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CIO-Interview: 'Arbeitgeber profitieren von der Armee'
Quelle: zVg

CIO-Interview: "Arbeitgeber profitieren von der Armee"

Brigadier Bernhard Bütler führt 18’000 Mann – viele davon IT-Spezialisten. Im Interview erklärt er seine Aufgabe und die Vorteile einer militärischen Führungsausbildung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2011/11

     

Swiss IT Magazine: Herr Brigadier Bütler, können Sie erklären, was die Aufgabe der Führungsunterstützungs-Brigade 41 (FU Br 41) ist?
Bernhard Bütler:
Die FU Br 41 ist der sogenannte «Force Provider» der Führungsunterstützungsbasis, also quasi dessen ausführendes militärisches Organ. Die Brigade zählt rund 18’000 Mann, eingeteilt in 17 aktive Bataillone und vier Reservebataillone. Damit ist sie die mit Abstand grösste Brigade der Armee. Der Auftrag der Brigade lautet, die Durchhaltefähigkeit der Führungsunterstützungsbasis sicherzustellen. Dies geschieht durch den Aufbau und den Betrieb von Kommunikationsnetzen, den Betrieb von permanenten Systemen der elektronischen Kriegsführung sowie deren Erweiterung durch mobile Komponenten, als auch die Sicherstellung der Führungsfähigkeit der Stäbe auf Stufe Landesregierung und Armeeführung. Zudem stellen wir den Support in Bereichen wie Kryptologie und Botschaftsfunk sicher.
Zur Person
Brigadier Bernhard Bütler wurde 2009 vom Bundesrat zum Kommandanten der Führungsunter-stützungsbrigade 41 (FU Br 41) ernannt und befehligt in dieser Position rund 18’000 Soldaten – was zirka einem Sechstel der Armee entspricht. Brigadier Bütler wird diesen Monat 56 Jahre alt und ist seit rund 22 Jahren in der Armee tätig, lange Zeit davon in der Informatikbrigade. Er selbst bezeichnet sich nicht als IT-Leiter der Armee, sondern als «Force Provider» – also als ausführendes Organ – des IT-Leiters der Armee. Dies ist seit kurzem der Tessiner Divisionär Roberto Fisch, Chef der Führungs- unterstützungsbasis.
Ihr Kerngeschäft ist damit die Unterstützung der Armeeführung durch ICT-Mittel. Um was für Mittel handelt es sich hierbei?^
Das Schwergewicht liegt auf dem Bereich IMFS (Integriertes Militärisches Fernmelde-System), also automatische Vermittler verbunden mit Kleinrichtstrahl-Anlagen. Die Armee verfügt über eine eigene, fest installierte Übermittlungsebene – quasi eine Breitband-Datenautobahn, die über den Bergen verläuft. Auf diese Ebene können unsere Richtstrahl-Bataillone Stichverbindungen herstellen und so die nötigen Kommunikationsverbindungen für die Armee sicherstellen. Im Bereich der elektronischen Kriegsführung kommt derweil das IFASS (Integriertes Funkaufklärungs- und Sendesystem) zum Einsatz, ein neues System mit einem Sensorik- und Effektorik-Bereich, für das eben die Umschulung abgeschlossen wurde und das ab 2012 operativ genutzt wird.

Aus was für Elementen besteht dieses von Ihnen angesprochene Kommunikationsnetz?
Auf Übertragungsebene verwenden wir Glasfaserkabel und Richtfunk. Auf technologischer Seite kommt dabei die selbe Technik zum Einsatz, die auch in der zivilen Welt eingesetzt wird – mit dem Unterschied, dass die Komponenten auf die härteren Einsatzbedingungen der Armee abgestimmt sein müssen. Die Komponenten werden dazu so erweitert, dass sie auch extremen Temperaturen standhalten, dass ihnen Erschütterungen nichts anhaben können oder dass sie wasserdicht sind. Denn unsere Systeme müssen auch dann noch – oder gerade dann – funktionieren, wenn die zivile Infrastruktur nicht mehr funktioniert.


Wo liegen eigentlich die Grenzen bei der Richtfunk-Übertragung bezüglich Bandbreite?
Aktuell erreichen wir zirka vier Mal 155 Mbit pro Sekunde im Bereich der permanenten Anlagen und 8 Mbit pro Sekunde bei den teilmobilen Anschlüssen (IMFS). Physikalisch wäre sicher noch etwas mehr möglich, und es stellt sich immer die Frage, wie viel Platz wir im Bereich Frequenzen erhalten.
Was für ICT-Systeme haben Sie sonst noch im Einsatz?
Unsere Anforderungen an die Informatik unterscheiden sich eigentlich kaum von denen einer grösseren Firma. Auch bei uns heissen die Themen Büroautomation, Dokumenten-Management, Datenübertragung und zentrale Datenbewirtschaftung, Hosting und so weiter. Der Unterschied ist aber der, dass unsere IT auch dann funktionieren muss, wenn andere Organisationen nicht mehr funktionieren – sogenannt «krisenresistent» sein muss. Nehmen wir das Beispiel Cloud Computing. Viele Unternehmen lagern ihre Informatik heute aus, nutzen sie als Dienst von einem externen Anbieter, ohne etwas mit dem Unterhalt zu tun zu haben. In einer funktionierenden Infrastruk-turumgebung ist das problemlos möglich. Wir beim Militär müssen aber davon ausgehen, dass besagte Infrastruktur nicht mehr vorhanden ist, müssen diese Infrastruktur also selber aufbauen – und zwar gehärtet, so dass sie über längere Zeit unabhängig betriebsfähig ist. Wir haben also besondere Anforderungen etwa an die Energieversorgung oder beim Bau von Server-Räumen. Die Komponenten aber, die wir dabei einsetzen, unterscheiden sich kaum von denjenigen der Privatwirtschaft.
Also werden keine Komponenten extra für die Armee entwickelt?
Nein, in diesem Bereich kaum, das würde zum einen finanziell gar nicht drin liegen, und auch das Know-how könnte nicht aufgebaut werden. Und die Entwicklungsschritte sind heute so schnell, dass man mit Eigenentwicklungen ohnehin hinterherhinken würde. Ein Unterschied zur Privatwirtschaft ist vielleicht, dass unsere Anforderungen an die Lebenserwartungshaltung der Produkte höher ist. Dies zum einen aufgrund der doch vielen speziellen Anforderungen, die wir an die Produkte haben, zum anderen aber auch wegen der Ausbildung, die für neue Geräte nötig wird.


Wie sieht es bei Software aus? Werden auch hier marktübliche Produkte verwendet?
Im Prinzip schon. Vor allem im Bereich Büroautomation oder bei Datenbanken kommen die handelsüblichen Lösungen zum Einsatz. Was dann natürlich dazu kommt, ist der erhöhte Datenschutz. Wir haben speziell hohe Anforderungen, um ungewollten Informationsabfluss zu verhindern oder beim Umgang mit Daten und im Bereich Verschlüsselung.

Werden diese speziellen Anforderungen im Sicherheitsbereich mit externen Firmen umgesetzt? Und müssen diese Firmen aus der Schweiz stammen?
Wir arbeiten mit externen Firmen zusammen. Doch in der Grössenordnung der Unternehmen, mit denen wir verkehren, kann man nicht ausschliessen, dass diese mit Subunternehmen aus dem Ausland zusammenarbeiten oder dass Technologien im Ausland entwickelt werden. Wichtig zu wissen ist aber in diesem Zusammenhang: Wir beschaffen nicht selbst. Wir definieren lediglich die Anforderungen, für die Beschaffung der Lösungen ist dann unser Beschaffungsorgan, die Armasuisse, zuständig. Es geht auch darum, dass die Armee selbst – wir im grünen Tenü – eigentlich nichts mit externen Unternehmen zu tun haben, weil wir ja wie erwähnt unabhängig von der externen Infrastruktur funktionieren müssen.
Das bedeutet also, dass die Milizarmee die gesamte Bedienung und Wartung der Systeme selbst bewerkstelligen kann?
Im Prinzip schon, denn wir dürfen nicht von externen Spezialisten abhängig sein. Bei defekten Systemen kann schon auf die Herstellerfirma zurückgegriffen werden, aber an die Front kommen keine externen Spezialisten.

Können Sie mir erklären, wie ihre Brigade aufgebaut ist? Handelt es sich bei den 18’000 Mann, die sich um diese komplexen Systeme kümmern, vollständig um Milizsoldaten?
Innerhalb der Brigade arbeiten wir nur mit Milizsoldaten. Entsprechend sehe ich mich auch als Milizkommandant, auch wenn das Militär mein Beruf ist. Profis findet man jedoch im Bereich der Führungsunterstützungsbasis, wo wir zivil angestellte Ingenieure und Spezia-listen beschäftigen. Das sind dann die Leute, die sich um das ganze Kommunikationsnetz kümmern und die Systeme unterhalten.
Wie ist es, primär mit Milizsoldaten zu arbeiten, die nur drei Wochen im Jahr im WK sind?
Wir bewirtschaften komplexe Systeme, und die Leute in den WKs innert nützlicher Frist soweit zu bringen, dass sie die Systeme einsetzen können, ist für mich eine grosse und spannende Herausforderung. Eine Herausforderung ist meine Aufgabe aber auch menschlich. Ich arbeite mit den unterschiedlichsten Charakteren und den unterschiedlichsten Berufsgruppen zusammen, was die Aufgabe enorm spannend und interessant macht.


Aber ist es überhaupt möglich, die Leute innert nützlicher Frist auf den verschiedenen Systemen soweit zu schulen, damit diese auch eingesetzt werden können.
Ja, das ist möglich. Bei einigen Systemen ist es schwieriger, bei anderen einfacher, aber möglich ist es bei allen.

Wünschten Sie sich manchmal nicht sinnvollere Modelle, damit die Leute, die einmal auf den Systemen geschult sind, auch für längere Zeit eingesetzt werden können?
Natürlich wäre das wünschenswert. Ich habe eine Kompanie mit Durchdienern, die mir das ganze Jahr zur Verfügung steht und die ich beispielsweise in Notsituationen – bei Umweltkatastrophen etwa – einsetzen kann. Doch noch mehr Durchdiener zu erhalten, ist gar nicht möglich. Wir finden in der Armee gar nicht genügend Leute, die als Durchdiener dienen wollen. Wir könnten bis zu 15 Prozent auf Durchdiener setzen, mehr als 7 oder 8 Prozent können wir aber nicht rekrutieren.


Sie haben viele Informatiker und Spezialisten in Ihrer Brigade. Wie steht es um den Wissenstransfer? Können Sie deren Know-how aus der Privatwirtschaft in der Armee nutzen?
In unserem sehr fachspezifischen Bereich profitieren wir stark vom vorhandenen Know-how, und dank der Erfahrung der Leute können unsere komplexen Systeme auch mit relativ wenig Training genutzt werden.
Wenn Sie von der Wirtschaft profitieren, lautet die Frage: Wie profitiert die Privatwirtschaft davon, dass ihre Mitarbeiter – ihre wertvollen IT-Spezialisten – Militärdienst leisten?
Die Armee ist zum einen eine Lebensschule, die Werte wie Disziplin, Durchhaltewillen, Bescheidenheit und Offenheit vermittelt. Zum anderen profitieren der Spezialist und auch sein Arbeitgeber gerade dann von der Armee, wenn er sich dazu entscheidet, eine Kaderausbildung zu machen. Im Militär weiterzumachen ist die beste praktische Führungsausbildung, die man sich vorstellen kann. Und die Ausbildung ist erst noch zertifiziert und von den Hochschulen anerkannt, was viele nicht wissen. Sehen Sie: Die rein autoritäre Führung reicht in der Armee schon lange nicht mehr. Wir arbeiten mit dem Dreieck der sozialen, fachlichen und methodischen Fähigkeiten, um Führungskompetenz zu vermitteln. Zu den Inhalten, die in der Armee im Rahmen der Führungsausbildung vermittelt werden, gehören unter anderem die Bereiche Personalwesen, Kommunikation, Arbeitstechnik oder Führungstechnik – wobei die ganze Ausbildung stark praxisorientiert ist. Und diese Ausbildung, die wir einem Spezialisten weitergeben, ist für die Firma gratis. Ich wünschte mir, dass Unternehmen und Personalchefs die Vorteile einer solchen Ausbildung sehen, und dass sie ihre jungen Mitarbeiter weitermachen lassen beziehungsweise auch Offiziere einstellen, damit auch sie letztlich von dieser Ausbildung profitieren können.
Kommt es denn Ihrer Erfahrung nach vor, dass ein Unternehmen einen Bewerber deshalb nicht einstellt, weil dieser Karriere beim Militär gemacht hat und dadurch häufiger abwesend ist?
Ich kenne solche Fälle, und ich weiss, dass es Firmen gibt, die das machen. Wir leisten jedoch seit einiger Zeit vermehrt Aufklärungsarbeit in diesem Bereich und wir spüren eine leichte Verbesserung der Situation. Wir be-obachten auch, dass es stark vom jeweiligen Personalchef abhängig ist, wie eine Firma Mitarbeitern mit Armee-Karriere gegenübersteht. Es ist nur logisch, dass ein Schweizer Personalchef, der unser Milizsystem kennt, der Thematik offener gegenübersteht als etwa ein ausländischer Personalchef, der unser Milizsystem nicht kennt.


Ist es somit auch Teil Ihrer Aufgabe, Überzeugungsarbeit zu leisten?
Absolut, das ist Teil meiner Aufgabe als Kommandant dieser Brigade. Und ich wünsche mir, dass Inhaber von IT-Firmen den Versuch wagen, und Mitarbeiter mit einer militärischen Führungsausbildung einstellen, oder sogar spezifisch nach solchen Mitarbeitern suchen, wenn sie eine Stelle ausschreiben. Ich bin mir sicher, sie werden diesen Schritt nicht bereuen. (mw)


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