Stopp dem Mail-Wahnsinn
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/31
In rund einem Monat feiert der E-Mail-Dienst seinen 31. Geburtstag. Im Oktober 1971 hat der Ingenieur Ray Tomlinson erstmals eine in Grossbuchstaben verfasste Nachricht von einer Mailbox in die andere verschickt - allerdings funktionierte der Versand zunächst nur, wenn beide Mailboxen auf demselben Rechner liefen.
Das hat sich gründlich geändert: Im Jahr 2000 gab es einer IDC-Studie zufolge weltweit über 505 Millionen virtuelle Briefkästen, und bis zum Jahr 2005 soll diese Zahl bereits auf 1,2 Milliarden ansteigen. Damit ist E-Mail nicht nur einer der ältesten Services im World Wide Web, sondern auch einer der dominantesten. Und seine Beliebtheit ist ungebrochen, wie verschiedene Studien immer wieder zeigen - E-Mail ist und bleibt eine der am häufigsten genutzten Anwendungen des Internet.
Natürlich ist E-Mail dabei nicht nur das Wundermittel moderner Kommunikation, sondern führt auch zu Problemen: Nach Angaben einer Gartner-Studie aus dem Vorjahr vertrödeln Mitarbeiter in Unternehmen durchschnittlich gut eine Stunde damit, ihre E-Mails zu bearbeiten, worunter das Lesen, Beantworten, Weiterleiten und Löschen der elektronischen Nachrichten verstanden werden.
Der grosse Zeitaufwand wäre ja insofern noch kein Problem, wenn die Botschaften wenigstens wichtig wären. Das sind sie aber grossteils nicht: Nur gerade 27 Prozent der Mails, fand die Studie heraus, sind dringend oder wichtig. Das deckt sich mit den Erfahrungen vieler User. Hansruedi Good, Director of Business Sales bei TDC Schweiz (Sunrise): "Ich erhalte täglich zwischen 50 und 70 Mails. Erfahrungsgemäss ist davon rund ein Viertel wichtig und dringend. Circa 50 Prozent haben wenigstens informativen Wert, der Rest ist weniger wichtig."
Hinsichtlich der Wichtigkeit der Mails kommt die Gartner-Studie allerdings auf höhere Zahlen: 34 Prozent der Nachrichten sind demgemäss schlicht überflüssig, nach anderen Studien sind es sogar bis zu 50 Prozent - und die Tendenz steigt. Gemäss der erwähnten IDC-Studie werden in wenigen Jahren bis zu 13'000'000 Milliarden Mails jährlich verschickt, Spam noch gar nicht eingerechnet. Der heissgeliebte und hochgelobte E-Mail-Dienst ist drauf und dran, sein hässliches Gesicht zu zeigen.
Viele Anwender haben inzwischen bemerkt, dass E-Mail nicht nur Zeit sparen kann, sondern auch Zeit kostet, und das nicht zu knapp. Auch Unternehmen stellen nun fest, dass die virtuelle Post nicht nur Kosten einspart, sondern in Form entgangener Produktivität vor allem auch verursacht.
Um den mit der Mail-Flut verursachten Stress und die Kosten zu minimieren, werden deshalb verschiedene Möglichkeiten erprobt:
Mit der Einrichtung von Mail-Policies wird versucht, die Mail-Flut zu verringern und zu kanalisieren. Das kann Vor- und Nachteile haben: Einerseits wird dadurch die Effizienz gesteigert und es kostet fast nichts. Andererseits kann sich eine unbeliebte Policy auch kontraproduktiv auswirken, indem sie Unzufriedenheit auslöst und dadurch die Produktivität reduziert. Unter dem Gesichtspunkt der Eindämmung der Mail-Flut ist in einer Policy insbesondere wichtig, ob private Mails (und damit die unzähligen ewig weitergeleiteten Joke- und Kettenmails) erlaubt sind. Hansruedi Good: "Bei uns gibt es zwar klare Richtlinien bezüglich rechtlicher Aspekte. Leider existiert aber kein 'E-Mail-Knigge' - jeder Mitarbeiter darf versenden, was er für richtig hält. Immerhin: Spam wird bereits in unserem Mailserver abgefangen. Unsinnige CCs sind dagegen eine echte Plage." Darüber hinaus muss in einer Policy definiert werden, ob die Firmen-Mail-Adresse im Internet benutzt werden darf (wo sie Adress-Sammler für Spam-Zwecke zusammensuchen können). Ebenfalls nicht zu vernachlässigen sind Fristen, innert welcher eine eingegangene Mail bearbeitet sein muss, sowie Verhaltensregeln im Zusammenhang mit der Archivierung. Und nicht zuletzt sind Konventionen über den internen Mail-Verkehr zu formulieren: Nicht jede Mail beispielsweise muss als Kopie an Vorgesetzte geschickt werden. Natürlich beinhaltet eine gute Policy weitere Punkte, etwa über Sicherheitsmassnahmen beim Empfang und Versand von Nachrichten.
Fast jedes E-Mail-Programm besitzt heute eine ganze Anzahl mehr oder weniger ausgeklügelter Filter- und Sortiermechanismen. Diese können Nachrichten nach bestimmten Kriterien in besondere Ordner umleiten, die Priorität anpassen und andere zeitraubende Aufgaben automatisch erledigen. Diese Mechanismen nutzt auch Hansruedi Good bei seiner täglichen Arbeit: "Ich habe in meinem Outlook verschiedene Filter gesetzt, und für Vorgesetzte und wichtige Mitarbeiter wie meine Assistentin existieren je eigene Ordner."
Im Firmenumfeld gibt es auch die Möglichkeit, Verteilerlisten beispielsweise für Projektgruppen einzurichten. Mit Hilfe solcher Listen lässt sich nicht nur die Flut der Mails einschränken, indem sie nicht wahllos weitergeschickt werden, sondern auch Zeit sparen. Daneben bietet der (Shareware-) Markt eine Menge Tools, die sich hilfreich auswirken können. Neben spezieller Filtersoftware für den Server, die nicht nur Viren, sondern auch Hoaxes und andere Junk-Mails erkennt und diese aussiebt, sind beispielsweise auch Programme hilfreich, die doppelte Mails automatisch suchen und löschen oder zusammengehörige Nachrichten zu Threads zusammenfassen.
Der wichtigste Bestandteil einer guten Strategie gegen die Mail-Flut ist allerdings die Schulung. Die besten Software-Features und Zusatztools nützen nichts, wenn die Mitarbeiter sie nicht kennen oder nicht richtig mit ihnen umgehen können. Ist die Policy nicht oder nicht genügend bekannt, vermag sie nichts auszurichten. Und nur per Schulung kann einem Mitarbeiter beigebracht werden, dass nicht jede Nachricht auf den Mail-Verteiler gehört und nicht immer zwei CCs nötig sind. Haben alle Mitarbeiter gelernt, zuerst nachzudenken und erst dann die Empfänger zu wählen, reduziert sich die Mail-Flut schon recht gut und weitgehend von selbst. Zu einer umfassenden Schulung gehört aber nicht nur der Umgang mit den technischen Hilfsmitteln, sondern auch der Netiquette. So ist etwa das Lesen von Mails, deren (langer) Text nur in der Betreffzeile steht, oder von solchen mit Komplettzitaten, die die Nachrichten aufblähen und unübersichtlich machen, überflüssig zeitraubend. Auch das Wissen um sinnvolle Antwortzeiten kann nicht überall vorausgesetzt werden, und oft schadet es auch nicht, die Sprache zu schulen, vermeiden doch klar formulierte Mails häufig unnötige Rückfragen.
Mehr oder weniger taugliche Strategien zur Eindämmung der Mail-Flut gibt es wohl unendlich viele. Letztlich bleibt dem User nichts anderes übrig, als mit den vorhandenen Hilfsmitteln seine eigene, für ihn optimale Anti-Mail-Strategie zu entwickeln. Hansruedi Good hat dies bereits getan: Er nutzt neben den Bordmitteln von Outlook (siehe Print-Ausgabe) das bekannte Modell der "vier magischen Quadranten: Was wichtig und dringend ist, erledige ich selber. Dringende, aber weniger wichtige Nachrichten werden delegiert, ebenso wichtige, aber weniger dringende Angelegenheiten. Was weder wichtig noch dringend ist, wird eliminiert." Für den letzten Quadranten hat Outlook den Papierkorb bereits eingebaut, die drei anderen lassen sich mittels Unterordnern und Verteilerlisten problemlos selber organisieren.
Interessante Ergebnisse ergab übrigens eine aktuelle Studie, die die Unternehmensberatung SofTrust Consulting diesen Sommer in Deutschland durchgeführt hat: Der Untersuchung zufolge werden von durchschnittlich 26 Mails täglich über ein Drittel als unnötig betrachtet. Spam macht dabei sowohl mengen- als auch aufwandmässig weit weniger zu schaffen als überflüssige Nachrichten von bekannten Absendern. Interessant auch: Nur gerade 40 Prozent der befragten Manager bearbeiten ihre Mailbox selbständig - in den restlichen Fällen ist die Sekretärin für diese Aufgabe zuständig.
Zudem in der Print-Ausgabe: Mail-Management mit Bordmitteln