Für ein Zürcher Silicon Valley fehlt der Nachwuchs
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/12
Am 14. Januar 2011 findet an der ETH Zürich der 2. Schweizer Tag für den Informatikunterricht statt. Er wird vom Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht der ETH Zürich (www.abz.inf.ethz.ch) organisiert und steht unter dem Motto „Nachhaltig Wissen vermitteln“. Wie im Vorjahr stehen zehn spannende Workshops zur Auswahl, in denen die Teilnehmenden sich im direkten Austausch mit Forschenden und Didaktiklehrpersonen neue Impulse und spannende Konzepte für ihren Unterricht holen können. Ein zusätzlicher Höhepunkt sind zwei Kurzvorträge des weltbekannten Turing-Preisträgers Prof. Dr. Niklaus Wirth zu „Programmieren“ und von Prof. Dr. Valentina Dagiene, der Erfinderin des erfolgreichen Wettbewerbs «Informatik-Biber». Der Anlass richtet sich an Mathematik-, Physik- und Informatiklehrkräfte der Mittelschulen sowie an Lehrpersonen der Volksschule. Am ersten Schweizer Tag für den Informatikunterricht haben 120 Lehrkräfte teilgenommen. Ein ausführliches Programm und Angaben zur Anmeldung gibt es unter www.abz.inf.ethz.ch/stiu.
Der Zürcher Stadtrat träumt von einem Silicon Valley. Die Bemühungen um eine Stärkung der Leitwissenschaft Informatik und des Werkplatzes Zürich sind natürlich sehr verdienstvoll. Dabei darf Informatik (Informatikgrundlagen) aber nicht mit Informatikanwendung (Rechnerhandhabung) verwechselt werden. Im Unterschied zu Informatikanwendungen sind Informatikgrundlagen langlebig.
Damit Zürich zu einem Silicon Valley wird, muss der nachhaltige Informatikunterricht an unseren Schulen gefördert werden. Voraussetzung dafür ist – neben einer guten Berufsbildung – u.a. auch eine Informatikausbildung an unseren Gymnasien, die diesen Namen verdient. Mathematik und Physik sind an unseren Mittelschulen Pflichtfächer, nicht aber Informatik.
Die Informatik, die fast alle Lebensbereiche durchdringt, wurde mit der Maturareform von 1995 grösstenteils aus unseren Mittelschulen verbannt. Erst seit dem Schuljahr 2008/2009 dürfen Schweizer Gymnasien das Ergänzungsfach Informatik anbieten. Das Fach ist jedoch freiwillig, und es kommt nur bei genügend Anmeldungen zustande. Dass der Nachwuchs an gut ausgebildeten Informatikerinnen und Informatikern bei weitem nicht ausreicht, überrascht unter diesen Umständen nicht.
In zahlreichen Kantonen (z.B. Aargau, Bern, Luzern, St. Gallen, Thurgau) bieten alle oder nahezu alle Kantonsschulen mittlerweile das Ergänzungsfach Informatik an. Leider ist ausgerechnet der Kanton Zürich im Rückstand. Nur wenige Gymnasien führen hier, meist im Verbund, das Ergänzungsfach. Zudem ist auch die Anzahl Stunden tief. Im schweizweiten Schnitt hat das Fach 4,5 Jahreswochenlektionen, im Kanton Zürich sind es bloss 3.
Laut Juraj Hromkovic, Professor für Informationstechnologie und Ausbildung der ETH Zürich, ist „das Konzept der ICT-Ausbildung des Kantons Zürich eher auf den oberflächlichen Umgang mit unterschiedlicher Software ausgerichtet als auf echte Informatikkompetenzen und allgemeinbildendes Wissen. Und das in Zeiten, wo immer mehr Länder Programmieren bereits als Pflichtfach in der Primarschule eingeführt haben. Die Ankündigungen zur Pionier- und Modellstadt eZürich sind im Augenblick für Fachleute etwa so glaubwürdig, wie wenn jemand durch Unterstützung beim Erwerb des Fahrzeugführerscheins eine Stadt zum Zentrum der Automobilindustrie machen möchte“.
Entscheidend ist, dass die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) bereits an der Volksschule gefördert werden. Denn hier erfolgen wichtige Weichenstellungen. An unseren Schulen kommen mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer jedoch zu kurz: Ein Gymnasium mit geisteswissenschaftlichem Schwerpunkt kann bis zu 60 Prozent der gesamten Unterrichtszeit den geisteswissenschaftlichen Grundlagenfächern widmen. Ein Gymnasium mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Ausrichtung darf hingegen höchstens 35 Prozent der Unterrichtszeit den mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagenfächern zuteilen.
Im Informatikunterricht kommt dem Programmieren eine grosse Bedeutung zu. Dass bereits Kinder programmieren können, beweisen die erfolgreichen Kurse, die die ETH Zürich seit Jahren unter Leitung von Juraj Hromkovic durchführt. So läuft in den Monaten Oktober und November an der ETH ein Programmierkurs für Kinder ab 10 Jahren, an dem rund 130 Schülerinnen und Schüler mitmachen. An der Primarschule Domat/Ems gibt es ähnliche Versuche.
Seit 1989 werden jährlich internationale Informatikolympiaden (IOI) durchgeführt; die Schweiz machte erstmals 1992 mit. Dabei handelt es sich um einen Programmierwettbewerb für Jugendliche unter 20 Jahren. Unsere Schülerinnen und Schüler haben in den letzten vier Jahren insgesamt drei Silber- und drei Bronzemedaillen gewonnen. Doch der gute Eindruck täuscht: Nimmt man nämlich die Ranglisten der IOI seit dem Jahr 2000 näher unter die Lupe, kommt man zu einem ziemlich ernüchternden Befund: Unser Land hat noch nie eine Goldmedaille erhalten. In der Statistik der Goldmedaillen für die Jahre 2000 bis 2010 liegt die Schweiz auf Rang 34. Unser Land ist allerdings nicht allein: Von rund 80 teilnehmenden Staaten hat rund die Hälfte dieses Ziel bisher nicht erreicht. Aber: Neben den Wissenschaftsolympiaden gibt es auch Berufsweltmeisterschaften, wo unsere Jugendlichen sehr gut abschneiden.
Das Ausbildungs- und Beratungszentrum für Informatikunterricht ABZ (www.abz.inf.ethz.ch) der ETH Zürich fordert seit Jahren die Einführung eines Grundlagenfachs Informatik an den Schweizer Gymnasien. In seinem vor kurzem verabschiedeten Positionspapier „Informatik am Gymnasium“ unterstützt ICTswitzerland, der Dachverband der Schweizer Informatikgesellschaften, dieses Anliegen. Der 2008 erschienene Bericht „Hochschulreife und Studierfähigkeit“, herausgegeben von der Universität Zürich und der ETH Zürich sowie von der Schulleiterkonferenz und der Lehrpersonenkonferenz der Mittelschulen des Kantons Zürich, befürwortet ebenfalls ein gymnasiales Pflichtfach Informatik. Zum gleichen Schluss kommt auch ein (noch nicht veröffentlichtes) Grundlagenpapier der Berner Hasler-Stiftung.