Worauf schaut man, wenn man 50 Bewerbungen hat? Schnell teilt man nach Schultyp auf und dann nach Schulnoten. Verständlich. Aber damit schliesst man auch wirklich gute Leute aus dem Bewerbungsverfahren aus. Würden Sie einen Jugendlichen zum Vorstellungsgespräch einladen, wenn sie im Bewerbungsdossier als Supporter zwar einen gutes Multicheck-Ergebnis, aber einen Notendurchschnitt von 3.2 entdecken? Da gehen sofort Schreckensreflexe durch den Kopf im Gedanken an die Berufsfachschule. Doch schauen wir die Sache etwas genauer an.
Gute Noten bringen Schüler/-innen und Schüler, die gerne zur Schule gehen, gerne lernen und das auch erfolgreich tun. Klar, dass man solche in die Sek A stellt und ihnen dann auch das Gymnasium empfiehlt. Die Note belegt die Lern- und Merkfähigkeit. Für das Gymnasium genügt die schulische Durchschnittsnote 4.5. Jugendliche, die jedoch lieber praktisch tätig sind, werden weniger gute Noten haben und landen entsprechend häufig in der Sek B. In vielen Kantonen ist der Stellwerktest nach der 1. und nach der 2. Oberstufenklasse eingeführt worden.
Das Ergebnis aus einer städtischen Schule des Stellwerktests über alle Schulstufen inkl. Gymi-Angemeldeten war für alle verblüffend: Die besten Mathe-Noten erwarben zwei Realschüler/-innen, nicht etwa die fürs Gymnasium bestimmten! Letztere waren in der Sprache stark.
Was für Lehrlinge braucht man in der ICT? Eher Mathematiker/-innen oder Sprachgenies? Nun ja, für die sehr abstrakte Applikationsentwicklung sind sicher schulisch starke Jugendliche gesucht, also solche mit beispielsweise guten Mathe-Noten (Algebra = abstraktes Denken). Aber braucht es im Betrieb und Support sprachstarke Leute? Nein, da sind Praktiker/-innen gesucht. Leute, die auch mal unter den Tisch kriechen. Und wenn man feststellt, dass mehr als die Hälfte der Systemtechniker/-innen im Support tätig sind, gilt das auch für diese.
Zurück zum Bewerber mit dem Notendurchschnitt von 3.2. Er hatte Glück, wurde in die Lehre aufgenommen und konnte diese als Informatiker mit Fachrichtung Support machen. Ihm ging ein Traum in Erfüllung. Und wie so oft in solchen Fällen, kehrte alles. In der Berufsschule stieg die Deutschnote auf 5.5 (3.5 in der Sek B-Abschlussklasse), in der Allgemeinbildung aus dem 4 eine 5.5, aus dem 3 in der Mathe eine 6 (!) und selbst im Englisch wurde aus einer 3 eine 5.5! Und der Mann hat soeben mit einer 5.3, also im Rang, die Lehre abgeschlossen. Und auf September wurde ihm im Lehrbetrieb ein verantwortungsvoller Posten anvertraut. Das Vertrauen eines Lehrmeisters bei der Auswahl hat sich sehr bezahlt gemacht.
Einzelfall? Nein, solche Beispiele gibt es zuhauf. Auch der Bronzemedaillengewinner in der Netzwerktechnik vom 2009 in Calgary war ein Realschüler – in dem ein Lehrmeister das Potential gesehen hat. Zum Weltmeister fehlte übrigens nur sehr wenig. Er hat inzwischen die Berufsmaturität nachgeholt, das FH-Studium steht bevor. Und solche Beispiele haben wir viele. Einzelne mögen sich auch an die Festrede an der Abschlussfeier in Zürich vom Juli 2011 erinnern.
Und die Lehre aus der Geschichte? Noten sind für eine Lehre nicht unbedingt der richtige Gradmesser – wenn Praktiker (nicht Theoretiker) gesucht sind. Es braucht das Auge, die Motivation für einen Beruf herauszuspüren. Es braucht Personalchefs, Berufsbilder/-innen, die auch etwas Mut haben und bereit sind, Vertrauen in die Motivation Jugendlicher einzubringen. Aus manchem nicht so genialen Schüler oder mancher Schülerin ist eine geniale Fachfrau, ein genialer Fachmann geworden. Gute Zeugnisnoten garantieren noch keinen guten Lehrling. Mir wäre eine aktive Rolle als Pfadi-Führer als Referenz oder eine Probeaufgabe im Rahmen der Schnuppertage wichtiger, zum Beispiel das Auspacken von einigen Paletten PC-Material. Da kann man feststellen, wie angepackt wird.