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CIO-Interview: «Wir bewegen uns in einem hochspezialisierten Umfeld»
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CIO-Interview: «Wir bewegen uns in einem hochspezialisierten Umfeld»

Robert Stadler, beim Flugsicherungsspezialisten Skyguide für die IT zuständig, beschäftigt sich mit der Entwicklung soziotechnischer Systeme im hochkomplexen Umfeld.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2011/04

     

Swiss IT Magazine: Ich kann mir vorstellen, dass Ausfälle in Ihrer IT Tabu sind?
Robert Stadler, Skyguide: Eine IT, in der Ausfälle Tabu sind, hat einen schwierigen Stand. Selbstverständlich sind wir als High Reliability Organization (HRO) sehr empfindlich in diesem Punkt und versuchen, die nötigen Massnahmen zu treffen, um sicherzustellen, Ausfälle möglichst auf ein absolutes Minimum zu beschränken.


Welche Massnahmen treffen Sie, um eine höchstmögliche Ausfallsicherheit zu erreichen?
Primär sind es zwei Dinge, die wir aktiv nutzen: Redundanz und Diversität. Redundanz bedeutet in unserem Fall, dass wir die Arbeit auf mehrere Maschinen verteilen und diese richtig zusammenhängen. Damit ist sichergestellt, dass der Ausfall einer Maschine kompensiert wird. Diversität ermöglicht eine robuste Lösung in dem Sinne, dass ein Fehler, der quer durch Software- oder Hardware durchgeht, irgendwann auf eine Barriere trifft und sich hinter dieser Barriere nicht mehr ausbreiten kann. Hinzu kommt aber sicher auch die Fähigkeit, unsere Anlagen gut zu unterhalten.
Inwieweit hängt die eigentliche Flugsicherung mit der IT-Infrastruktur zusammen?
Ich glaube, Flugsicherung ist ohne Informatik nicht möglich. Die Herausforderung besteht darin, dass wir ein soziotechnisches System haben. Das bedeutet, wir haben ein System, in welchem Menschen und Maschinen sehr eng zusammenarbeiten müssen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen – nämlich Flugsicherung. Ohne die Information, die durch die Sensorik geliefert, aufbereitet und in einer für Menschen geniessbaren Form ausgegeben wird, ist Flugsicherung heute nicht mehr möglich.

Was macht Ihnen mehr Sorgen, die Maschine oder der Mensch?
Die grösste Herausforderung sind die Schnittstellen.


Das heisst?
Bei jedem System, das man baut und bei dem es eine Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine gibt, wird es heikel. Vor allem wenn man sich in einem Umfeld befindet, wo wichtige Entscheidungen unter hohem Zeitdruck gefällt werden müssen. Dort muss die Schnittstelle sowohl Performance- als auch Qualitäts-seitig optimiert sein, sonst funktioniert es nicht.
Sie sprechen von der visuellen Darstellung?
Nicht nur von der visuellen Darstellung, sondern von der gesamten Schnittstelle zwischen dem Menschen und der Maschine. Die IT hat die Aufgabe, dem Fluglotsen ein Gesamtbild zu vermitteln. Aufgrund dieses Bildes muss er in der Lage sein, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das heute hierzu verwendete System setzt sich aus vielen Einzelteilen zusammen. Eines dieser Teile ist beispielsweise der sogenannte Strip: Ein Streifen Papier, auf dem sich die wichtigsten Informationen wie Höhe, Destination etc. für jedes zu leitende Flugzeug befinden und der am Arbeitsplatz ausgedruckt wird. Wir haben vor einigen Jahren ein System entwickelt, welches es ermöglicht, ohne diese Strips zu arbeiten. Die Informationen zu jedem Flugzeug werden damit elektronisch abgebildet. Im Rahmen der Entwicklung des neuen Systems, in enger Zusammenarbeit mit den Fluglotsen, haben wir ein wichtiges Element identifiziert: Das Geräusch des Strip-Printers. Dieses Geräusch war für die Fluglotsen das Signal, welches ihnen akustisch vermittelt hat, dass ein Flugzeug kommt. Ohne diese Geräusche fehlte den Fluglotsen eine entscheidende Information hinsichtlich des zu erwartenden Workloads. Also haben wir in der Planungsphase vorgesehen, das Geräusch des Strip-Printers zu emulieren, obwohl es gar keine Strips mehr gab.

Das System, welches die Strips ersetzt, ist eine Eigenentwicklung?
Ja, das ist eine Eigenentwicklung.

Sie haben also im Hintergrund ein Software-Team, das Lösungen baut für Sie?
Ja, aber nicht nur ein Software-Team. Das Team setzt sich nicht nur aus IT-Spezialisten sondern auch aus Fluglotsen, Human-Faktor- und Safety-Spezialisten, regulatorischen Experten und Technikern zusammen. Sie alle zusammen sind erst in der Lage, ein solches System zu entwickeln.


Wie gross ist Ihr Team, das Sie verantworten?
Ich bin nicht nur verantwortlich für die Informatik, sondern auch für die übrige Technik, insgesamt für vier verschiedene Teams, zusammen rund 300 Mitarbeiter. Der Informatikteil umfasst rund 100 Leute. Es handelt sich dabei um eine grosse Anzahl an Ingenieuren – grösstenteils Informatiker – aber auch viele hochqualifizierte Techniker. Wir müssen das Ganze ja nicht nur entwickeln, sondern auch unterhalten.
Wo sind die Besonderheiten der Skyguide-IT?
Als HRO bewegen wir uns in einem hochspezialisierten Umfeld. Wir sind heute im Vergleich zu einer Bank nur sehr bedingt in der Lage, etwas von der Stange zu kaufen. Es gibt zwar gewisse Produkte auf dem Markt, aber das Marktvolumen ist relativ klein und die Komplexität eher hoch, entsprechend entwickeln wir vieles selber. Eine Besonderheit ist vielleicht auch, dass die herkömmliche Office-Informatik nicht bei der Technik, sondern im Bereich Finanzen/Infrastruktur angegliedert ist.

Auf was basieren die selber entwickelten Systeme?
Vor zehn Jahren hätten wir gross darüber diskutieren können, auf welche Plattform wir setzen. Heute können Sie davon ausgehen, dass es mehr oder weniger einen Mainstream im Markt gibt, und auf diesen setzen auch wir. Das hat sich heute zum Glück standardisiert.


Wie sieht es bezüglich Mitarbeiterrekrutierung bei Ihnen aus? Finden Sie Leute?
Ich denke, dass wir ein attraktiver Arbeitgeber sind, entsprechend haben wir gute Chancen, hochqualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren.

Andere Firmen müssen jedoch die IT-Spezialisten nehmen, die sie kriegen können.
Das können wir uns in diesem spezialisierten Umfeld nicht leisten. Wenn wir ein ganz spezifisches Know-how nicht finden, oder etwas tun müssen, was ausserhalb unserer Kernkompetenzen liegt, bleibt uns die Möglichkeit, temporär externe Spezialisten zu engagieren.

Inwieweit ist denn Outsourcing bei Ihnen heute schon ein Thema.
In eng begrenzten Bereichen lagern wir bereits heute aus, mit der Absicht, dies in Zukunft vermehrt zu tun. Doch der Übergang von einem Unternehmen, das in der Lage ist, alles selber zu machen zu einem Unternehmen, das erfolgreich auslagert, ist nicht einfach. Für die Fähigkeit auszulagern, ist ein ganz anderes Skillset gefragt. Diesen Übergang gilt es sehr sorgfältig anzugehen. Unser Ziel ist es, diese Fähigkeit sukzessive aufzubauen, damit wir in Zukunft erfolgreich outsourcen können.
Was wollen Sie denn konkret auslagern?
Ziel ist es, die Bereiche Design, Testing und Implementierung unserer IT-Systeme als künftige Kernkompetenzen zu stärken, mit der Absicht, in den Bereichen Codierung und Unterhalt Outsourcing vermehrt als Instrument nützen zu können.

Inwieweit ist der Faktor Sicherheit beim Outsourcing ein Thema?
Sicherheit ist in einer HRO wie Skyguide ein zentrales Thema. Wenn Sie sich unsere Aufbauorganisation anschauen, sehen Sie, dass die Sicherheit bei uns in der Geschäftsleitung durch einen eigenständigen Bereich vertreten ist. Damit wird sichergestellt, dass unsere tägliche Arbeit sowie sämtliche Absichten und Veränderungen aus der Optik der Sicherheit begleitet werden. Oder wenn Sie sich das System-Layout unserer Anlagen anschauen: Sie finden hier zwei Live-Systeme, die parallel laufen, sowie ein Backup-System. Bei uns gibt es also eine Stufe mehr, als dies üblich ist. Damit sind wir auf Stufe Plattform eine Stufe robuster als viele andere Unternehmen.

Skyguide betreibt mehrere Standorte in der Schweiz. Werden diese Standorte Informatik-seitig alle von Zürich aus betreut?
Nein, ein Teil meines Teams sitzt in Genf, ein anderer in Zürich. Sowohl in Genf wie in Zürich haben wir einen starken Informatik-Arm. Für mich spannend ist die dadurch entstehende kulturelle Diversität. Die eher den Romands zugeordnete Eigenschaft, zur Lösung eines Problems auch mal völlig unkonventionelle Wege zu gehen, kombiniert mit der Genauigkeit und der Ausdauer, welche eher meinen Deutschschweizer Kollegen zugeschrieben wird, führt zu ausserordentlich interessanten Resultaten.


Was können Sie mir zu aktuellen Projekten erzählen?
Es läuft eine ganze Reihe an Projekten. Ich möchte gerne ein etwas Grösseres herauspicken. Wir haben am Flughafen Zürich ein Collaborative-Decision-Making-System im Einsatz. Dabei handelt es sich um ein System, das es uns ermöglicht, Informationen aus verschiedenen Quellen so aufzubereiten, dass diese als Grundlage für Entscheidungen verwendet werden können. Dabei geht es um die Steuerung und Abwicklung des Flugverkehrs, wo komplexe, miteinander vernetzte Faktoren eine Rolle spielen. Dieses System, das vor rund 20 Jahren ursprünglich zusammen mit HP entwickelt wurde, hilft unseren Fluglotsen bei der täglichen Arbeit im und rund um den Flughafen Zürich. Wir haben das System später von HP übernommen und es weiterentwickelt. Aufgrund des Alters des Systems haben wir entschieden, es auf eine neue Plattform zu stellen. Weitere Änderungen am bestehenden System kämen uns teurer zu stehen, als wenn wir es von Grund auf modernisieren. Dieses für uns grosse Software-Projekt bewältigen wir inhouse. Im Vorfeld haben wir natürlich genau geprüft, ob wir zum heutigen Zeitpunkt ein solches System einkaufen können. Doch die Lösung ist so spezifisch, dass dies nicht möglich war.

Sie haben vor drei Jahren aus der Finanz-IT hierhin gewechselt. Wie lange dauerte es, bis Sie begriffen haben, worum es bei Skyguide geht?
Ich lerne noch heute jeden Tag dazu. Meine Aufgabe ist es, mir mit den richtigen Fragen an unsere Experten ein Bild zu verschaffen, das es mir erlaubt, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Hatten Sie als Externer einen schwierigen Start bei Skyguide?
Eigentlich nicht, der Start war sicher sehr zeitintensiv, aber ich wurde von Anfang an sehr stark unterstützt. Banken-Informatik und die Informatik hier sind grundlegend verschiedene Dinge. Banken-IT ist Datenbank-basierte Informatik, wo Konsistenz entscheidend ist. Beim Kerngeschäft von Skyguide liegt die Situation ganz anders. Hier haben wir einen Sensor, der ein Signal produziert, welches wiederum soweit aufbereitet werden muss, dass es für eine Entscheidung verwendet werden kann. Dann wird die Information weggeworfen. Datenbanken spielen damit im Bereich Air Traffic Control eine eher untergeordnete Rolle. In anderen Bereichen, beispielsweise im Bereich Aeronautical Information Management (AIM), sind Datenbanken im klassischen IT-Sinn jedoch ebenfalls sehr wichtig.

Sie sind Mitglied der Geschäftsleitung – wie wichtig ist das in Ihren Augen?
Ich denke, anders geht es gar nicht.

In vielen Firmen ist dies aber nicht so.
Das ist mir bekannt. In einem hochspezialisierten Bereich wie dem unseren, wo Technik und IT eine Schlüsselrolle spielen, wäre das ein grosser Nachteil. Bei uns gibt es weniger Berührungsängste zur Technik respektive zur IT. Ausserdem kann ich als Techniker in der Geschäftsleitung die technischen Aspekte – und die vielleicht etwas andere Sichtweise eines Technikers – einbringen. (mw)


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