Seit dem 7. Oktober ist das neue Nokia-Smartphone N9 auf dem Schweizer Markt erhältlich. Dies ist nicht selbstverständlich, wird das Gerät doch weder in Deutschland noch in den USA vertrieben. Die Hardware-Spezifikationen können sich durchaus sehen lassen. Mit einem 3,9-Zoll grossen Amoled-Display, 1 GB Arbeitsspeicher, 3G- sowie WLAN-Unterstützung, einem 1-GHz-Prozessor und einer 8-Megapixel-Kamera ist das Smartphone technisch auf dem neusten Stand. Ausserdem bietet es einen Chip für Near-Field-Communication (NFC) und 16 GB beziehungsweise 64 GB Telefonspeicher. Einzig und allein die Anschlüsse wurden auf ein Minimum begrenzt. Abgesehen von einem Kopfhörer-Anschluss und einem Micro-USB sind keine weiteren Slots vorhanden, auch keiner für SD-Karten.
Auch in der Hand fühlt sich das
Nokia N9 sehr angenehm an. Das liegt an der hochwertigen Polykarbonat-Verarbeitung und dem leicht gewölbten Gorilla-Glas. Das Gerät ist wie aus einem Guss, hat keine hervorstehenden Ecken und Kanten und liegt äusserst geschmeidig und auch rutschfest in der Hand. Die ergonomische Bauweise geht allerdings nicht auf Kosten des Designs, denn auch rein optisch ist das in drei verschiedenen Farben erhältliche N9 ein echter Hingucker. Auch das relativ stattliche Gewicht von 135 Gramm fällt bei der Bedienung nicht negativ auf.
Meego – ein Auslaufmodell
Das Betriebssystem, mit dem das Gerät ausgerüstet ist, hat eine spezielle Vergangenheit. Das auf Linux basierende OS namens Meego kam 2010 durch die Verschmelzung des Nokia-Betriebssystems Maemo mit der Intel-Plattform Moblin zustande und wurde seither gemeinsam entwickelt. Kürzlich aber gab
Nokia bekannt, für die Zukunft auf Windows Phone zu setzen und die Entwicklungen an Meego einzustellen. Es ist also fraglich, ob noch weitere Geräte mit dem Nokia-Intel-Betriebssystem erscheinen werden oder ob das N9 tatsächlich das erste und letzte seiner Art bleiben wird. Obwohl Nokia versprochen hat, noch bis mindestens 2015 Updates für Meego zu liefern, bleibt ein etwas fader Nachgeschmack. Denn ob der finnische Hersteller motiviert ist, jahrelange Betreuung für ein Betriebssystem zu leisten, dessen Entwicklung man bereits aufgegeben hat, ist kritisch zu hinterfragen.
Dies wirkt sich natürlich auch auf die Bereitschaft von Entwicklern aus, Apps für das Meego-Betriebssystem zu entwickeln, weshalb der Nokia App Store im Moment auch noch sehr überschaubar ist. Zumindest die wichtigsten Apps wie Twitter, Facebook und Skype sowie einige Spiele sind aber bereits vorinstalliert.
Der Nokia App Store: Apps sind hier noch dünn gesät. (Quelle: SITM)
Die Bedienung
Nichts-desto-trotz wirkt Meego – zumindest am Anfang – keineswegs unausgereift oder lieblos. Das Hauptmenü besteht aus drei verschiedenen Bildschirmen. Auf dem ersten Bildschirm sind, ähnlich wie beim iPhone oder bei Android, alle installierten Apps mit kleinen Icons aufgelistet. Durch die Apps scrollt man allerdings nicht seitwärts, sondern senkrecht. Beim Bildschirm Nummer zwei handelt es sich um den Events-Screen. Darin werden dem Benutzer neue Mails, entgangene Anrufe und Social-Network-Feeds angezeigt. Der dritte Bildschirm liefert eine Übersicht aller zurzeit geöffneten Apps und bietet zudem die Möglichkeit, laufende Programme zu beenden – ist also quasi ein hübsch gestalteter Task Manager.
Die Navigation durch die verschiedenen Fenster erfolgt via "Swipes", also Wischbewegungen quer über den Bildschirm. Auch Apps werden beendet, indem man mit dem Finger von der einen Seite quer über den Bildschirm auf die andere Seite fährt und das geöffnete App "wegschiebt". Diese Art der Bedienung erfordert etwas Übung, denn besonders zu Beginn kommt es vor, dass man ein App ungewollt schliesst, weil man bei einer Wischbewegung ausversehen zu nahe am Rand angesetzt hat.
Ein brillantes Display mit knalligen Farben. (Quelle: Nokia)
Über den Prozessmanager können im Hintergrund laufende Apps geöffnet oder beendet werden. (Quelle: SITM)
Per 'Swipes' lassen sich Programme beenden. (Quelle: Nokia)
Diverse Mängel
Nach längerer Verwendung verblasst aber leider der positive erste Eindruck ein wenig und es kommen diverse Ungereimtheiten zum Vorschein. Eine davon macht sich ziemlich bald bemerkbar und versetzt einen regelrecht in Staunen: Der Wechsel in den Breibildmodus ist nur auf die eine Seite möglich. Dreht man den Bildschirm nach rechts, passiert nichts. Dieser Umstand ist schlicht unbegreiflich und wohl auf einen Programmierfehler zurückzuführen. Auch auf den Kopf drehen lässt sich das Bild nicht, was aber vermutlich gewollt und nicht sonderlich störend ist.
Sehr gewöhnungsbedürftig, um nicht zu sagen unpraktisch, ist auch die Tastatur. Diese stellt beim Schweizer Tastaturlayout Umlaute auf separaten Tasten dar. Im Breitbildmodus ist dies zwar praktisch, im Hochbildmodus werden die einzelnen Tasten durch die zusätzlichen Buchstaben aber sehr klein und gegen links verschoben, sodass der eine oder andere Tippfehler kaum zu vermeiden ist. Besonders bemerkbar macht sich dies bei der Leertaste, die dem "ö" relativ viel Platz einräumen muss und daher regelmässig nicht getroffen wird.
Trotz der starken Gerätekomponenten scheint die Hardware relativ bald an Grenzen zu stossen. Ist eine Vielzahl Apps gleichzeitig geöffnet, reagiert das System mit starken Verzögerungen oder nimmt Touch-Eingaben nicht mehr wahr. Um dies zu vermeiden, sollten von Zeit zu Zeit geöffnete Apps ganz beendet werden.
Im Hochbildmodus wird das Tastaturschreiben zur Herausforderung. (Quelle: SITM)
Stark im Fotografieren
Der wohl grösste Pluspunkt beim N9 ist das tolle Amoled-Display. Der 3,9-Zoll-Bildschirm, der aus Gorilla-Glas gefertigt ist, löst mit 854x480 Pixel auf und stellt Farben sehr kräftig und leuchtend dar. Selbst bei starker Sonne ist das Display noch immer sehr hell und spiegelt erstaunlich wenig.
Ganz dem heutigen Standard entsprechend besitzt das
Nokia N9 zwei Kameras. Die 8-MP-Rückkamera mit Carl-Zeiss-Objektiv verfügt über einen doppelten LED-Blitz und nimmt Videos in 720p-HD-Qualität auf. Die Vorderkamera, die sich ganz unten befindet, haben die Meego-Entwickler wohl vergessen zu berücksichtigen, denn mit dem vorinstallierten Foto-App gibt es keine Möglichkeit, Gebrauch von der Zweitkamera zu machen. Zusätzliche Apps aus dem Store verschaffen hier Abhilfe.
Nicht fürs Surfen optimiert
Obwohl der mitgelieferte Browser Seiten relativ schnell aufbaut, wird auch die Freude beim Surfen durch einige Mängel geschmälert. Ist ein WLAN etwas weiter entfernt, kann das N9 entweder gar nicht mehr verbinden, oder nur mit sehr langsamer Datenübertragung. Während beim iPhone 4 noch problemlos die Verbindung zu einem weiter entfernten Hotspot hergestellt werden konnte und keine wesentlichen Geschwindigkeitseinbussen wahrnehmbar waren, hatte das
Nokia N9 bei gleicher Entfernung bereits Mühe und konnte das keine Youtube-Filme mehr flüssig abspielen. Dass gewisse Features wie Flash-Unterstützung, Tabbed-Browsing, Bookmarks und Verlaufsverwaltung fehlen, ist nicht weiter schlimm. Schon eher störend ist aber die Tatsache, dass es kurioserweise nicht auf allen Seiten möglich, den Inhalt durch die Zwei-Finger-Zoom-Funktion oder doppeltes Antippen zu vergrössern.
Der Standardbrowser auf dem N9. (Quelle: SITM)
Fazit
Im Hinblick auf die wohl kurze Lebensdauer von Meego hat auch das
Nokia N9 einen ziemlich schweren Stand. Das ist schade, denn das Gerät hätte enorm viel Potential gehabt. Neben der leistungsstarken Hardware überzeugt es vor allem durch ein elegantes und ausgeklügeltes Design, sowie durch eine hochwertige und stabile Verarbeitung. Das Amoled-Display besticht durch satte Farben, helle Beleuchtung und minimale Reflexsion, was wohl dem gewölbten Gorilla-Glas zu verdanken ist. Die Mühe, die Nokia in die Entwicklung der Hardware gesteckt hat, ist aber glücklicherweise nicht für die Katz, so werden die ersten Nokia-Handys mit Windows Phone auch im N9-Design erscheinen.
Das Meego-Betriebssystem überrascht zu Beginn ebenfalls positiv. Die Idee mit den drei Hauptbildschirmen ist gut, die intuitive Bedienung durch Swipes ebenfalls. Doch leider offenbaren sich nach und nach kleine und gröbere Mängel, die darauf hindeuten, dass Meego wohl doch noch nicht ganz ausgereift ist. Mit etwas Optimismus darf man darauf hoffen, dass Nokia sein OS noch nicht fallen lässt und tatsächlich noch bis 2015 Updates anbieten wird. Am meisten gegen Meego und für die Konkurrenz spricht aber die Tatsache, dass der Nokia App Store noch in Kinderschuhen steckt und kaum mehr zu den Konkurrenten von iOS und Android aufschliessen wird. Wer ohnehin keinen Wert auf ein grosses Angebot an Apps und zukünftigen Erweiterungen legt, der wird mit dem Nokia N9 vermutlich nicht unglücklich sein. Die Kosten betragen 748 Franken für die 16-GB- und 848 Franken für die 64-GB-Version.
(vs)
Das N9 ist in drei verschiedenen Farben erhältlich. (Quelle: Nokia)
Leicht gewölbtes Display aus Gorilla-Glas. (Quelle: SITM)
Das Polycarbonat-Gehäuse ist edel und stabil zugleich. (Quelle: SITM)