Editorial

Sutters Bits & Bytes: Wohlfühlbegriffe in der vorauseilenden Regulierung


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/05

     

Von Zeit zu Zeit muss eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden, damit es nicht langweilig wird – so der Volksmund. Der Telekom-Markt Schweiz glänzt im internationalen Vergleich, die Konsumenten werden verwöhnt. Im soeben neu erschienenen Networked Readiness Index 2013 des WEF rangiert die Schweiz auf dem 6. Rang von 144 verglichenen Ländern.
Aktuell gäbe es somit nichts Neues zu regulieren. Für Freunde bürokratischer Staatseingriffe ein unhaltbarer Zustand. Deshalb wagen sie den Kunstgriff in die regulierungstherapeutische Trickkiste und regulieren präventiv – also auf Vorrat. Das schwindelerregende Regulierungsmodell sieht Reparaturvorschläge vor für nicht vorhandene Probleme. Zur Erhöhung der Akzeptanz beglückt man uns mit sympathisch klingenden Bezeichnungen. Die Schal­meienklänge verhüllen die wahre Absicht, dass in den Markt eingegriffen werden soll. Das soll an zwei Begriffen erläutert werden, die zurzeit in Studien und Berichten durch das Land mäandern: Technologieneutralität und Netzneutralität.
Neutralität tönt schon einmal gut. Der Wohlklang des Begriffs lässt das Herz jedes echten Schweizers höher schlagen. Laut Wikipedia stammt der Terminus vom Lateinischen «neuter» ab, was so viel wie unparteiisch oder keines von beiden bedeutet. Technologieneutralität heisst folglich «keine von beiden Technologien»? Denkste! Das pure Gegenteil trifft zu, es ist genau umgekehrt: Man will nicht wie bisher nur eine Netzart, nämlich die Kupfernetze von Swisscom der staatlichen Fürsorge übergeben, sondern neu und auf Vorrat auch die Glasfasernetze. Und weil es grad in einem geht, gleich auch noch die Kabelnetze und Mobilfunknetze. Ziel der Gleichmacherei ist es, die Investoren sämtlicher Netze gleich schlecht zu behandeln. Weil sich das für Aussenstehende kaum erschiesst, im Folgenden ein Beispiel aus der Lebensmittelbranche.
Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Teigwaren-Neutralität. Würden Sie in eine Teigwarenfabrik investieren, wenn Sie zum vornherein wüssten, dass Ihnen der Staat später einmal die Verkaufspreise für Ihre Spaghetti vorschreiben kann? Natürlich nicht. Die Investitionen kämen zum Erliegen. So geschehen bei den Breitbandinvestitionen in der EU. Dort kennt man die technologieneutrale Regulierung. Resultat: Die modernen Netze müssen dort mangels privater Investoren mit Steuergeldern in Milliardenhöhe subventioniert werden, während sich bei uns die Kabelnetzbetreiber, die Elektrizitätswerke und Swisscom ein eigentliches Investitionswettrennen liefern.

Einer zweiten Kostprobe begrifflicher Verschleierung begegnet man unter dem Wohlfühlbegriff Netzneutralität. Darunter versteht man, dass im Internet alle übertragenen Daten so behandelt werden, dass jeder Inhalteanbieter und jeder Nutzer fairen und gleichberechtigten Zugang zum Internet erhält. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Privilegierung beispielsweise der Übertragung medizinischer Daten im Notfall zulasten von Erotikfilmen wird kaum jemand in Frage stellen. Störend ist hingegen, dass auch hier vorauseilend reguliert werden soll, statt erst einmal abzuwarten, wie sich die Sache entwickelt. Oder auf die Selbstregulierungskräfte der Telekom-Branche zu setzen. Oder auf den gesunden Menschenverstand: Ein Kunde, der sich benachteiligt fühlt, darf nämlich jederzeit den Anbieter wechseln. So einfach ist das.


Fritz Sutter ist Vorstandsmitglied des Schweizerischen Telekommunikationsverbandes Asut und des Dachverbandes ICTswitzerland. In seiner regelmässigen Kolumne im «Swiss IT Magazine» äussert er seine persönliche Meinung.


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