ASP-Markt Schweiz: Durchbruch bisher nicht erfolgt

Auch Mitte 2001 ist der ASP-Markt Schweiz klein und fragmentiert; dennoch sind die Anbieter für die Zukunft höchst optimistisch.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/26

     

Ginge es nach den grossen Softwareherstellern, würde in Kürze niemand mehr Software kaufen und eigene Server betreiben. "Application Service Providing", "Application Hosting", "Software als Service" und ähnliche Nutzungsmodelle hätten schon bald die Oberhand und würden ein neues goldenes Zeitalter der Informatik einläuten. Die bedeutendsten Softwaregiganten richten ihre gesamte Firmenstrategie auf diese Zukunft aus. So wird zum Beispiel Microsoft nicht müde, jedes neue Produkt ins Dot.Net-Licht zu rücken, und Michele Fitzpatrick, Senior Vice President von Oracle, macht klar: "Wir setzen für die Zukunft des Unternehmens alles auf eine Karte: die Online-Welt." Oracle sieht wie Microsoft die künftige Ausrichtung auf Software per Online-Service nicht bloss für sich selbst, sondern generell für alle Softwarehersteller: "Auch der kleinste Softwarehersteller sollte mit seinen Produkten online gehen und vom ISV zum ASP werden."



Wenn da nur nicht die Kunden wären. Die nämlich folgen den ASP-Lockrufen bisher nur bedingt - und dies gilt nicht nur für die weite Welt, sondern in speziellem Mass für die Schweiz. In unserer stark von kleinen und mittleren Unternehmungen geprägten Wirtschaft dominiert die Individualsoftware, und die KMU-Klientel ist äusserst skeptisch, was die Auslagerung unternehmenskritischer Daten anbelangt. Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts MSM Research zeigt, dass für 62 Prozent der befragten Schweizer Unternehmen ASP vorläufig kein Thema ist. Immerhin: 16 Prozent diskutieren den ASP-Einsatz und wollen noch dieses Jahr einen Entscheid fällen.




Die Anbieter von ASP-Dienstleistungen orientieren sich dennoch konsequent an den hoffnungsfrohen Prognosen der Analysten: IDC zum Beispiel sieht für 2005 einen ASP-Weltmarkt von 5,7 Milliarden Dollar voraus, gegenüber 93 Millionen im Jahr 2000. Marc Andreessen, bekannt als Gründer von Netscape, legt mit seiner neuen Firma Loudcloud einen ASP-IPO von 150 Millionen hin. An der Cebit traten dieses Jahr 81 ASP-Anbieter auf; 2000 waren es noch 46. Auch in der Schweiz offerieren über zwanzig Anbieter ASP-Dienstleistungen direkt an den Endkunden; dazu kommen zahlreiche weitere Unternehmen, die im ASP-Umfeld tätig sind.


Was ist eigentlich ASP?

Das erste Hauptmerkmal des ASP-Modells: Der Kunde überlässt den Grossteil der benötigten IT-Anstrengungen einem externen Anbieter. Im Gegensatz zum herkömmlichen Outsourcing von IT-Aufgaben, bei dem Mitarbeiter des externen Anbieters ihre Aktivitäten beim Kunden auf der kundeneigenen IT-Infrastruktur entfalten, sind bei ASP alle Komponenten ausgelagert: Hardware und Software werden nicht vom Kunden, sondern vom ASP erworben, der sie dem Kunden per Vereinbarung in Miete überlässt. Diese Vereinbarung - auch Service Level Agreement (SLA) genannt - wird für eine bestimmte Zeit abgeschlossen und legt die Rechte und Pflichten auf ASP- wie auf Kundenseite im Detail fest.



Dabei können verschiedene Zahlungsmodalitäten festgelegt werden; neben dem üblichen Modus "fixer Betrag pro User und Monat" sind Modelle wie "Pay-per-Use" oder Fixkosten pro Transaktion denkbar.




Der zweite wesentliche ASP-Aspekt: Hardware und Software werden im ASP-Modell nicht in kundeneigenen Räumen betrieben, sondern im Rechenzentrum des ASP. Dort sind auch sämtliche Daten des Kunden gespeichert. Die gesamte Software läuft serverbasiert. Beim Kunden stehen nach der reinen ASP-Schule nur noch sogenannte Thin-Clients mit eingeschränkter Funktionalität; ausgewachsene PCs werden nicht mehr benötigt.



Die ursprüngliche ASP-Idee geht von der Bedienung mehrerer Kunden auf ein und der selben Hardware aus. Nur so entsteht eine "Economy of Scale", so dass Standardapplikationen wie Office zu vernünftigen Hosting-Preisen angeboten werden können. Trotz der Anstrengungen der Softwareindustrie, die Trennung zwischen den virtuellen Kundenbereichen zu perfektionieren - letztes Beispiel sind die "Virtual Private Domains" von Oracle 9i -, setzen aufgrund von Sicherheitsbedenken viele ASPs auf dedizierte Server für jeden einzelnen Kunden.



Als Basistechnologie für das ASP-Betriebsmodell dienen je nach Anbieter und Anwendung die in Windows 2000 enthaltenen Terminal Services oder die Metaframe-Technik von Citrix. Der Benutzer arbeitet dabei mit den bekannten Office-Applikationen oder anderen Anwendungen wie ERP, CRM und Messaging, die jedoch nicht auf dem Client, sondern auf dem Server ausgeführt werden - der Client zeigt lediglich das Abbild des serverseitig generierten Desktops an und überträgt Tastatur- und Mausaktivitäten vom Client zum Server. Eine weitere Variante, die in Zukunft immer wichtiger werden dürfte, sind lupenreine Web-Applikationen, vornehmlich auf Java-Basis, für deren Nutzung auf der Client-Seite bloss ein Web-Browser nötig ist.



Die dritte für ASP relevante Komponente ist somit die Verbindung von den Clients beim Kunden zum Server im ASP-Datacenter. Sie erfolgt entweder über das Internet - dann kommt aus Sicherheitsgründen prinzipiell eine VPN-Verbindung zum Einsatz - oder über eine dedizierte, private Standleitung, was in den meisten Fällen die bessere Qualität garantiert.




Pro und kontra ASP: Antriebsfaktoren und Hemmschwellen

Die technischen und organisatorischen Merkmale des ASP-Modells bringen dem Kunden unbestreitbare Vorteile, bergen aber auch kritische Punkte. Positiv fallen folgende Aspekte ins Gewicht (wir konzentrieren uns hier vor allem auf die Bedürfnisse von Kunden im KMU-Bereich):




• Das Mietverfahren macht mit Preisen im sechsstelligen Bereich bisher viel zu teure Software auch für kleinere Unternehmen erschwinglich. Beispiele sind ERP- und CRM-Systeme wie mySAP.com, E-Commerce-Plattformen wie Intershop Enfinity und Content-Management-Systeme wie Obtree C3.





• Dank genau fixierten Service Level Agreements sind die IT-Kosten im voraus genau planbar, wenn auch je nach Anwendung nicht unbedingt geringer als im Eigenbetrieb.




• Bei reinem ASP-Betrieb reduzieren sich die IT-Grundinvestitionen auf Thin-Clients, Drucker und Netzwerk.




• Der ASP stellt nicht nur Harware und Software bereit, er übernimmt auch Betrieb, Administration und Datensicherung.




• Der ASP-Kunde kann sich aufs Kerngeschäft konzentrieren und benötigt keine eigene IT-Abteilung - in Zeiten der IT-Personalknappheit ein wichtiger Punkt.




• Das serverorientierte Betriebsmodell ermöglicht es insbesondere Unternehmen mit verteilten Standorten, an allen Arbeitsplätzen die gleiche Qualität von IT-Services zu gewährleisten.




• Standardanwendungen stehen via ASP praktisch sofort zur Verfügung: Der ASP hat sie bereits installiert und muss nur noch den Kunden freischalten. Individuelle Anpassungen sind möglich, bringen aber den gleichen Aufwand wie bisher mit sich und schmälern den Gewinn des ASP.



Neben den klaren Pluspunkten stehen eine ganze Reihe von Fragezeichen. Der potentielle Schweizer ASP-Kunde ist gegenüber dem ASP-Modell noch skeptisch, wie auch Aspectra-CEO Koopmans konstatiert. Er denkt, dass ASP sich in der Schweiz auf breiter Basis erst in drei bis fünf Jahren etablieren wird. Die häufig geäusserten Bedenken im einzelnen:




• Die sensitiven Kundendaten sind beim ASP gespeichert - Zitat: "Der IT-Partner sieht mehr als der Treuhänder und das Steueramt zusammen." Der Kunde verliert die direkte Kontrolle über seine Daten und muss ganz auf die Integrität des ASP vertrauen. Die Gegenargumente von ASP-Seite: Im abgeschirmten Datacenter liegen die Daten vermutlich sicherer als in der IT-Umgebung des durchschnittlichen KMU-Kunden. Der Zugriff auf die Rechner ist strengstens geregelt.




• Je nach Anbieter werden mehrere Kunden auf der gleichen Hardware bedient. Sicherheitsbedenken auch hier: Erhält ein Konkurrent etwa über eines der häufigen Security-Löcher Zugriff auf meine Daten? Zahlreiche ASPs offerieren deshalb "Dedicated Hosting", stellen also für jeden Kunden einen eigenen Server auf - das aber treibt die Kosten in die Höhe.




• Die Internetanbindung des typischen KMU genügt hierzulande den ASP-Anforderungen in keiner Weise: Noch immer ist die simple ISDN-Leitung weitverbreitet. Eine ASP-Implementation macht demnach auch gleich eine private Standleitung oder eine schnelle, sichere Internetanbindung mit entsprechender Kostenfolge nötig. Faustregel: Für die einfachsten ASP-Anwendungen wird pro User eine Bandbreite von etwa 25 Kilobit pro Sekunde benötigt. Für eine breite ASP-Nutzung steht die Bandbreite noch gar nicht zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung.




• Wer nur Office und Messaging für wenige User benötigt, fährt mit ASP nicht sehr günstig: Für diese Basisdienste werden typischerweise einige hundert Franken pro Monat und Arbeitsplatz verrechnet - im Vergleich mit dem Kaufpreis der Software ist dies viel zu teuer.




• Was geschieht, wenn der ASP den Konkurs anmeldet oder der Kunde den ASP wechseln will? Wie lange bleibt der IT-Betrieb unterbrochen? Sind die Daten verloren? Das Minimum: Der ASP sollte den Kunden mit Backups seiner Programme und Daten versorgen, damit im Notfall ein Wechsel rasch über die Bühne gehen kann.




• Der ASP-Markt ist komplex strukturiert. Wer garantiert die Koordination zwischen ASP, Hardware- und Softwarelieferant, Datacenter-Betreiber und Kommunikations-Carrier? Wer ist bei Problemen zuständig? Die Verantwortlichkeiten müssen im SLA absolut deutlich festgehalten werden.



Die Entwicklung des ASP-Markts hängt jedenfalls nicht von vollmundigen Marketingslogans ab, sondern vom Vertrauen der Kunden. So sieht es auch Peter Meyer von Inside Internet: "Allgemein wird von der Ernüchterung nach der grossen Euphorie gesprochen. Man muss aber auch die kurze Zeit seit der Lancierung der Idee betrachten, in der schon einige ASP-Lösungen mit Erfolg realisiert wurden. Es ist jetzt an den ASPs, das Misstrauen gegenüber dem Outsourcing geschäftssensibler Daten abzubauen. Dies erreicht man nur mit ehrlicher und professioneller Beratung."


Verwirrlicher Markt: Wer sind die ASP?

Im ASP-Geschäft mischen die unterschiedlichsten Teilnehmer mit. Ein ASP-Angebot setzt sich meist aus Beiträgen mehrerer Anbieter zusammen: Der Endkundenpartner, der eigentliche ASP also, betreibt oft kein eigenes Rechenzentrum, sondern mietet sich in ein bestehendes Datacenter ein. Software und Hardware stammen wiederum von anderen Anbietern, ebenso die Netzwerkdienste. Unsere kleine Übersicht, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, zeigt ausschliesslich Application Service Provider, die ihre Dienste direkt Kunden aus dem KMU-Segment offerieren.



Mit dieser Voraussetzung fallen verschiedene Firmen weg, die in der Schweiz allgemein als bedeutende ASP-Vertreter gelten. Es handelt sich dabei eher um "ASP-Enabler", also Firmen, die anderen Unternehmen den Auftritt als ASP ermöglichen. Dazu gehört die Firma BCD-Sintrag, Schweizer Distributor der Citrix-Plattform, die ihre ASP-Dienste ausschliesslich Wiederverkäufern anbietet. Als Datacenter nutzt die BCD-Sintrag-Plattform die hochsicheren, in einem ehemaligen Armeebunker in den Schweizer Alpen untergebrachten Server von Mount10, die damit, zusammen mit anderen Datacenter-Betreibern wie Interxion mit Standort in Glattbrugg, ebenfalls zu den ASP-Enablern zu zählen ist. Weitere Enabler-Kategorien sind die Hersteller der Basistechnologie (Microsoft, Citrix) sowie von ASP-fähigen Datenbanken und Anwendungen (SAP, Oracle u.a.), auf deren Grundlage die Hersteller von branchen- und zweckspezifischer Software ihre ASP-Applikationen entwickeln.




Aspectra, die vom ehemaligen Bluewin-Manger Roelof Koopmans geführte Nextra-Tochter, konzentriert sich vornehmlich auf das dedizierte Hosting und das Management von E-Commerce-Lösungen auf Basis der Intershop-Enfinity-Software und hat eher grössere Kunden im Visier - realisierte Referenzen sind beispielsweise Ex Libris und Waser Büro. Daneben hostet Aspectra aber auch Datenbankanwendungen auf SQL-Server- und Oracle-Basis; die Firma hat sich soeben als erster Schweizer Oracle-Hosting-Partner qualifiziert.



Andere Anbieter wie Businesscare tragen zwei Hüte: Sie treten als Enabler auf - auf der Businesscare-Plattform läuft zum Beispiel das ERP-System Europa 3000. Gleichzeitig richten sie ihr Angebot, in diesem Fall über das Portal www.e-portal.ch, direkt an den Endkunden. Auch die IT-Riesen Microsoft und Oracle treten neben ihrer Rolle als Infrastrukturprovider selbst als ASP auf: Sowohl unter Oracle.com als auch auf MSN findet sich eine zunehmende Zahl von Web-Services, die als ASP bezeichnet werden können.



Die meisten Softwarehersteller dagegen treten nicht selbst als ASP auf. Obtree zum Beispiel bietet zwar eine spezielle ASP-Version des Content-Management-Systems C3 an, überlässt die Vermarktung aber Partnern wie Cybernet. Andere warten noch ab: Gemäss Rotron-Marketingleiter Marzio Tomasetto wird "die ASP-fähige ERP-Lösung Europa3000 primär durch unsere Servicepartner wie Businesscare und Mount10 vertrieben. In Zukunft wollen wir aber ASP-Dienstleistungen als ASP anbieten." Diese Zukunft ist laut Tomasetto für ASPs attraktiv: "Entgegen der Presse sind wir der Meinung, dass der ASP-Hype noch nicht vorbei ist, sondern in der Schweiz erst noch kommt."



Offensichtlich erweisen sich Nischenprodukte als besonders ASP-tauglich. Geradezu als ASP-Pionier erweist sich die Ruf-Gruppe mit eigenem Rechenzentrum; der Start erfolgte bereits 1996. Der Hersteller von Anwendungen für die öffentliche Hand bedient mit seiner Gemeindeadministrationssoftware GeSoft, einem Paket für Treuhänder sowie Verwaltungssoftware für Alters- und Pflegeheime heute 198 Kunden mit 765 Arbeitsplätzen - eine beachtliche Zahl im Vergleich mit den meisten anderen ASPs, die für ein breiteres Kundensegment offerieren.



Ein interessanter Fall ist Critical Path: Der amerikanische Hersteller der Messaging- und Groupware-Lösung InOne vertreibt die Software im ASP-Modus sowohl direkt als auch über Partner wie Businesscare oder Unisys. Hierzulande werden mittlerweile 25'000 User bedient. Der Client-Zugriff auf die Mail- und Scheduling-Funktionen ist über Browser oder via POP3/IMAP möglich und steht damit auch PDAs offen.



Pascal Meyer von der Schweizer CP-Niederlassung betont die Kostenersparnis gegenüber dem Betrieb eines eigenen Mail-Servers: "IT-Leiter, Finanzverantwortliche und Geschäftsführer müssen sich fragen, ob es nicht effizientere Möglichkeiten als das eigene Mail-System gibt. Die Kosten können um 50 bis 70 Prozent gesenkt werden."



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