In letzter Zeit sind die Medien voll mit Wehklagen über den Mangel an Fachkräften in der Informatik. Es fehlt der Wirtschaft an Informatikern und Informatikerinnen. Zur Genüge hören wir von den Arbeitslosenstatistiken. Die Informatikbranche treffen sie kaum. Gleichzeitig aber stellen wir eine Gleichgültigkeit unserer Bildungspolitiker gegenüber der Informatik fest. Sie kommt in den Lehrplänen praktisch nicht mehr vor.
Dies hat Tradition. Unsere Universitäten blieben bis 1980 weitgehend informatikfrei, jedenfalls deren Studienpläne. In Mittelschulen war der Einzug noch zögerlicher. Erst 1985 gelang es, da und dort eine Einführung unterzubringen (24-Stunden-Kurs). Dabei wurden grundlegende Kompetenzen dargelegt, so das Programmieren. Heute ist dieser Kern – zumindest im Kanton Zürich – wieder weitgehend verschwunden Erst seit dem Schuljahr 2008/2009 dürfen Schweizer Gymnasien das freiwillige Ergänzungsfach Informatik anbieten.
Anstelle der Grundlagen wird gelehrt, wie man mit spezifischen Programmen umgeht. Im Vordergrund stehen Word (Textverarbeitung), Excel (Tabellenkalkulation) und Powerpoint (Präsentation). Diese Programme sind sicher nützliche Werkzeuge für das praktische Leben. Aber ist es Informatik?
Was verstehen wir unter Informatik?
Damit gelangen wir zur Frage: Was verstehen wir unter Informatik? Jedermann scheint eine Antwort zu wissen. Aber es gibt verschiedene Sichten. Ich will Ihnen die meinige vorlegen. Informatik ist die Lehre der automatisierten Datenverarbeitung, Datenvermittlung und des automatisierten Rechnens. Es ist auch die Technik, Programme zu konstruieren, welche diese Vorgänge akkurat beschreiben.
Die erwähnten Anwendungen Word, Excel und Powerpoint sind solche Programmsysteme. Den Informatiker interessiert, wie sie aufgebaut sind (wie man solche konstruiert) und nicht nur, wie man mit ihnen umgeht. Kurse zum Erlernen der Handhabung dieser Systeme vergleiche ich mit den Kalligrafie- und Stenografiekursen von damals, aber nicht mit etablierten Fächern wie Mathematik oder Deutsch.
Warum ist Programmieren wichtig?
Ob Informatik in diesem grundlegenden Sinn an Primarschulen vermittelt werden soll? Ich bin davon nicht so recht überzeugt. Wichtig erscheint mir jedoch die Einführung vor allem an den Gymnasien. Entscheidend ist dabei der konstruktive Teil, das Programmieren. Warum?
Programmieren ist gleichsam Konstruieren in Reinkultur. Wir bauen, erstellen Maschinen, abstrakte Maschinen zwar, die jedoch durch Computer „als erste Unterlage“ zum Funktionieren gebracht werden (oder auch nicht!). Dieses Konstruieren ist die Essenz jedes Ingenieurberufs und manch anderer Berufe auch. Es erzieht zu sehr genauem Planen und exaktem Denken, auch zu Bescheidenheit in der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten dazu. All dies scheint mir heutzutage unabdingbar zur viel gepriesenen Allgemeinbildung zu gehören, welche unsere Gymnasien zu vermitteln beabsichtigen. Es ist bekannt, dass deren Lehrpläne stark, allzu stark auf Sprachen und analytisches Denken ausgerichtet sind, wobei heute auch Naturwissenschaften sehr stiefmütterlich behandelt werden. Konstruktives Denken– verkörpert durch das Programmieren – fehlt gänzlich.
Die Fähigkeit, konstruktiv zu arbeiten, neue Dinge zu entwerfen und zu realisieren, ist für eine moderne Industriegesellschaft essentiell. Damit geht auch ein Verstehen der Prinzipien einher, die unsere reale Welt bewegen. Die aktuelle Vernachlässigung von Naturwissenschaften und Technik, eingeschlossen Informatik, führt unweigerlich zu einer Generation, die ihre Welt nicht mehr versteht, und die damit zusehends abhängig und beeinflussbar wird.
Es ist Zeit, dieser unheimlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Den Anfang müssen unsere Schulen machen.»
Goldplatinmedaille des ABZ der ETH
Diese Ehrenmedaille ist für Persönlichkeiten bestimmt, die mit ihrer Forschung in unschätzbarem Mass zur Entwicklung der Informatik beigetragen und gleichzeitig die Informatikausbildung auf allen Schulstufen wesentlich beeinflusst und geprägt haben.