Urs Binder: Ich sage Jein zu Online-Shopping

Der Schlüssel zum Consumer-Erfolg heisst virtuell gleich wie real: Einkaufserlebnis.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/24

     

"Es ist kompletter Nonsense, Katzenfutter übers Internet zu bestellen, worauf es zu Transportkosten ins Haus geliefert wird, die dem Preis des Produkts mindestens gleichkommen."



So spricht Lawrence J. Ellison, Chairman und Chief Executive Officer von Oracle. Und diese Firma ist nicht etwa irgendeine Firma, sondern genau die Firma, die sich immer gerne als das E-Business schlechthin bezeichnet.


Schrauben sind kein Gemüse


Herr Ellison spricht mir, zumindest im genannten Punkt, voll und ganz aus dem Herzen. Dies nicht bloss, weil ich nur schon aus geruchlichen Gründen gar keine Katze halte - auch ich bin davon überzeugt, dass das Thema E-Business differenzierter anzugehen ist, als es die noch immer dutzendweise offerierten, meist mit Präfixen wie "Easy" oder "Instant" angepriesenen E-Commerce-Lösungen den Handelstreibenden aller Grössenordnungen weismachen wollen.



Dass Geschäftstransaktionen zwischen zwei oder mehreren Unternehmen anders verlaufen als der Privateinkauf, ist nachgerade eine Binsenwahrheit: Kreuzschlitzschrauben sind kein Gemüse. Der Business-to-Business-Handel folgt traditionell bestimmten Regeln und profitiert von der Automatisierung durch Computer und Internetkommunikation in höchstem Mass - sofern die Unternehmen ihre Geschäftsprozesse auf die neuen Möglichkeiten auch wirklich ausrichten, was in den meisten Fällen vom Management ein radikales Umdenken erfordert.





Bücher sind keine Tomaten


Anders sieht es im Consumer-Sektor aus. Hier gilt es, zwischen Gütern des täglichen Lebens und Objekten der Begierde zu unterscheiden. Erstere kauft man nach wie vor am liebsten im Laden. Hier lassen sich die Tomaten mit eigenem Auge begutachten, bevor man sie dem in diesem Fall real existierenden Warenkorb anvertraut. Ich jedenfalls nehme lieber den Gang zur nächsten Migros-Filiale in Kauf als die Gefahr, dass mir völlig unbekanntes Logistikpersonal, womöglich ohne Händewaschen nach der Toilette, auf meine Online-Bestellung hin überreife Tomaten mit vertrockneten Spargeln zu einer unwillkommenen vegetabilen Komposition zusammenstellt. Nicht, dass ich den zuständigen Mitarbeitern einen derartigen Mangel an Hygiene und Fingerspitzengefühl tatsächlich unterstelle, aber man weiss ja nie. Fazit: Auch wenn das amerikanische Trendorakel Faith Popcorn weissagt, bis 2010 würden neun Zehntel aller Einkäufe online erfolgen, wird es wohl kaum so kommen.



Weniger Verderbliches wie Bücher und DVDs, aber auch Zimmerreservationen und Flugtickets, eignen sich dagegen bestens zur Online-Beschaffung. Wieso soll ich zur Buchhandlung rennen, wo die gewünschten Titel sowieso nie vorrätig sind und ich sie im gegenteiligen Fall mühsam nach Hause schleppen muss, wenn Amazon sie mir portofrei ins Haus liefert? Und statt den nächsten Flug nach Tempelhof (anderthalb Stunden) mit einem Gang zum Reisebüro (nochmals anderthalb Stunden) zu erkaufen, buche ich ihn lieber bequem vom Sofa aus (anderthalb Minuten).





Keine Nische ohne Liebe


Eigentlich wäre Online-Shopping auch das ideale Vehikel, um wenig bekannte oder nur lokal geläufige Produkte der Weltöffentlichkeit schmackhaft zu machen: Selbst für die schmalste Bedarfsnische findet sich im Internet garantiert ein Kunde. Mit den erwähnten Online-Shop-Lösungen fällt die Eröffnung des elektronischen Ladens zudem nicht schwer - und genau das ist wohl das Problem.



Es ist nämlich erschreckend, wie lieblos der durchschnittliche E-Shop aufgemacht ist. Nichtssagende Texte, unscharfe Bilder, grässliche Farbkombinationen. Aktuelle Angebote vom Vorjahr, überhöhte Preise, unverschlüsselte Bestelldatenübermittlung. Fehlende Anbieterinfos, nicht publizierte Geschäftsbedingungen, fragwürdige Zahlungsmethoden. Um nur einige Missstände zu nennen. In der realen Welt kommt jeder Rampenverkauf eleganter daher.




Der Schlüssel zum Consumer-Erfolg heisst virtuell gleich wie real: Einkaufserlebnis. Zu traurig, dass selbst Anbieter hervorragender Produkte dies bei ihrer Internetpräsentation oft nicht berücksichtigen. Da ist es auch kein Wunder, dass die meisten Online-Shops bloss dahindümpeln und nicht einmal ihre Erstellungskosten je wieder einspielen.



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