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Telefonie übers Internet: Im Aufwind bei Geschäftskunden
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Telefonie übers Internet: Im Aufwind bei Geschäftskunden

Von Thomas Bachofner

Voice over IP ist noch längst nicht Standard – vor allem nicht im KMU-Land Schweiz. Dies, obwohl die IP-Telefonie gerade für kleine und mittlere Unternehmen interessant ist. Warum sich dies bald ändern könnte und welche Faktoren bei KMU dabei eine Rolle spielen, zeigen einige einleitende Gedanken rund um VoIP.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/01

     

In der Schweiz gibt es auf 100 Einwohner rund 40 Breitband-Anschlüsse – gesamthaft also über drei Millionen. Im Vergleich unter den OECD-Ländern belegt die Schweiz damit den ersten Platz. Eigentlich bietet diese äusserst hohe Breitband-Dichte perfekte Voraussetzungen für das Telefonieren über das Internet, das sogenannte Voice over IP (VoIP). Denn die erste und gleichzeitig einzige Grund-Voraussetzung für die IP-Telefonie ist nach wie vor ein Breitbandanschluss. Ganz so selbstverständlich wie man aufgrund dieser Zahlen annehmen könnte, ist die IP-Telefonie aber noch nicht. Zwar zählt der Bund eine jährlich steigende Anzahl Anschlüsse. Doch insbesondere im Geschäftskundensegment bei den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) braucht es noch Zeit, bis VoIP zum Standard wird. Obwohl bereits einige Firmen den Wechsel in die digitale Welt vollzogen haben, setzt die grosse Mehrheit nach wie vor auf die klassische Telefonie.

ISDN verlangsamt VoIP-Ausbreitung

Ein Grund für den eher zögerlichen Wechsel ist einerseits die hohe ISDN-Penetration in der Schweiz. Der europäische Vergleich zeigt, dass Länder mit einer hohen ISDN- tendenziell eine tiefere VoIP-Dichte haben. Andererseits fallen aber auch die besonderen Rahmenbedingungen von KMU ins Gewicht. KMU haben natürlicherweise ein kleineres Infrastrukturbudget als Grossunternehmen. Auf jeden Trend sofort aufzuspringen, ist für sie deshalb allein schon aus Kostengründen nicht möglich. Dazu kommen knappe personelle Ressourcen. Im Gegensatz zu Grossunternehmen beschäftigen kleine und mittlere Unternehmen in den wenigsten Fällen eigene IT-Spezialisten, die sich um technische Fragen kümmern. Der Wechsel auf eine neue Technologie will deshalb gut überlegt sein. Ein KMU steigt nur dann auf eine neue Technologie um, wenn der Umstieg ohne grossen Aufwand möglich ist und sich ihm daraus ein Nutzen ergibt. Was also nützt es einem Unternehmen überhaupt, wenn es von der klassischen auf die internetbasierte Telefonie umsteigt?

Tiefere Investitionskosten und mehr Flexibilität

Die zwei wichtigsten Faktoren sind die Flexibilität und die Kosteneffizienz. Letztere ist vor allem deshalb gegeben, weil Voice-over-IP – alles in allem gesehen – Einsparungspotenzial bietet. Erstens wird bei VoIP für die Daten- und Sprachübertragung das gleiche Netz benutzt. Da damit ein Netz wegfällt, entstehen weniger Kosten. Zweitens: Es wird keine physisch vorhandene Telefonanlage mehr benötigt. An ihre Stelle tritt eine virtuelle Anlage, Installations- und Betriebskosten für spezifische Hardware fallen weg. Auch die monatlichen Kosten sind tendenziell tiefer. Einerseits ist zu erwarten, dass die nutzungsabhängigen Gebühren sinken oder gar ganz wegfallen werden. Andererseits sind Gespräche innerhalb eines IP-Verbunds – also innerhalb des Firmennetzes – gratis. Dies gilt auch über geografische Grenzen hinaus, zum Beispiel zwischen verschiedenen Standorten.
Ein zweiter Mehrwert von VoIP ist die grössere Flexibilität. Gerade für kleinere Unternehmen ist es häufig schwierig zu planen, wie viele Anschlüsse mittelfristig gebraucht werden. Mitarbeitende können relativ kurzfristig dazukommen oder die Firma wieder verlassen. Häufig arbeiten KMU mit Freelancern oder befristet angestellten Personen, um die Kosten besser planen zu können. Diese hohe und teilweise unvorhersehbare Fluktuation macht es nicht einfach, immer die passende Infrastruktur bereit zu stellen. Denn egal, wie viele Mitarbeitende gerade beschäftigt werden: Sie alle brauchen einen Telefonanschluss. Bei der klassischen Telefonie sind solche Anpassungen relativ aufwendig, da physische Telefonleitungen benötigt werden. Bei Voice-over-IP hingegen müssen lediglich auf der virtuellen Teilnehmervermittlungsanlage Kanäle oder Nummern auf- oder abgeschaltet werden. Dies kann häufig per Remote erledigt werden und es fällt kein physischer Aufwand an. Neue Mitarbeitende oder Standorte können somit innert Kürze aufgeschaltet werden. Ein grosser Vorteil – gerade für Unternehmen mit vielen personellen Wechseln. Die IP-Telefonie bettet sich ideal in den häufig unvorhersehbaren Alltag von Unternehmern ein und bietet ihnen jene Skalierbarkeit, die sie für ihren Arbeitsalltag benötigen. Da auch «mobile Standorte» wie Home-Office-Arbeitsplätze oder der Aussendienst in den VoIP-Verbund integriert werden können, entspricht VoIP gleichzeitig dem zunehmenden Bedürfnis von Mitarbeitenden nach mobilem, standortunabhängigem Arbeiten.

Kulturwandel nötig

VoIP bietet also gerade in zwei für KMU essentiellen Punkten offensichtliche Vorteile. Warum also ist die IP-Telefonie noch nicht längst Standard? Ein Grund dafür mag sein, dass sie immer noch mit Vorurteilen bezüglich der Gesprächsqualität zu kämpfen hat. Diese rühren häufig von Erfahrungen mit der breit bekannten Telefonie über das öffentliche Internet und entsprechenden Gratisdiensten her. Professionelle VoIP-Installationen sind damit allerdings nicht zu vergleichen: Einerseits übermitteln sie die Sprachpakete über eine reservierte Bandbreite, andererseits sorgen spezielle Router und Netzausrüstungen dafür, dass die Sprachpakete gegenüber den Datenpaketen bevorzugt weitergeleitet werden. Die Sprachqualität von VoIP ist deshalb mit derjenigen der analogen Telefonie vergleichbar. Die nach wie vor vorhandene Unsicherheit zeigt aber auf, dass der Wechsel auf Voice over IP auch mit einem Kulturwandel verbunden ist. Viele Nutzer trennen gedanklich Telefon und Internet nach wie vor voneinander – und auch viele Anbieter strukturieren ihre Angebote entlang dieser Trennung. Entsprechend sind bei den Nutzern auch die Merkmale und Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Angebote noch zu wenig bekannt. Diese Denkhaltung zu transformieren, braucht seine Zeit – und Aufklärungsarbeit.

Fliessende Transformation

Aufklärung muss auch geleistet werden, um Firmen mögliche Transformationswege von der klassischen zur IP-Telefonie aufzuzeigen. Denn viele Unternehmen sehen sich mit der Situation konfrontiert, dass sie erst in den letzten Jahren in eine neue, physische Telefonanlage investiert haben. Sie möchten von den bereits getätigten Investitionen weiterhin profitieren und suchen einen fliessenden Übergang auf VoIP. Eine Variante dafür sind die sogenannten SIP-Trunks. Mit ihnen wird eine herkömmliche Telefonanlage über das LAN und DSL an das Internet angeschlossen. So wird es möglich, die bestehende Telefonanlage weiterhin zu nützen und trotzdem von den erwähnten Vorteilen der IP-Telefonie zu profitieren. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen, die ihre Investitionen langfristig amortisieren möchten, können SIP-Trunks eine gute Variante sein, mit der neuen Technologie Erfahrungen zu sammeln und schrittweise auf eine virtuelle Telefonanlage umzusteigen. Denkt man an den erwähnten Kulturwandel, ist es vielleicht gerade diese schrittweise Entwicklung, die für viele Firmen der richtige Weg ist und VoIP zum endgültigen Durchbruch verhelfen wird.

VoIP wird salonfähig

Einen Beitrag dazu wird sicher auch die ständige Weiterentwicklung und Optimierung des Angebots leisten. Der VoIP-Markt ist extrem dynamisch und fördert derzeit kontinuierlich Neuerungen zu Tage, die VoIP je länger desto mehr massenmarktfähig machen. Drei Beispiele seien abschliessend erwähnt:
- Smartphone Apps: Diese Apps lassen die Technologien endgültig verschmelzen. Apps ermöglichen es, mit dem Smartphone über die VoIP-Telefonie-Infrastruktur des Unternehmens, also quasi über das Festnetz, zu telefonieren. Der Empfänger des Anrufs wird immer von der gleichen Rufnummer angerufen und merkt von alldem nichts. Der Mitarbeitende kann mit dem Smartphone telefonieren als wäre er im Büro und gleichzeitig seinen Büroanschluss, beispielsweise für eine Anrufumleitung, fernsteuern. Mit Apps kann die IP-Telefonie auch mobil genutzt werden und die Grenzen zwischen den Technologien verschwinden: Festnetz-, IP- und Mobiltelefonie werden eins.
- Unabhängig von Telefonanlage: Firmen brauchten bisher eine physische Telefonanlage, um über einen IP-Verbund telefonieren zu können. Das wird in Zukunft nicht mehr nötig sein: Ein «normales» Telefon kann an das Firmen-Netzwerk angeschlossen werden und schon ist die IP-Telefonie mit den entsprechenden Funktionen bereit. Damit sinken auch die Investitionskosten noch einmal.

- Einfachere Handhabung: Für den Grossteil der Nutzer wird das Handling der VoIP-Infrastruktur einfacher werden. So können Kunden einfachere Anpassungen vermehrt selbst – beispielsweise über ein Online-Kundencenter – erledigen. VoIP wird damit auch das zunehmende Bedürfnis der Nutzer nach der «Online-Selfcare» abdecken.
Durch diese Entwicklungen und damit verbundene, neue Produkte, wird Voice over IP einen grossen Schritt in Richtung eines breiteren Nutzerkreises machen. Indem die Neuerungen in die bereits vertrauten Anwendungen und Angebotsformen integriert werden oder diese miteinander kombinieren, verlieren sie ihr «Spezial-Dasein» immer mehr und gelangen dadurch auch schneller in das Blickfeld der Nutzer. Insbesondere für unerfahrene und technisch weniger affine Anwender wird die Hürde, auf die IP-Telefonie umzusteigen, immer kleiner werden. Und vielleicht schon bald gar nicht mehr als Hürde wahrgenommen. Nämlich dann, wenn die Technologien endgültig miteinander verschmolzen sind.


Thomas Bachofner ist Leiter Produktentwicklung KMU bei Swisscom


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