ILM-Praxis bei Phonak

Der Hörgeräte-Hersteller hat die dezentralen Direct-Attached-Disks durch ein mehrstufiges Storage- und Backup-System nach ILM-Grundsätzen ersetzt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/08

     

Von einer heterogenen IT-Landschaft mit lokalen Installationen an 31 Standorten weltweit zum zentralen Data Center mit konsolidierter Server- und Storage-Infrastruktur: Der bekannte Hörgeräte-Hersteller Phonak vollzieht diesen fundamentalen Wechsel des IT-Betriebsmodells in einem mustergültigen Projekt in wenigen Monaten.


Datenwachstum, Kosten und Globalisierung

Das Data Center in Stäfa soll alle europäischen und asiatischen Phonak-Standorte bedienen. Für den zuständigen Data-Center-Manager Patrick Andri sprechen drei Hauptgründe für die Ablösung der bisherigen heterogenen Umgebung. Erstens wächst die Datenmenge jährlich um rund 50 Prozent an – 2004 waren es 1,5 Terabyte, bis 2008 rechnet man mit 7,6 TB Speicherbedarf. Andri betont, es handle sich bei diesen Zahlen um realistische Prognosen, die sich aus der historischen und aktuellen Entwicklung ergeben.
Der zweite Grund: «Durch die Globalisierung mit zentralen Datacentern statt eigenen IT-Installationen an jedem Standort haben wir heute Anforderungen zu bewältigen, die früher nicht existierten», meint Andri und präzisiert: «Wir sind heute zum Beispiel als firmeninterner ASP für die Exchange-Dienste tätig und müssen einen 7x24-Service anbieten.» Damit entfallen die bisherigen Backup-Fenster – die Datensicherung darf den produktiven Betrieb nicht beeinträchtigen, eine neue Storage-Architektur wird nötig.
Ausserdem steigt der Kostendruck. Andri: «Der Aufhänger ist klar die Wirtschaftlichkeit. Ohne Kostenvorteile würde man ein solches Konsolidierungsprojekt gar nicht erst angehen. Die Anforderungen steigen, die Mittelflussrechnung orientiert sich stärker an der Wertschöpfung – kurz gesagt: Wir müssen mit weniger Geld mehr leisten.»





Die Storage-Infrastruktur im Phonak-Data-Center


ILM-Lösung mit mehrstufigem Backup

Der Kostenfaktor gab zusammen mit dem Datenwachstum auch die Stossrichtung vor: «Es ist unwirtschaftlich, alle Daten langfristig auf teuren herkömmlichen Disk-Arrays zu halten.» Die neue Storage-Architektur wurde deshalb nach ILM-Grundsätzen konzipiert. Als Primärspeicher dient ein Unified-Storage-System (NAS und SAN in einem System) FAS920 mit derzeit 6 Terabyte Fibre-Channel-Disks von Network Appliance (NetApp), das die Daten von bisherigen Direct-Attached-Festplatten sowie kleineren Storage-Lösungen zentral zusammenfasst und sich sowohl als NAS-Gerät für File-Services als auch via iSCSI-SAN für blockorientierte Applikationen wie Exchange, Datenbank-Systeme oder das ERP-System nutzen lässt.





Ein NearStore-System R200 mit 16 TB in Form wesentlich günstigerer SATA-Laufwerke, ebenfalls von NetApp, übernimmt E-Mail-Archiv- und Datensicherungsfunktionen (inklusive Virtual Tape Library für die Windows Server 2003). Von den Daten des Primärspeichers werden je nach Typ in unterschiedlichen Intervallen lokale Snapshot angelegt und auf den Nearline-Speicher gespiegelt: Die Messaging-Daten des Exchange-Servers stündlich, allgemeine Files sechsmal pro Tag. Das NetApp-Betriebssystem ONTAP V7 bietet dafür die Optionen SnapMirror, SnapRestore und SnapManager for Exchange. Für den blockbasierten Zugriff bietet ONTAP die bei Phonak ebenfalls installierte Option SnapDrive via iSCSI. Für das E-Mail- und File-System-Archiv wählte Phonak das Veritas-Produkt KVS Enterprise Vault.






Die langfristige Archivierung erfolgt über die bestehende HP-Tape-
Library, die via Fibre-Channel-Switch mit dem Primär- und Nearline-Speicher verbunden ist.
Mit der neuen Storage-Architektur ändert sich die Speicherlandschaft auch im eigentlichen Wortsinn: Während früher alle Server in einem Raum standen, ist das Stäfner Data Center nun auf drei physisch getrennte Bereiche verteilt. Im bisherigen Serverraum steht nur noch einer der zwei redundant ausgelegten Core-Switches. Der Primärspeicher, der zweite Core-Switch, die Server und die Tape Library sind im neuen Hauptraum untergebracht, und für die Nearline-Einheit steht ein separater dritter Raum zur Verfügung.


Pflichtenheft und Evaluation

Phonak hat die Renovation der Speicherumgebung in die Teilprojekte Storage, Backup und Archiv aufgeteilt, die zwischen Ende 2004 und Mitte 2005 nacheinander umgesetzt werden. Das Pflichtenheft nennt diverse allgemeine Vorgaben wie Konzentration auf NAS-Funktionalität mit CIFS- und NFS-Support auch für die verbleibenden Mac-Anwender (der grösste Teil der Daten liegt bei
Phonak in Dateiform vor), hohe Stabilität (höchstens ein Ausfall pro Jahr, 99.73% Verfügbarkeit) und Skalierbarkeit des Diskspace für den Bedarf bis mindestens 2007. Es postuliert zudem eine mehrstufige Backup-Architektur mit Online- und Nearline-Speicher und betont einige spezifische Anforderungen, denen sich die Lösungsanbieter stellen mussten:



Zertfizierung der Speicher-
systeme für Windows Server 2003
und Exchange 2003



iSCSI-Unterstützung


• rasche Disaster Recovery beim
Ausfall des Primärspeichers



Archivlösung zunächst für
E-Mail, später auch für andere
Daten nutzbar.
Im Lauf der Evaluation zeigte sich, dass diese Punkte zum Projektstart Mitte 2004 noch keine Selbstverständlichkeit waren. Ursprünglich wurden HP, EMC und NetApp beziehungsweise deren Partner angefragt. HP, Phonaks Hauptlieferant von Servern und Clients, bot damals keine iSCSI-Unterstützung und konnte daher nicht weiter berücksichtigt werden. EMC und NetApp reichten in vielen Punkten gleichwertige Offerten ein, die die IT-Verantwortlichen bei Phonak anhand einer detaillierten Bewertungsmatrix analysierten.






Andri: «Die Lösung von EMC war preislich sehr attraktiv, und wir haben das EMC-Produkt Documentum eRoom (webbasierte Collaborationsplattform) im Einsatz, das hätte also gepasst.» Dennoch überzeugte NetApp anhand von Live-Präsentationen am Schluss mehr: Die vorgeschlagene Lösung war einfacher zu handhaben (2-Tier versus 3-Tier bei EMC), und NetApp gilt weltweit als NAS- und iSCSI Marktführer. Vor allem bei der Disaster Recovery schnitt die NetApp-Lösung deutlich besser ab: Das vorgeschlagene Konzept von EMC sah beim Totalausfall des primären Speichersystems eine nicht garantierte Zeit von rund zwölf Stunden für die Wiederherstellung vor; die NetApp-Variante garantierte die Recovery innert vier Stunden.


Lesson learned

Für die NetApp-Lösung sprach ausserdem die ausgereifte Technologie: «Wir hatten bereits einmal ein zentrales Speichersystem für die Groupwise-Daten, das damals brandneu auf dem Markt war. Nach fünfmaligem Datenverlust innert sechs Monaten hat das Image der IT-Abteilung firmenintern massiv gelitten – Early
Adopter möchten wir nicht mehr
spielen...»
Für Andri zählt bei Neuanschaffungen nun vor allem eines: «Referenzen.» Das Pflichtenheft verlangte denn auch, dass der Beweis von Stabilität, Wirtschaftlichkeit und mindestens zwei Referenzen für vergleichbare Lösungen vorliegen, möglichst bei Anwendern aus der Schweiz – auch in diesem Punkt war NetApp im Vorteil.


Fast ohne Outsourcing

Bei der Planung und Umsetzung des Projekts wird Phonak von zwei Partnern unterstützt. Die Fehraltorfer
UP-GREAT AG übernimmt als Generalunternehmer Projektleitung und ILM-Consulting; für die technische Unterstützung ist der auf NetApp spezialisierte Storage-Integrator Diwega GmbH zuständig. Die eigentliche Realisierung konnte Andri zum gtössten Teil mit eigenen Leuten in Angriff nehmen: «Das Team, vor allem ein hoch motivierter Mitabeiter, hat sich so sehr für das Projekt engagiert, dass wir das Projekt im Grunde nicht outsourcen mussten. UP-GREAT und
Diwega haben gewissermassen die Rakete gezündet, danach konnte das interne Team den Grossteil der Aufgaben selbst erledigen.» Der nützliche Nebeneffekt: Das Know-how ist und bleibt jetzt im Haus. Für den letzten Update des NetApp-Betriebssystems mussten keine externen Spezialisten beigezogen werden.


Umfassende Konsolidierung

Die neue Speicherarchitektur ist nur ein Teil des zweiphasigen Phonak-Gesamtprojekts «Neue IT-Architektur» (NITA). Neben der Speicherlandschaft werden auch die Client- und Serverplattformen vereinheitlicht. «Früher hätten wir wohl einen Preis für Heterogenität gewonnen», räumt Patrick Andri ein. Als Client-Betriebssysteme standen bis 2003 HP-UX, Windows 95, NT4 und 2000 sowie Mac OS im Einsatz; die Backend-Server liefen unter NetWare, Unix, Windows NT und Windows 2000.





In einer ersten Phase wurde 2003 die clientseitige Vielfalt radikal zusammengestrichen. Heute arbeiten sämtliche Mitarbeiter auf Windows-XP-Systemen, die Ausnahme bilden einige Stationen für spezielle Anwendungen. «Damit haben wir sofort messbare Resultate erzielt», stellt Andri fest, «nach der XP-Konsolidierung gingen die Calls im Service Desk um rund 50 Prozent zurück.»
Die zweite Phase des NITA-Projekts bringt neben der Storage-Umgebung auch die Serverlandschaft in Ordnung. Sämtliche Dienste laufen neu auf der Windows-2000/03-Serverplattform; NetWare wurde komplett eliminiert. Mit der Konsolidierung der Betriebssysteme soll auch die Anzahl der physischen Server markant reduziert werden, zum Teil durch Zusammenfassung mehrerer virtueller Serverpartitionen auf der gleichen Hardware – gemäss Konzept von heute über 50 auf weniger als die Hälfte.






Die Ablösung von Unix und NetWare durch Windows sieht Andri nüchtern: «Das hat nichts damit zu tun, ob wir Bill Gates mögen oder nicht – wir haben einfach festgestellt, dass wir punkto TCO mit einer homogenen Microsoft-Umgebung am besten dastehen.» Dabei spielen nicht nur die Anschaffungs- und Lizenzkosten, sondern auch der Support- und Unterhaltsaufwand eine Rolle: «Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass NetWare- und Unix-Spezialisten teuer zu stehen kommen. Auch Wartungsverträge und Lizenzen schlagen bei traditionellen Unix-Systemen deutlich mehr zu Buche als in der Windows-Welt.»
Die erheblichen Anfangsinvestitionen zahlen sich laut Andri rasch aus: «Wir werden den Break-Even nach zweieinhalb Jahren erreichen – das ist nicht einfach extrapoliert und schöngemalt, sondern anhand sinkender Kosten für Lizenzen, Support, Administration und Betrieb exakt gerechnet. Ich war positiv überrascht, dass sich die Lösung derart schnell amortisieren lässt und dabei durch Stabilität und hohen Anwedernutzen glänzt.»

(ubi)


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