Wikis und Blogs im Firmendienst
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/13
Wikis und Blogs sind die ältesten «Web-2.0-Anwendungen». Jeder kennt die Wikipedia, und kaum einer hat noch nie in einem der unzähligen Blogs geschmökert - mit Autoren vom unbekannten Gewerkschaftsaktivisten bis zum CEO eines Weltkonzerns. Höchste Zeit, sich zu überlegen, ob Wikis und Blogs auch für die eigene Firma etwas bringen könnten.
«Ein Wiki ist eine im Web verfügbare Seitensammlung, die von den Benutzern nicht nur gelesen, sondern auch online geändert werden kann», definiert die deutsche Wikipedia den Begriff. Der Name lehnt sich ans hawaiianische Wort «wikiwiki» an. Das bedeutet «schnell» und trifft den Kernaspekt bestens: Ein Wiki soll die Bereitstellung von Informationen so einfach wie möglich machen, damit das abgelegte Wissen im Schnelltempo seinen Nutzen entfalten kann.
Zwar gibt es heutzutage auch zahlreiche Content-Management-Systeme, die die Inhaltspflege vereinfachen. Simpler als in einem Wiki geht es aber nicht. Dies verdanken die gegenwärtig knapp 60 verfügbaren Wiki-Varianten vor allem drei Basis-Features:
Alle berechtigten User können eine bestehende Seite durch simples Anklicken eines Links editieren, der meist am oberen Seitenrand angebracht ist. Die umständliche Navigation in einem Back-end-Bereich, die bei manchem CMS erforderlich ist, entfällt.
Zum Erfassen der Inhalte braucht man keine HTML-Kenntnisse. Wikis nutzen eine vereinfachte Syntax namens Wikitext, die nur Befehle für die häufigsten Formatieranweisungen wie «Zwischentitel», «fett» oder «kursiv» enthält. Die Idee: Auch absolute Computerlaien sollten die Wikitext-Markup-Sprache in kürzester Zeit beherrschen. Mittlerweile unterstützen fast alle Wikis auch komplexere Formatierungen wie das Einfügen von Bildern und Tabellen. Heutige Wiki-Systeme bieten zudem meist einen WYSIWYG-Editor und erlauben zusätzlich das Einfügen von HTML-Tags.
Sie unterstützen jedoch nach wie vor auch eine Wikitext-Syntax – aber leider nicht alle die gleiche. Trotz Anstrengungen einer Arbeitsgruppe gibt es keinen einheitlichen Standard. Im Wikitext-Format abgelegte Inhalte kann man somit nicht ohne weiteres zwischen den Systemen austauschen.
Besonders einfach lassen sich Hyperlinks zu anderen Wiki-Seiten einfügen: Statt eines länglichen URL gibt man einfach den Titel der zu verlinkenden Seite an, je nach System auf unterschiedliche Weise: Die ersten Wikis nutzten für Links sogenannte CamelCase-Notation (der Seitentitel ohne Leerzeichen, aber mit Grossbuchstaben dazwischen – «Dies ist eine Seite» wird so zu «DiesIstEineSeite»). Heute sind meistens sogenannte «Free Links» möglich, bei denen der Verlinkungstitel durch bestimmte Zeichen begrenzt werden muss: [[Dies ist eine Seite]].
Neue Seiten erzeugen die meisten Wiki-Systeme automatisch, wenn ein Link mit einem bisher noch nicht existierenden Titel eingetragen wird.
Die Wissenskultur profitiert von der einfachen Art, mit der in einem Wiki Seiten mutiert und erstellt werden können. Vor allem im Vergleich zu hierarchisch organisierten Knowledge-Management-Systemen bieten Wikis ein Mass an Transparenz, das den internen Know-how-Flow fördert – und dieser ist ja, obwohl in manch einer Firma mehr theoretisch gefordert als praktisch umgesetzt, im Wettbewerb um Innovation und Differenzierung besonders wichtig.
Für manchen CIO bieten die klassischen Wiki-Engines aber zu wenig Kontrolle. Zwar kann der Zugang praktisch überall auf registrierte User eingeschränkt werden, und manche Systeme bieten Zugangskontrolle auf Seitenebene, oft auch nach Gruppen oder Rollen per Access Control List. In ein unternehmensweites Directory- und Authentication-System hingegen lassen sich nur wenige Wikis integrieren. Workflow-Funktionen mit mehrstufigem Genehmigungsablauf fehlen meist völlig. Sogenannte Enterprise-Wikis wie Socialtext ergänzen die Wiki-Arbeitsweise um die Sicherheits- und Management-Features, die im Unternehmensumfeld verlangt werden. Sie sind aber im Gegensatz zu den Open-Source-Wikis ziemlich kostspielig und bieten funktional kaum mehr. Bei der Einführung sollte man sich überdies den Trade-off zwischen einem oft übertrieben ängstlichen Sicherheitsdenken und dem erwünschten freien Informationsfluss sorgfältig vor Augen führen.
Der Bottom-up-Ansatz, gemäss dem jeder Autor beliebig neue Seiten erstellen kann, verunmög-licht bei den klassischen Wikis den Aufbau einer strukturierten Wissensbasis – ein Artikel über den «Mops» wird nicht unter «Hunde» eingereiht, sondern steht als eigenständiger Beitrag da, ausser der Autor verlinkt ihn explizit.
Projekte wie TWiki stellen dem Wiki-Paradigma einen gemischten Ansatz entgegen, der mit Features wie Kategorien und Formularen auch strukturierte Daten verwaltet. Essentiell: Auch die Formulare lassen sich ohne Programmierung erstellen und ins Wiki einbinden.
Neben der Zugriffskontrolle, die je nach System für bestimmte User, Gruppen und Rollen auf der Ebene des gesamten Wiki, einzelner Teilbereiche, einzelner Seiten oder sogar Seitenabschnitte definiert werden kann, ermöglicht das Wiki-Konzept dem Systemadministrator zwei Formen der Kontrolle über die publizierten Inhalte:
Change Monitoring: Wikis registrieren alle Änderungen inklusive Zeitpunkt und Autor. Viele Systeme melden diese «Recent Changes» per E-Mail oder stellen sie als RSS-Feed zur Verfügung, so dass man unerwünschte Mutationen erkennen und rückgängig machen kann. Dazu bieten viele Wikis Features wie Versionskontrolle mit Rollback und Quervergleich verschiedener Versionen einer Seite mit Hervorhebung der Differenzen. Auf Wunsch werden bei einigen Wikis auch bloss
die signifikanten Änderungen gemeldet, triviale Mutationen wie Rechtschreibkorrekturen dagegen nicht.
Spam Prevention: Als Web-Applikationen sind Wikis den üblichen Angriffen aus dem Netz ausgesetzt. Dies gilt zwar vor allem für öffentliche Wikis, aber auch firmeneigene Sites werden oft für die Kundenpflege eingesetzt und fallen damit in diese Kategorie. Die Wiki-Systeme begegnen Bedrohungen mit einer Reihe von Sicherheits-Features, darunter Blockieren bestimmter IP-Adressen und Absender-URLs anhand manueller Definition oder öffentlicher Spammer-Verzeichnisse, Zugangskontrolle mittels Captcha-Code, Filtern von Einträgen mit unerwünschten Wörtern sowie Blockieren von Usern, die auffällig viel Aktivität entwickeln.
Mit Ausnahme der Wikipedia erregen Blogs im breiten Publikum eher mehr Aufsehen als Wikis. Auch im Unternehmen haben beide Formen der internen Informationsvermittlung ihre Berechtigung.
Ein Wiki ist eine «many-to-many»-Plattform. Viele Autoren arbeiten an einem kollektiven Informationsschatz. Ein Blog dagegen funktioniert nach dem «one-to-many»-Prinzip. Ein einzelner Informationslieferant, im allgemeinen eine Person, präsentiert seine Erkenntnisse der Allgemeinheit, die allenfalls Kommentare dazu abgibt.
Je nach Art der Information eignen sich Wikis oder Blogs besser. Die Anbieter kommerzieller Kollaborationsplattformen im Wiki- und Blog-Stil kombinieren oft beide Funktionen in einem Paket, während Open-Source-Projekte meist auf einen Bereich ausgerichtet sind.
Firmenintern eignen sich Wikis für Projektmanagement-Aufgaben, als Wissensrepositorien und Brainstorming-Plattformen. Ein Blog kann zum Beispiel die Arbeit einer Abteilung den übrigen Mitarbeitern näherbringen oder die Belegschaft über die Strategie des Managements orientieren und damit vertrauens- und motivationsbildend wirken. Eine andere Möglichkeit: Das Blog eines Experten für einen bestimmten Bereich kann neue Mitarbeiter in einer Art «virtuellen Lehre» über ihr neues Arbeitsgebiet aufklären.
Blogs und Wikis bewähren sich aber nicht nur innerhalb des Unternehmens, sondern auch zur Kommunikation mit Kunden. Manager-Blogs finden sich bei vielen Firmen, das Paradebeispiel aus der IT-Industrie ist das Blog von Sun-CEO Jonathan Schwartz. Wichtig: Die Inhalte sollten auf keinen Fall bloss Marketing-Speak bieten, sondern die erkennbar persönliche und möglichst (selbst)kritische Sicht des Autors wiedergeben – also Originalton statt Ghostwriting. Alles andere wirkt kontraproduktiv.
Quellen unterhalb des Top-Managements können ebenfalls interessante Blog-Inhalte liefern. So gewinnt man aus den Engineering-Blogs verschiedener Microsoft-Abteilungen manch interessanten Einblick in aktuelle und künftige Aktivitäten, die zwar nicht als Firmengeheimnis gelten, vom Marketing aber vernachlässigt werden. Der Kunde fühlt sich so in den Entwicklungsprozess eingebunden und gewinnt Vertrauen. Viele Firmen aus dem Technologiesektor arbeiten mit vergleichbaren Blog-Strategien; andere Branchen wurden von der Blogging-Welle dagegen noch nicht erfasst.
Mit einem öffentlichen Wiki wird der Kunde vom Konsumenten zum aktiven Stakeholder. Ebay hat dies erkannt und neben den User-Blogs in Zusammenarbeit mit dem Wiki-Hostingprovider Jotspot ein Wiki eröffnet, das Tips rund ums Kaufen und Verkaufen aufnehmen soll. Angesichts der ohnehin schon unübersichtlichen Community-Optionen muss man sich allerdings fragen, ob das Wiki nicht eher des Guten zuviel ist.
Ganz anders bei Microsoft: Das MSDN-Wiki dient dazu, die teils nur schwerfällig nachgeführte technische Dokumentation, die Microsoft selbst ins Netz stellt, durch Beiträge von Third-Party-Entwicklern anzureichern und mit konkreten Praxisbeispielen zu ergänzen.
Wiki-Engines arbeiten mit den unterschiedlichsten Basistechnologien. Die Urmutter aller Wikis, das WikiWikiWeb oder WardsWiki, wurde 1995 vom amerikanischen Entwickler Ward Cunningham in Form von Perl-Scripts erstellt. Heute existieren Wikis mit praktisch sämtlichen vorstellbaren Programmiersprachen im Hintergrund, am häufigsten sind Implementationen in Perl, PHP, Java und Python. Die Speicherung der Inhalte erfolgt je nach Wiki-Engine in einer Datenbank oder in simplen Textdateien. Eine hervorragende Übersicht über derzeit 57 verschiedene Wiki-Produkte findet sich unter www.wikimatrix.org. Die Site bietet zu jeder Engine detaillierte Informationen inklusive Syntax-Beispiele für die Wikitext-Notation, ermöglicht den Quervergleich anhand einzelner Features und gibt mit einem Choice Wizard Hilfestellung bei der Evaluation der geeigneten Plattform. Die Wikimatrix berücksichtigt sowohl kommerzielle Produkte als auch freie Software. Unter den Open-Source-Wikis sind folgende Projekte erwähnenswert:
Das standardkonforme DokuWiki zielt auf Dokumentationsprojekte in Entwicklerteams, Arbeitsgruppen und kleineren Unternehmen ab. Es speichert in Textdateien, die auch ausserhalb des Wiki verarbeitet werden können. Technik: PHP/Flatfile, URL: http://wiki.splitbrain.org.
MediaWiki ist die Basis der bekannten Wikipedia und bietet sehr umfassende Features. Mit Support für Serverfarmen eignet es sich auch für Websites mit viel Traffic. Technik: PHP/DB, URL: www.mediawiki.org.
MoinMoin wird in Deutschland entwickelt und zeichnet sich durch eine modulare Architektur und eine ansprechende Optik aus. Technik: Python/Flatfile, URL: http://moinmoin.wikiwikiweb.de.
PHPWiki ist ein PHP-basierter Clone von WikiWikiWeb. Laut Entwicklern funktioniert es «out of the box with zero configuration» und wird mit einer Reihe von Default-Seiten ausgeliefert. Technik: PHP/DB oder Flatfile, URL: http://phpwiki.sourceforge.net.
SnipSnap, das Erzeugnis eines Fraunhofer-Instituts, kommt mit eigenem Java-Appserver und unterstützt Wiki Farming – bis zu 1500 Wiki-Spaces können mit der gleichen Web-Applikation betrieben werden. Die Software bietet neben der Wiki- auch Blog-Funktionalität. Technik: Java/DB oder Flatfile, URL: http://snipsnap.org.
Die «Enterprise Collaboration Platform» TWiki unterstützt neben unstrukturierten Inhalten über einen eigenen Formularmechanismus auch die Erfassung strukturierter Daten und ermöglicht so das Erstellen ganzer Web-Applikationen ohne Programmierung. Die Grundfunktionalität lässt sich um über 200 Plugins ergänzen. Die Software nutzt zur versionskontrollierten Datenspeicherung RCS und ist damit einiges komplizierter zu installieren als ein simples PHP/MySQL-Paket. Technik: Perl/Flatfile mit RCS, URL: http://twiki.org.
Die kommerziell vertriebenen Produkte glänzen in erster Linie mit besserer Security und Management-Features, ermöglichen den parallelen Betrieb mehrerer Wiki-Spaces und bieten Ergänzungen wie Blogging und andere Webanwendungen:
Confluence von Atlassian Software bietet Wiki- und Blog-Funktionen, fein granulierte Zugriffskontrolle sowie Authentication über ein offenes API; von Haus aus werden unter anderem LDAP, Siteminder und CAS unterstützt. Kosten: ab 1200 Dollar, Technik: Java/DB, URL: www.atlassian.com.
Der Wiki-Hoster Jot bietet einen Enterprise-tauglichen Wiki-Dienst im Abonnement an. Dazu gehört auch eine Galerie mit vorgefertigten, Wiki-basierten Anwendungen wie Blog, Projektmanagement, Bugtracker oder Diskussionsforum. Kosten: bis 5 User/20 Seiten gratis, 10 bis unbeschränkt viele User 9.95 bis 199.95 Dollar pro Monat. URL: www.jotspot.com.
Socialtext ist das wohl meisteingesetzte Enterprise-Wiki. Die Software ergänzt das freie Kwiki mit LDAP-Authentication, weiteren Security-Features und Blogging-Funktionen. Socialtext gibt es entweder als gehosteten Dienst oder als vorkonfigurierte Appliance. Kosten: bis 5 User gratis, 19 bis 499 User 95 bis 1995 Dollar pro Monat, ab 500 User Appliance auf Anfrage. Info: www.socialtext.com