PC-Zukunft im vernetzten Heim

Mit der Viiv-Plattform will Intel dem digitalen, vernetzten Home-Entertainment zum Durchbruch verhelfen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/20

     

Mit dem PC als Entertainment-Zentrale hat es bisher nicht so geklappt: Zwar propagiert Steve Jobs den Mac schon seit Jahren als «Digital Hub», Microsoft hat mit der Media-Center-Edition 2005 bereits die zweite Auflage einer wohnstubentauglichen Windows-Plattform im Programm, und Hersteller verschiedenster Couleur versuchen, ihre Media-Center-Maschinen unter die Leute zu bringen. Der Erfolg ist bisher mässig – trotz prinzipiell besserer Funktionalität zieht Otto Normaluser die klassische Unterhaltungselektronik dem PC-basierten Umgang mit Media-Entertainment auch heute noch bei weitem vor. Dabei dürften Preis- und Stabilitätsgründe die Hauptrolle spielen: Ein DVD-Recorder kommt halt billiger als ein Media-PC und stürzt praktisch nie ab.


Quantensprung in Sachen Digital Home

Nun nimmt sich Intel der Sache von Grund auf an. Ab Anfang 2006 soll eine runderneuerte Generation von Digital-Home-tauglichen PCs auf den Markt kommen: Unter dem Label «Viiv» vereint Intel verschiedene aktuelle und demnächst marktreife Technologien zu einer Plattform – Viiv-konforme Geräte müssen eine Reihe technischer Voraussetzungen erfüllen und gewisse Features bieten, um das Viiv-Label zu erhalten.





Dazu kommen intensive Gespräche mit der Content-Industrie und mit Consumer-Electronics-Herstellern: Intel möchte nicht bloss die Hardwarebasis liefern, sondern ein ganzes Digital-Home-Ökosystem anregen, in dem alle Komponenten nahtlos zusammenspielen – ohne Inhalte und Schnittstellen zur herkömmlichen Unterhaltungselektronik steht auch der technisch bestausgestattete Wohnzimmer-PC ziemlich einsam in der Landschaft. Als erstes Beispiel nennt Intel ein Joint-Venture mit dem von Hollywood-Schauspieler Morgan Freeman gegründeten Online-Dienst Clickstar.
Mit Viiv will Intel offensichtlich den beträchtlichen Erfolg der Centrino-Plattform wiederholen: Die Kombination von stromsparendem Prozessor, integriertem WLAN-Funkadapter und Kennzeichnung von WLAN-Hotspots mit dem Centrino-Logo hat der WLAN-Technik erst so richtig zum Durchbruch verholfen; Viiv soll nun auch dem digitalen Heim die breite Akzeptanz bringen.






Die Viiv-Plattform wurde am 24. August an Intels Herbst-Entwicklerforum IDF der Entwicklergemeinde angekündigt; zuvor war das Projekt unter dem Codenamen «East Fork» bekannt. Anfang 2006 folgt der offizielle Launch fürs allgemeine Publikum mit einer breit angelegten Kampagne. Dann sollen auch erste Viiv-konforme Geräte und Dienste auf den Markt kommen – laut dem zuständigen Digital-Home-Manager Don MacDonald werden es von Anfang an «eine ganze Menge von Geräten, Content und Services in allen denkbaren Formen» sein.


Sechs unerlässliche Features

Konkreter wird MacDonald nicht – über Hersteller und Modelle schweigt sich Intel bisher konsequent aus. Bekannt sind dagegen die Features, die jeder Viiv-PC zwingend bieten muss – sie laufen unter den drei Hauptstossrichtungen «Ease of Use», «Performance» und «Connectivity»:



Ten-Foot-Interface: Jeder Viiv-PC kommt mit einer Fernbedienung zur Steuerung der Medienfunktionen. Passend dazu soll die Oberfläche auch aus grösseren Entfernungen problemlose Bedienung ermöglichen: 10 Feet entsprechen etwa drei Metern, dies im Gegensatz zum «Two-Foot-Interface» bei der herkömmlichen PC-Nutzung im Büro. Die ersten Modelle dürften sinngemäss mit Windows Media Center Edition 2005 ausgestattet sein; die Viiv-Spezifikationen legen jedoch das Betriebssystem nicht grundsätzlich fest – ein Intel-basierter Viiv-Mac mit einem Viiv-zertifizierten, speziell angepassten Mac OS X ist durchaus denkbar, ebenso ein Viiv-PC auf Linux-Basis.



Quick Resume Technology: Nach dem ersten Aufstarten lässt sich ein Viiv-PC per Knopfdruck sekundenschnell aus- und wieder einschalten. Damit verhält sich der PC wie ein klassisches UE-Gerät; die ewige Warterei bei jedem Einschalten fällt weg, an der auch die meisten bisherigen Media-Center-Geräte leiden.



Klang in Kinoqualität: 5.1-Surround-Sound ist Pflicht, idealerweise bietet ein Viiv-PC auch 7.1-Unterstützung.



Vernetzung: Der Viiv-PC kann Musik, Video, Fotos und andere multimediale Inhalte an andere Viiv-konforme Geräte übermitteln. Dabei sind mehrere parallele Streams mit unterschiedlichen Inhalten möglich. Die Vernetzung erfolgt kabelgebunden via Ethernet oder übers Stromnetz – Intel ist dazu der HomePlug-Powerline-Alliance erneut beigetreten. Ein Wireless-Netzwerk ist optional; auch hier lässt Intel die Wahl zwischen WiFi und kommenden Technologien wie WiMax oder Wireless USB. Auch herkömmliche UE-Geräte, zum Beispiel der Fernseher im Schlafzimmer, lassen sich über Legacy-Media-Adapter ans Mediennetz anschliessen und können so vom Viiv-PC gestreamte Inhalte wiedergeben.



Integrated Media Server: Die von Intel entwickelte Software zum Medienhandling, die mehrere hunderttausend Zeilen Code umfasst und in Version 3 als Teil der Viiv-Plattform fungiert, heisst Digital Media Infrastructure. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben: Sie wandelt die gespeicherten oder aus dem Internet gestreamten Inhalte je nach dem jeweiligen Abspielgerät ins passende Format um. Der Benutzer merkt von dieser Transcodierung nichts – sie läuft im Hintergrund und im Idealfall in Echtzeit ab.



Dual-Core-Prozessoren: Das parallele mehrfache Streaming, allenfalls mit gleichzeitiger Transcodierung, ruft nach hoher Performance. Als CPU kommt im Viiv-PC deshalb obligatorisch ein Prozessor mit mindestens zwei Kernen zum Einsatz. Die Mehrkern-Performance ermöglicht auch völlig neuartige Anwendungen – als Prototyp existiert beispielsweise eine Software, die aus der 90-minütigen Aufzeichnung eines Fussballspiels mit Hilfe von Artificial-Intelligence-Techniken automatisch die interessantesten zehn Minuten extrahiert.







Im Gegensatz zu früheren Home-PC-Konzepten legt die Viiv-Spezifikation jedoch keinen Formfaktor fest. Vom klassischen Minitower über Geräte im Stil von DVD-Playern bis zu komplett neu entwickelten Formen ist alles denkbar. Intels Vorstellung geht aber generell Richtung kompakt und möglichst PC-unähnlich. Illustriert wird dies durch einen Prototypen namens «Golden Gate»: Die gesamte Elektronik ist in einem flachen Gehäuse von der Grösse einer kleineren Zigarrenschachtel untergebracht.


Viiv – Goldene PC-Zukunft oder bloss der nächste Versuch?

Es wäre ja schön, wenn Intels Vision vom total vernetzten digitalen Heim Realität würde: Mit einem preisgünstigen PC als Schaltstelle Musik und Filme einfach abrufen statt mühsam das DVD-Regal durchforsten, zeitversetzt fernsehen und sich ohne Rechercheaufwand das Wichtigste vom Tage konzis zusammengefasst präsentieren lassen – das klingt gut. Die technischen Voraussetzungen sind mit der offenbar schon weit entwickelten Infrastruktursoftware, leistungsfähigen Doppelkernprozessoren und passenden Chipsets mehr als gegeben, und zumindest laut Intel-Stimmen sind bereits zahlreiche UE-Hersteller involviert, damit pünktlich zum Launch Anfang 2006 genügend konformes Equipment bereitsteht. Und die Third-Party-Entwickler ködert Intel mit der Aussicht, der Consumer-Electronics-Markt biete mit zwei Milliarden Bildschirmen noch einiges mehr an Verkaufsgelegenheiten für Software und Zubehör als die klassische PC-Szene.





Kritisch für den Erfolg dürften zwei Faktoren sein: Erstens muss genügend preisgünstiger Content bereitstehen, der ohne die übertriebenen Schutzmassnahmen der bisherigen Angebote daherkommt – kurz: weg mit allzu einschränkenden Nutzungsrechten. Dass es auch anders geht, beweist Apple mit den relativ liberalen Kopierrechten im iTunes Store – obwohl auch dort die Preise an der oberen Grenze des Vernünftigen liegen: Es ist einfach nicht einzusehen, weshalb man für die komprimierte Variante eines Titels, der noch dazu ohne Booklet und Cover daherkommt, mehr oder weniger gleich viel zahlen soll wie für die CD im Laden.






Zweitens muss sich der PC als Digital-Home-Zentrale noch durchsetzen – auch gegenüber Konzepten, die funktional eigentlich weniger bieten, aber wesentlich preisgünstiger sind, zum Beispiel Spielkonsolen mit integriertem DVD-Player und Internetanschluss. Immer grössere Verbreitung finden auch die zahlreichen Streaming-Böxchen, die zusammen mit dem PC im Heimbüro zumindest für die Musik vergleichbare Möglichkeiten bieten. Für Film und Fernsehen hat man ja schon die passenden Geräte – es gibt auf Anhieb wenig Grund, eine funktionierende UE-Infrastruktur durch ein PC-basiertes System zu ersetzen, das sich erst noch langfristig bewähren muss.
Fazit: Viiv könnte von Konzept und Technik her durchaus den Durchbruch des Digital Home bringen, wird aber von Anfang an stark durch die herkömmliche Unterhaltungselektronik und andere, simpler gestrickte Digital-Home-Konzepte konkurrenziert.

(ubi)


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