiter. Zudem ist aktuell eine Stelle für einen Bau-Applikationen-Betreuer unbesetzt.
Ist es schwer Fachkräfte zu finden?
Die Schwierigkeit, die wir haben, ist, jemanden zu finden, der einerseits einen IT-Background mitbringt, aber sich andererseits auch mit Bauleuten auf Augenhöhe unterhalten kann. Und was bei uns auch immer ein Thema ist, ist das Französisch. Rund ein Viertel unserer Anwender sind in der Westschweiz zu Hause und da wir IT-mässig alles hier zentral von Thun aus erledigen, ist Französisch eigentlich Pflicht.
Bilden Sie selber Informatiker aus?
Nein, wir bieten in der IT derzeit keine Lehrstelle an. Wir haben dies aber bereits mehrfach diskutiert. Aufgrund der vielen grossen Projekte der letzten Monate und der Fluktuation im Team haben wir uns bislang dagegen entschieden, aber mittelfristig werden wir das sicher tun.
Ich betrachte gerade Ihr Organigramm. Dabei fällt mir auf, dass Sie vergleichsweise viele Frauen beschäftigen. Ist das ein Zufall?
Wir haben überdurchschnittlich viele Frauen bei uns in der IT, das ist so. Wir haben zwei ausgebildete Informatikerinnen, die gerade die Weiterbildung zum Fachausweis machen. Zudem haben wir eine Betriebswirtschafterin, die den Weg in die IT gefunden hat und nun unsere kaufmännischen Applikationen betreut. Die Situation hat sich so ergeben, da steckt keine Strategie dahinter. Es tut dem Team aber sicher gut.
Werden die Frauen respektiert?
Frauen in der IT müssen täglich beweisen, dass sie etwas können. Es kommt vor, dass User und Lieferanten, welche unseren IT-Support anrufen und die Mitarbeiterinnen noch nicht kennen, meinen, sie seien erst bei der Telefonistin gelandet. Aber sie merken dann rasch, dass sie richtig sind, weil unsere Informatikerinnen einiges drauf haben und die Anliegen sehr kompetent bearbeiten.
Sie haben grosse Projekte angesprochen, die Sie in den letzten Monaten beschäftigt haben. Können Sie mehr darüber erzählen?
Als ich im November 2011 bei Frutiger angefangen habe, war die komplette IT-Infrastruktur sehr alt und den aktuellen Bedürfnissen nicht mehr gewachsen. Durch das Wachstum des Unternehmens in den letzten Jahren und die stärkere Nutzung von IT-Mitteln in den verschiedenen Bereichen ist die kontinuierliche Erneuerung auf der Strecke geblieben. Die IT-Abteilung war nur noch in der Lage, neben den verschiedenen Firmenintegrationen das Tagesgeschäft durchzuführen. Deshalb wurde die Erneuerung der IT-Infrastruktur immer wieder verschoben. In den letzten zwei Jahren haben wir mit über 50 Projekten die komplette IT-Infrastruktur von Grund auf erneuert und sind nun betreffend Hardware und Software wieder auf dem neuesten Stand.
Auf dem neuesten Stand heisst, auf Ihren Clients läuft Windows 8?
Nein, dass dann doch nicht. Wir haben von August 2012 bis Februar 2013 alle unsere rund 600 Clients erneuert und von Windows XP auf Windows 7 migriert. Wir hatten dabei bereits einige Probleme, nämlich dass alle der über 100 verschiedenen Spezialprogramme, die bei uns genutzt werden, weiter laufen. Dasselbe Problem hatten wir letztes Jahr, nachdem wir unsere SQL-Farm auf die 2012er-Version umgestellt haben. Natürlich, es wäre technisch nicht derselbe Sprung von 7 auf 8 beziehungsweise 8.1, aber von den meisten Lieferanten bekäme ich vermutlich keine Freigabe und müsste mir selber helfen. Ausserdem sehe ich in Windows 8 derzeit keinen Mehrwert für die geschäftliche Nutzung. Ich glaube es gibt bei uns nicht Einen, der die Kacheln wirklich vermisst.
Sie scheinen insgesamt sehr Microsoft-lastig zu sein. Ist das so?
Ja, das sind wir. Wir haben kein Oracle, kein SAP und nur einen Linux-Server für die Telefonie, den wir aber auch erst vor einem halben Jahr in Betrieb genommen haben. Mein Vorgänger hatte eine ganz klare Strategie verfolgt, die ich weitergezogen habe, nämlich auf möglichst wenige Hersteller zu setzen. Unsere Notebooks, Computer und Server stammen ausschliesslich von HP, im Netzwerk heisst der Hersteller mit dem wir zusammenarbeiten Brocade. Mit unserer kleinen Crew brauchen wir diese Standardisierung, sonst geht es nicht. Wo wir hingegen eine grosse Vielfalt haben, ist bei den Applikationen, das habe ich ja bereits angesprochen. Da unsere Gruppe Leistungen von der Bauproduktion über Gesamtlösungen bis hin zu Spezialarbeiten und Handel erbringt, sind die Bedürfnisse und die eingesetzten Programme sehr vielseitig. So betreiben wir beispielsweise ein akkreditiertes und zertifiziertes Baustofflabor, welches ganz spezielle Messgeräte und Software für die Baustoffprüfungen nutzt, die nichts mit dem gemeinsam haben, was im Hoch- oder Tiefbau eingesetzt wird.
Auf welchen ERP-Hersteller setzen Sie, wenn nicht auf Oracle oder SAP?
Auch auf Microsoft. Mein Vorgesetzter hat 1998 auf der Cebit die Firma Nemetschek entdeckt und sie überzeugt, dass man ihre auf Navision basierende Branchenlösung für den Bau auch in der Schweiz gut verkaufen könnte. Als Ramp-up-Kunde haben wir das ERP dann noch im selben Jahr eingeführt, anschliessend sind eigentlich alle grossen Mitbewerber unserem Beispiel gefolgt.
Sie setzen also bereits seit 16 Jahren auf Dynamics NAV beziehungsweise Navision. Wie lange noch?
Wir haben uns letztes Jahr überlegt, wie es weiter gehen soll. Einige Mitbewerber haben unterdessen zu SAP oder Abacus gewechselt, zwei andere Hersteller, die Baulösungen für Firmen unserer Grösse in der Schweiz anbieten. Wir haben konkret die auf SAP basierende Baulösung der Swiss IT-Factory angeschaut – ich habe schon vier SAP-Einführungen bei früheren Arbeitgebern durchgeführt, somit lag das fast auf der Hand. Wir sind dann zum Schluss gekommen, dass die von den Fachbereichen gestellten Anforderungen weiterhin mit den verschiedenen auf Navision basierenden Brachenmodulen abgedeckt werden können. Zudem haben wir diese Module bereits lizenziert und unsere Anwender kennen sich damit aus. Entscheidend war diesbezüglich sicher auch, dass sich Nemetschek verpflichtet hat, Bau Financials für Dynamics NAV 2013 neu zu entwickeln, so dass wir danach die Vorteile der Drei-Schichten-Architektur werden nutzen können.
Es steht also bald eine grosse ERP-Modernisierung an?
Die ist bereits voll im Gang. Im letzten Juni haben wir uns entschieden, auf den 1. Januar 2014 eine komplette ERP-Neueinführung für 25 Gesellschaften unserer Gruppe zu machen. Eine Neueinführung deshalb, weil das bestehende System bei den Nummernkreisen am Anschlag war und viele der vorhandenen Daten für das Tagesgeschäft nicht mehr benötigt wurden. Zudem konnten wir so die aufwändige Migration von der nativen NAV-Datenbank auf MS SQL umgehen und die Strukturen gemäss den aktuellen Bedürfnissen inklusive Reserven für zukünftiges Wachstum neu definieren. Die Januarlohnläufe und die ersten Leistungsverrechnungen sind bereits planmässig erfolgt und nach dem Quartalsabschluss im April werden wir das Projekt abschliessen.
Sie setzen nun also Dynamics NAV 2013 ein?
Nein, die Version 2009 R2. Das neue Bau Financials für Dynamics NAV 2013 wurde erst vor kurzem durch Nemetschek offiziell präsentiert und wird im Sommer kommen – leider ein bisschen zu spät für uns. Wir hatten einen so grossen Druck, unser veraltetes Navision abzulösen, dass wir nicht abwarten konnten und rasch handeln mussten.
Führen Sie so grosse Projekte jeweils alleine oder mit Partnern durch?
Mit Partnern, wobei wir die Projektleitung und einen Teil der Arbeiten jeweils selber machen und so intern Know-how aufbauen oder erneuern. Wir setzen dabei auf langjährige Partnerschaften wie zum Beispiel mit Bison IT-Services, BNC, Swisssalary oder eben Nemetschek. Das ist uns wichtig. Gleichzeitig habe ich in den letzten Jahren versucht, die Zahl der Partner und Lieferanten zu straffen. Wir haben trotz allem immer noch einige, was unter anderem mit den vielen bereits angesprochenen Spezialprogrammen zusammenhängt, die bei uns eingesetzt werden.
Was für Projekte stehen dieses Jahr noch in Ihrer Agenda?
Aktuell läuft der Abschluss des ERP-Projektes. Gleichzeitig bringen wir auch unser Dokumenten-Management-System auf den neuesten Stand. Dann werden wir noch in diesem Jahr von Symantec Altiris auf Microsoft System Center wechseln, und wir sind daran, den Business Contact Manager für Outlook durch Dynamics CRM Online abzulösen. Zudem erschliessen wir laufend neue Standorte im In- und Ausland. Alleine im vierten Quartal 2013 hat Frutiger die Mitarbeiter von vier Firmen übernommen. Deren IT gilt es dann so rasch als möglich zu integrieren und die neuen Mitarbeitenden mit der Frutiger Standard-IT-Infrastruktur auszurüsten. Weitere Projekte stehen im Bereich der Telefonie an, wo basierend auf der neuen Telefonanlage weitere Dienste in Betrieb genommen und zusätzliche Tochtergesellschaften an die Hauptanlage angeschlossen werden.
Dynamics CRM Online – Sie setzen also auch auf die Cloud?
Ja, nicht zuletzt deswegen, weil wir neben all den anderen Projekten und Aufgaben keine Zeit hatten, es selber zu machen. Ausserdem ist es sehr praktisch, um klein anzufangen. Wir wollten kein grosses CRM-Projekt, sondern mit wenigen Nutzern starten, schauen, dass die Datenqualität stimmt und dann das System Schritt für Schritt ausbauen.
Ist Cloud Computing sonst ein Thema?
Wir haben seit Jahren Private Clouds, Public Clouds nutzen wir derweil vor allem für die Zusammenarbeit mit unseren Geschäftspartnern über Web-Plattformen.
(mv)