VoIP im Business: Von QoS bis SIP
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/18
Nach dem tagelangen Ausfall des Voice-over-IP-Dienstes Skype von Mitte August sahen manche Kommentatoren schwarz. «VoIP noch zu unzuverlässig für KMU» hiess eine Schlagzeile. Bemängelt werden immer wieder auch die schwankende Sprachqualität beim Gebrauch des öffentlichen Internet als Transportmedium für die Voice-Pakete sowie die relativ hohe Rate an erfolglosen Verbindungsversuchen und abgebrochenen Gesprächen.
Nun ist VoIP aber nicht gleich Skype. Erstens gibt es andere IP-Telefoniedienste, die nicht in erster Linie für Privatanwender, sondern von Anfang an für den Business-Einsatz konzipiert sind. Skype selbst betont übrigens, sein Dienst sei kein vollständiger Ersatz fürs konventionelle Festnetz.
Zweitens setzen die übrigen VoIP-Anbieter für die Gesprächsvermittlung nicht auf ein proprietäres Protokoll, sondern auf den allgemein anerkannten Standard SIP (Session Initiation Protocol), der heute in allen marktgängigen IP-Telefonzentralen und IP-Telefonen und bei fast allen Providern zum Zug kommt, die zwischen IP-Telefonie und Festnetz vermitteln.
Und drittens lässt sich die IP-basierte Sprachkommunikation auch rein firmenintern nutzbringend einsetzen: Am Standort ermöglicht der Umstieg auf VoIP eine enge Integration von IT und Telefonie mit neuen Anwendungen; in einem bereits per IP verbundenen Filialnetz werden Gespräche zwischen den Standorten dank VoIP kostenlos – von den Investitionen ins Netzwerk und in die VoIP-Hardware einmal abgesehen.
VoIP-Dienste für Privatanwender argumentieren vor allem mit geringeren Gesprächskosten bis hin zum Gratis-Gespräch mit anderen Teilnehmern, die beim gleichen Dienst oder einem assoziierten VoIP-Service untergebracht sind. Im Unternehmenseinsatz spielt der Gesprächskostenvorteil aber nur eine untergeordnete Rolle. Wesentlich wichtiger sind verschiedene Pluspunkte, die VoIP bei Installation und Betrieb der Telefonanlage und bei der Produktivität der Mitarbeiter bringt:
- Massnahmen zur Verfügbarkeits- und Qualitätssicherung des Datennetzes kommen auch der Telefonie zugute.
- Die Telefonie lässt sich mit den gleichen Tools und durch die gleichen Mitarbeiter verwalten wie das ohnehin vorhandene IP-Netzwerk.
- Es braucht keine separate Telefonie-Abteilung mit spezialisiertem Know-how.
- Externe Standorte, Home-Offices und mobile Mitarbeiter lassen sich einfach und vor allem unterehmensautonom ohne Rückgriff auf die Telefongesellschaft anbinden.
- Zusatzdienste wie zentrale Verzeichnisse, Präsenzanzeige, Integration von Voice-Mail und Telefonaten in bestehende Systeme wie Kontaktmanagement, CRM und ERP lassen sich bedeutend einfacher realisieren als mit klassischen CTI-Techniken oder werden auf VoIP-Basis überhaupt erst möglich.
- Bei einer rein IP-basierten Telefonielösung entfallen die Grundgebühren für die bisherigen analogen oder ISDN-Telefonanschlüsse.
VoIP ist nicht gleich VoIP: Es gibt mindestens vier verschiedene Szenarien für die Einrichtung einer IP-basierten Telefonie-Infrastruktur. Buchstäblich im Zentrum steht wie bei der konventionellen Telefonie eine Telefonzentrale, im Jargon meist PBX genannt (Private Branch Exchange). Die firmeneigene IP-PBX vermittelt interne Anrufe, ermöglicht Zusatzfunktionen wie Konferenzgespräche und Integration mit den IT-Systemen, sorgt für die Anbindung an einen SIP-Provider und allenfalls ans herkömmliche Telefonnetz.
- Im naheliegendsten Szenario wird diese Zentrale, realisiert in Form einer Hardware-Appliance oder einer Serversoftware, im Unternehmen selbst installiert und durch das eigene Administratorenteam verwaltet (sogenannte On-Site IP-PBX). Diese Variante eignet sich vor allem für grössere Unternehmen, die für Installation, Wartung und Betrieb über eigenes Know-how verfügen. Eine Alternative ist die Fernwartung durch externe Spezialisten (Managed On-Site PBX).
Wer firmenintern IP-Telefonie nutzt, braucht nur noch ein Netzwerk. Daten und Sprache laufen zwar über das gleiche Kabel, stellen aber unterschiedliche Anforderungen. Während es beim Transport von Transaktionen und Dateien kaum eine Rolle spielt, wenn ein Datenpaket von der Start- bis zur Zieladresse etwas länger unterwegs ist, beeinträchtigen schon kleine Verzögerungen die Sprachqualität stark – man spricht von «Jitter».
In einem gemischten Sprach/Datennetzwerk müssen die Voice-Pakete deshalb unbedingt priorisiert werden. Dazu müssen alle beteiligten Router mit QoS-Funktionalität (Quality of Service) ausgestattet sein. Bei den Enterprise-Routern der grossen Hersteller wie Cisco gehört dies zum Standard, QoS ist aber heute auch bei einem guten Prozentsatz der DSL- oder Cable-Router von Herstellern wie Zyxel, AVM, D-Link und Netgear implementiert, die bei der Internetanbindung kleiner Netzwerke als gängigste Option gelten.
Unabhängig von der Priorität der Pakete bringt die IP-basierte Sprachübertragung auch eine deutliche Mehrbelastung im LAN. Pro Gespräch rechnet man je nach dem eingesetzten Codec mit einem Bandbreitenbedarf zwischen 22 und 88 Kilobit pro Sekunde. Mit einem Bruttobedarf von 88 kBit/s bietet G.711 die gleiche Sprachqualität wie das herkömmliche Festnetz. Dies entspricht in etwa der Bandbreite eines ISDN-Anschlusses. Ein zweiter gängiger Codec ist G.729a, der sich mit 22 kBit/s zufriedengibt.
Es versteht sich von selbst, dass eine hochwertige Verkabelung und ein professionelles Netzwerk-Design zusätzlich zur Qualität der internen IP-Telefonie beitragen. Einzelne Experten postulieren denn auch, dass für VoIP am besten ein separates Netzwerk eingerichtet werden sollte – dann fällt aber der Spareffekt bei Doppelnutzung des bestehenden LAN weg.
Für Verbindungen mit externen Gesprächspartnern muss naturgemäss nicht nur das LAN, sondern auch die Internetanbindung genügend Bandbreite und hohe Stabilität bieten. Viele KMU nutzen für den Internetzugriff bisher einen günstigen Privat-ADSL-Anschluss mit hoher Download-, aber nur geringer Upload-Bandbreite. Für die IP-Telefonie empfiehlt sich der Umstieg auf einen Business-Anschluss oder auf VDSL.
Für die Verbindungsvermittlung zwischen den internen VoIP-Endgeräten und externen Teilnehmern im herkömmlichen Telefonnetz wird eine Schaltstelle benötigt. Sie setzt die SIP-Adressen der VoIP-Endgeräte (Universal Resource Identifier, URI), die ähnlich E-Mail-Adressen nach dem Muster teilnehmer@domain aufgebaut sind, mit den herkömmlichen Telefonnummern auf beiden Seiten korrekt in Beziehung.
Diese Rolle übernimmt meist ein externer SIP-Provider: Anbieter wie Sipcall offerieren einzelne Telefonnummern oder ganze Nummernblöcke im Abonnement, die beim Kunden den einzelnen Endgeräten zugeordnet werden. Bestehende Telefonnummern lassen sich dabei auf einen SIP-Account portieren, so dass auch Teilnehmer an VoIP-Endgeräten weiterhin über die bisher bekannte Nummer erreichbar bleiben.
Für diese Dienstleistung verrechnen die SIP-Provider im allgemeinen eine zusätzliche Monatsgebühr. Gespräche zwischen Kunden des gleichen SIP-Providers sind kostenlos. Für die Weiterleitung von Gesprächen ins Festnetz bietet der SIP-Provider meist sehr preisgünstige Tarife an. Ein früher oft gehörtes Argument gegen den vollständigen Umstieg auf SIP-basierte IP-Telefonie gilt heute nur noch beschränkt: Die meisten SIP-Provider erlauben auch Anrufe auf Notrufnummern, Kurzwahldienste (161) sowie kostenlose (0800) und kostenpflichtige (0900) Sondernummern. Weitere Details zu den aktuellen SIP-Angeboten von 14 Providern für Schweizer Business-Kunden bietet unsere grosse Marktübersicht ab Seite 33.
Wer mit einer SIP-basierten VoIP-Infrastruktur telefoniert, hat eine schier unerschöpfliche Vielfalt von Endgeräten zur Wahl. Von der klassischen Internet-Telefonie für Privatkunden her kennt man die Softphones:
Der Wählvorgang sowie weitere auf SIP-Basis mögliche Anwendungen wie Zugriff aufs Outlook-Adressbuch, Präsenzanzeige, Konferenzgespräche und Anrufweiterleitung werden vollständig per Software gesteuert. Die meisten Anbieter von IP-Telefonzentralen liefern eine eigene Softphone-Anwendung mit, und auch beim SIP-Provider steht meist ein kostenloses Softphone zum Download bereit. Daneben existieren kommerzielle SIP-Softphones, zum Beispiel Eyebeam und Bria von Counterpath (www.counterpath.com) oder Microsofts Office Communicator 2007 sowie diverse Open-Source-Projekte – eine
Liste findet sich unter www.voip-info.org.
Noch vor zwei, drei Jahren beschränkte sich die Auswahl an hardwarebasierten IP-Telefonen auf die proprietären, zum Teil nicht SIP-konformen Angebote grosser Netzwerk- und Telefoniehersteller wie Avaya, Cisco oder Siemens. Heute sind SIP-Telefone in breitester Auswahl erhältlich, vom kabelgebundenen Apparat über Schnurlostelefone im DECT-Standard mit einer Ethernet-Schnittstelle in der Basisstation bis zu WiFi-Phones, die sich via WLAN ins IP-Netzwerk einklinken.
Sogenannte Dual-Phones bieten sowohl eine Ethernet- oder WLAN-Schnittstelle als auch eine Buchse fürs herkömmliche Telefonkabel. Die meisten dieser Geräte sind jedoch eher für den Privateinsatz gedacht: Sie unterstützen auf der VoIP-Seite nicht SIP, sondern das proprietäre Skype-Protokoll. Das hat durchaus einen sinnvollen Grund: Im Geschäftsumfeld regelt man die Wahl zwischen VoIP und herkömmlicher Telefonie auf der Ebene der Telefonzenrale und nicht im Endgerät.
Der VoIP-Kostenvorteil schmilzt rasch dahin, wenn das Gespräch vom Firmennetz zu einem Mobiltelefon gehen soll: Dann kommen die teuren Festnetz-zu-Mobilnetz-Tarife zum Zug und nicht die günstigen Mobiltarife – Anrufe innerhalb des gleichen GSM-Netzes sind heute oft sogar gratis.
Anbieter wie Satelco oder Dynamic-Phone offerieren deshalb sogenannte VoIP-GSM-Gateways. Diese Geräte werden an die VoIP-Zentrale angeschlossen und mit einer passenden SIM-Karte ausgestattet. Für Gespräche vom Firmensitz zu einem mobilen Mitarbeiter fällt so nur noch der Mobil-zu-Mobiltarif an.
Eine weitere Variante, nutzbar an Orten mit WLAN-Abdeckung und mit einer Daten-Flatrate auf dem Mobiltelefon: Dual-Mode-Phones wie gewisse 6x-Modelle von Nokia erlauben VoIP-Calls direkt vom und zum Handy,