E-Learning und Screencasting
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/15
In der dritten Version wird Captivate unter der Ägide von Adobe endgültig zur multifunktionalen Authoring-Anwendung: Einerseits bleibt das Programm ein ausgefeiltes Werkzeug zum Aufnehmen der Bildschirmaktivität, im Jargon Screencasting oder Screenrecording genannt. Auf diese Weise enstehen Software-Demos und Lernvideos für PC-Programme und Websites.
Auf der anderen Seite bietet Captivate 3 ein umfangreiches Toolset zum Erstellen von Lernabläufen mit unterschiedlichen Fragetypen von Multiple-Choice bis zur freien Texteingabe. In der neuen Version sind gegenüber Captivate 2 zusätzliche Typen hinzugekommen. Zum Beispiel «Hotspot»-Fragen, bei denen man durch Anklicken bestimmter Bildelemente antwortet, oder aber «Sequence», wo ein Text durch Verschieben von Wörtern per Drag&Drop in die korrekte Abfolge zu bringen ist.
Szenario-basierte Lerneinheiten für Unterrichtssituationen wie Verkaufstraining oder Softwareschulung unterstützt das Programm mit Vorlagen und einem Assistenten. Mit diesen Möglichkeiten zum Erstellen interaktiver Lern- und Prüfpräsentationen hat sich Captivate spätestens in der neuen Version 3 zum vollumfänglichen Authoring-Tool für E-Learning-Anwendungen gemausert.
Als Ausgabeformat kommt, nicht überraschend, das hauseigene Flash-Format zum Einsatz. Captivate-Präsentationen eignen sich damit sowohl plattformunabhängig zur lokalen Nutzung mit dem Flash-Player als auch für die Einbettung in eine Website. Neben der Ausgabe als SWF-Datei ermöglicht das Programm auch Export als EXE-File, Publikation auf einem Adobe-Connect-Server, Sichern via FTP, Versand per E-Mail und Drucken von Handouts. Die Texte auf den Slides lassen sich zudem im XML-Format exportieren und importieren, so dass die Lokalisierung in verschiedenen Sprachen leicht zu erledigen ist.
Neu in Version 3 ist das Question Pooling: Mehrere Fragen können in einem Pool zusammengefasst werden, und eine Präsentation kann mehrere Pools enthalten. Die Fragen lassen sich so thematisch oder nach Schwierigkeitsgrad gliedern. Eine bestimmte Frage kann dabei mehreren Pools zugeordnet sein. In der Präsentation definiert man an der gewünschten Stelle statt einer fix vorgegebenen Abfolge einzelner Fragen ein Slide vom Typ Zufallsfrage und ordnet ihm einen bestimmten Fragenpool zu. Beim Abspielen erscheinen die im Pool enthaltenen Fragen dann in zufälliger Abfolge. Die Bewertung der Antworten erfasst Captivate dennoch korrekt.
Ein Bereich, in dem Captivate 3 laut Adobe gegenüber der Vorversion punkten will, ist die Attraktivität der Präsentationen für den Betrachter. Statt sich auf statischen Bleiwüsten-Slides zu langweilen, soll der Lernende mit Animationen und Effekten bei der Stange gehalten werden. Zu diesem Zweck bietet Captivate 3 beim Übergang zwischen Slides zusätzliche Effekte: Gab es früher bloss einen Überblendeffekt, bietet die neue Ausgabe die volle Transitionspalette gängiger Präsentationsprogramme, zum Beispiel Iris, Drehen, Quetschen oder Zoomen. Das von Adobe angezielte «Learner Engagement» hin oder her – im Sinn des guten Geschmacks sollte diese Vielfalt nicht zur blindwütigen Effekthascherei missbraucht, sondern sparsam an passender Stelle eingesetzt werden.
Das gleiche gilt für weitere Neuerungen, die sich um die grafische Anreicherung der angezeigten Inhalte kümmern. Captivate 3 erlaubt zum Beispiel zusätzlich zu den bereits früher verfügbaren Rollover-Effekten für Texte und Grafiken sogenannte Slidelets: Bei Mausberührung eines Elements erscheint ein komplettes Slide samt Text, Bildern, Flash-Animationen und Ton als Pop-up.
Wer nur einen Screenrecorder benötigt, ist mit Captivate «overtooled» – zumindest vom Preis-/Leistungsverhältnis her. Es gibt beliebte und deutlich preisgünstigere, aber ebenso professionelle Softwarepakete wie Camtasia Studio von Techsmith oder Turbodemo vom deutschen Hersteller Balesio, die sich in erster Linie der Aufzeichnung der Screen-Aktivität widmen. Auch einfache Shareware-Lösungen sind zuhauf erhältlich.
Auch Captivate kann diese Herkunft jedoch nicht verleugnen: Am Anfang stand das Screenrecording-Programm Robodemo, das nach der Übernahme des Herstellers unter dem neuen Namen Captivate in die Adobe-Palette integriert und in einer erweiterten Version 2 auf den Markt kam. Die Screenrecording-Engine bleibt auch in der neuesten Ausgabe ein Kernstück des Programms, und sie wartet mit einer Reihe von Besonderheiten auf.
Grundsätzlich legt Captivate auch die Aufzeichnung der Bildschirmaktivität in Form von Slides ab. Die Adobe-Lösung bietet dabei zwei verschiedene Varianten: Full-Motion-Recording oder einer von drei Recording-Modi. Full-Motion-Recording entspricht der üblichen Vorgehensweise anderer Programme: Die gesamte Aufzeichnung des gewünschten Bildschirmausschnitts wird an einem Stück in einem einzelnen Slide als Flash-Video abgelegt und lässt sich mit den integrierten Tools mit Anmerkungen und anderen Elementen anreichern.
Wird in einem der drei Recording-Modi oder mit benutzereigenen Einstellungen aufgezeichnet, zerlegt Captivate das Video in einzelne Teile: Bei jeder Benutzer-Interaktion wird ein neues Slide angelegt. Auf diese Weise lassen sich später «falsche» Mausklicks und andere Fehler, die man bei der Aufzeichnung macht, leichter korrigieren. Statt das Ganze nochmals von Neuem aufzunehmen, wiederholt man nur den Take für ein einzelnes Slide.
Die drei vordefinierten Recording-Modi unterscheiden sich darin, ob die Mausbewegung mit aufgezeichnet wird oder nicht, ausserdem werden je nach Modus zusätzliche Elemente eingefügt.
Im Modus «Demonstration» wird zum Beispiel jede Maus- oder Tastaturaktion mit einer später editierbaren Anmerkung kommentiert. Auf dem Slide erscheint zum Beispiel beim Klick mit der rechten Maustaste die Annotation «Fenster ‹Kontextmenü› wird geöffnet». Die Mausbewegung wird dabei in einer separaten Flash-Spur aufgezeichnet, so dass sich der Pfad später jederzeit editieren lässt – so schafft man überkomplizierte Sucherei oder Sprünge, die beim nachträglichen Löschen eines Slides auftreten, problemlos aus der Welt.
Im Modus «Training Simulation» wird die Mausbewegung nicht aufgezeichnet, dafür plaziert Captivate auf jedem Slide Klickboxen mit Hinweistext für den Erfolgs- und Fehlerfall. Der Modus «Assessment Simulation» funktioniert ähnlich, und zur freien Kombination der aufzuzeichnenden Merkmale steht der «Custom»-Modus bereit.