Im Projekt die Balance wahren
Quelle: Vogel.de

Im Projekt die Balance wahren

Firmen übersehen oft, dass es für den Aufbau einer Projekt-Management-Kultur eines systemischen Denk-ansatzes bedarf. Projektschulung allein reicht nicht aus.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/12

     

Die von Wolfgang Mewes entwickelte Engpasskonzentrierte Strategie (EKS-Strategie) zur Unternehmenssteuerung besagt: Jedes Unternehmen ist im Laufe seiner Entwicklung stets mit neuen Engpässen konfrontiert. Hat es den einen passiert, steht der nächste vor der Tür.


Hat ein Unternehmen zu wenig Aufträge und Kunden, um seine Umsatz- und Wachstumsziele zu erreichen, startet es eine aufwendige Werbekampagne und Vertriebsaktion. Die Zahl der Aufträge steigt darauf hin sprunghaft an. Hieraus erwächst meist das nächste Problem, denn dem Unternehmen fehlen die Kapazitäten, um die Aufträge zeitnah abzuarbeiten. Also begibt es sich erfolgreich auf Personalsuche. Hieraus resultiert der nächste Engpass: Die Räume sind zu klein. Und aufgrund der gestiegenen Mitarbeiterzahl benötigt das Unternehmen eine andere Organisationsstruktur und Führungskultur. Also sucht das Unternehmen grössere Räume. Es strukturiert zudem um und startet ein Führungskräfteentwicklungsprogramm. Doch aufgrund der grösseren Mitarbeiterzahl sind auch die Fixkosten höher. Also muss die Firma dafür sorgen, dass sie dauerhaft mehr Umsatz erzielt.


So folgt ein Engpass auf den nächsten. Ein kluger Unternehmensführer zeichnet sich dadurch aus, dass er sich dieser Wechselwirkungen bewusst ist und sie bei den Planungen berücksichtigt. Tut er dies nicht, muss er mit Folgeproblemen wie zu wenig Aufträgen, zu wenig Auslastung und Geld sowie Liefer- und Qualitätsproblemen kämpfen.



Auswirkung von Entscheidungen

Ein erfahrener Unternehmensführer versucht also, zwischen diesen Faktoren die nötige Balance zu wahren, damit sich das Unternehmen stetig weiterentwickelt und seinen Erfolg nicht durch unüberlegte «Hauruck-Aktionen» gefährdet. Was für das Thema Unternehmensführung gilt, gilt auch für das Projekt-Management in Unternehmen. Denn Projekte zielen letztlich stets darauf ab, dass sich das System Unternehmen entwickelt. Also stehen die Verantwortlichen auch hier vor der Herausforderung, die nötige Balance zu wahren.


Häufig gelingt es den Firmen aber gerade beim Projekt-Management aus unterschiedlichen Gründen nicht, das Gleichgewicht zu bewahren. Die Projektziele werden nicht oder nur teilweise erreicht. Und werden die Projektziele erreicht, dann zum Preis, dass in anderen Bereichen Folgeprobleme auftreten, so dass das Projekt aus gesamtunternehmerischer Warte eigentlich gescheitert ist.


Letztlich hängt der Erfolg des Projekt-Managements von Unternehmen von sehr vielen Faktoren ab. Diese lassen sich aber weitgehend vier Handlungsfeldern zuordnen:


• Fähigkeiten (der Mitarbeiter)


• Tools bzw. die technische Infrastruktur


• Organisations- bzw. Projekt-Struktur


• Firmen- bzw. Projekt-Kultur




Fähigkeiten (der Mitarbeiter)

Wenn Unternehmen registrieren, dass sie ein Problem beim Projekt-Management haben, kontaktieren sie Unternehmensberatungen und wollen den Mitarbeitern in einem Crashkurs das nötige Wissen vermitteln. Die Probleme werden also personalisiert und es wird übersehen, dass die Ursache der Probleme auch eine andere sein kann.


Bezogen auf die Projektmanagement-Fähigkeiten der Mitarbeiter lassen sich in Unternehmen zwei Extreme konstatieren. Auf der einen Seite gibt es Firmen, die Mitarbeitern ohne professionelle Vorbereitung Projektaufgaben übertragen. Oft gemäss der Maxime: «Herr Müller hat in der ‹Linie› schon oft sein Können gezeigt und hervorragende Ergebnisse geliefert. Lass’ den mal das Projekt übernehmen. Dann kann er zeigen, was wirklich in ihm steckt.» Übersehen wird dabei, dass Projekte in der Regel sehr komplexe Vorhaben sind. Ausserdem erfordern Projekte oft ein anderes Fachwissen als operative Aufgaben in der Linie.


Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ohne Unterlass schulen. Sie besuchen ein Projekt-Management-Training nach dem anderen, ohne dass sich ihre Erfolge bei Projektaufgaben erkennbar erhöhen. Die Mitarbeiter kennen nach den Schulungen zwar die Projekt-Management-Methoden und -Instrumente, können diese aber in der Organisation nicht effektiv einsetzen, weil die existierende Struktur und Kultur sowie die vorhandenen IT-Tools dies nicht ermöglichen.



IT-Tools und technische Infrastruktur

Bei Projekt-Management-Trainings wollen Firmen häufig auch noch IT-Tool-Schulungen einbinden, weil man dafür ihrer Meinung nach nicht viel Zeit braucht. Unternehmen unterschätzen also vielfach die Bedeutung der IT-Tools für den Projekt-Management-Erfolg.


Viele Firmen stellen den Mitarbeitern gar keine IT-Tools zur Verfügung. Die Mitarbeiter basteln sich selbst Tools für die Planung und Steuerung der Projekte. Meist handelt es sich hierbei um Excel-Lösungen. Entsprechend viel Zeit und Energie ist für das Abstimmen, Koordinieren und Harmonisieren nötig.




Haben Unternehmen im Gegenzug die Bedeutung von gemeinsam genutzten IT-Tools erkannt, führen sie oft top-down sehr mächtige Werkzeuge ein, die an den praktischen Anforderungen vorbei gehen. Die Mitarbeiter fühlen sich überrannt – auch weil es zunächst einer umfangreichen Schulung bedarf, bevor sie das Tool überblicken und mit ihm arbeiten können. Also benutzen sie das Tool zwar formal, arbeiten im Alltag aber weiterhin mit ihren bewährten Excel-Lösungen.


Doch selbst wenn eine Firma ein adäquates Tool wählt, ist dies noch kein Garant für ein erfolgreiches Projekt-Management, denn den Mitarbeitern fehlen häufig die notwendigen Projekt-Management-Kenntnisse und in der Organisation existiert nicht die erforderliche Projektmanagement-Struktur und -Kultur, um das Tool effektiv einzusetzen.


Struktur

Oft hört man von Entscheidern in Unternehmen: «Unser Projekt-Management entspricht nicht mehr unserem Bedarf. Wir müssen es neu strukturieren und dies auch in einem Handbuch dokumentieren.» Vernimmt man von Unternehmen diese Aussage, dann lassen sich erneut zwei Extreme registrieren. Das Erste: Im Unternehmen existiert noch gar keine Projektorganisation. Projekt-Management-Instanzen wie Steuerungskreis, Projektleiter und -mitarbeiter sind entweder noch nicht installiert oder sie haben keine klaren Aufgaben, Kompetenzen sowie Verantwortungen (AKVs). Dies führt zu Streitereien innerhalb der Projekte. Damit verbunden sind mangelhafte oder nicht definierte Projekt-Management-Prozesse.


Haben Unternehmen die Notwendigkeit einer professionellen Projektorganisation erkannt, verfallen sie oft ins zweite Extrem: Sie suchen ihr Heil in einer detaillierten, schriftlichen Dokumentation der Projekt-Management-Richtlinien und -Prozesse. Die Folge sind oft dicke Handbücher, die einmal verfasst und dann nie mehr verwendet werden. Oder aber die Projekt-Manager halten sich sklavisch an das formulierte Regelwerk – unabhängig davon, was im Projekt gerade sinnvoll wäre. Die Projekt-Management-Struktur wird nicht mit Leben erfüllt, weil sie nicht in einer passenden Projekt-Management-Kultur verankert ist.



Kultur

Kaum ein Unternehmen wendet sich an einen Berater mit der Absicht, eine Projekt-Management-Kultur aufzubauen. Denn beim Thema Kultur handelt es sich aus Unternehmenssicht um ein eher schwammiges Thema, das man nicht greifen und messen kann. Daher ist auch der Profit, der daraus resultiert, nur schwer in Franken ausdrückbar – zumindest so lange nicht definiert und operationalisiert ist, wohin die Unternehmens- sowie Projekt-Management-Kultur zeigt und wo Abweichungen zur angestrebten Kultur bestehen.


Welchen Reifegrad die Projekt-Management-Kultur hat, zeigt sich unter anderem darin, welchen Stellenwert die Projekte gegenüber den Linienaufgaben haben und wie AKVs in der Praxis gelebt werden. Verantwortliche erkennen meist erst, dass sie im Bereich Projekt-Management aktiv werden müssen, wenn Probleme auftauchen. Dass es sich bei den Problemen faktisch um Kulturprobleme handelt, haben sie oft nicht im Blick.




Was die Projekt-Management-Kultur eines Unternehmens ausmacht, lässt sich mit folgendem Satz umreissen: «Culture – that’s the way we do things around here.» In jedem Unternehmen gibt es typische Denk- und Handlungsmuster, wie Projekte angegangen werden. Die entscheidende Frage ist: Welche Muster sind dies und fördern sie das erfolgreiche Managen von Projekten oder nicht?


Auch bei der Projekt-Management-Kultur lassen sich zwei Pole konstatieren. Zum einen gibt es Unternehmen, in denen die mit dem Projekt verbundenen Konflikte nicht offen angesprochen werden. Dasselbe gilt für Meinungsunterschiede über die beste Problemlösung und Vorgehensweise. Auch die mit dem Projekt verbundenen Risiken werden tabuisiert. Den anderen Pol stellen Firmen dar, in denen der Wunsch nach im Konsens getroffenen Entscheidungen sehr ausgeprägt ist. Bei ihnen wird oft so lange über die Zielsetzungen, das Vorgehen und die Zuständigkeiten debattiert, dass die Organisation entweder nie oder erst sehr spät ins Handeln kommt. Die Folge: Das Unternehmen läuft den Entwicklungen im Markt oder in der Branche hinterher.


Zwischen diesen beiden Polen gilt es beim Aufbau der gewünschten Projekt-Management-Kultur die erforderliche Balance zu wahren. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass einerseits die Mitarbeiter und Bereiche mitziehen und anderseits die Organisation über die Innovationsfähigkeit und -kraft verfügt, die es braucht.





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