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Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/13
Auch wenn RSS, RSS-Feeds und RSS-Reader in aller Munde sind, wissen viele Leute nicht, wo sie RSS einordnen und was sie überhaupt damit anfangen sollen. Dabei könnte RSS, auch wenn es verdächtig nach Hype klingt, ein Tool sein, auf das viele schon lange gewartet haben.
RSS steht für Really Simple Syndication, was auf deutsch etwa so viel wie «wirklich einfache Verbreitung» heisst. Bei RSS handelt es sich um eine standardisierte Form, um Inhalte in maschinenlesbarer Form zur Verfügung zu stellen. Diese Inhalte, im Jargon Feeds genannt, lassen sich mit passenden Leseprogrammen, den sogenannten Feed- respektive RSS-Readern, darstellen – womit sich RSS auf den ersten Blick nicht von einer klassischen Webseite unterscheidet, die mit HTML aufgebaut und mit einem Browser angesehen wird.
Der grosse Unterschied zwischen einem RSS-Feed und einer herkömmlichen Webseite ist, dass die Strukturierung der Informationen fest vorgegeben ist. Das heisst, dass der RSS-Feed von InfoWeek Online und beispielsweise der Online-Ausgabe der NZZ aus der Warte des Computers «gleich» aussieht. So kann der Computer ohne Anpassungsaufwand Titel, Fliesstext, Publikationsdatum und Link zu den einzelnen Artikeln problemlos identifizieren. Dies ist etwas, was bei einer klassischen HTML-Seite nur mit viel Anpassungsarbeit möglich ist.
Da es sich bei einem RSS-Feed um nacktes XML handelt, das allenfalls von einem Style Sheet begleitet wird, stehen einzig und allein die Informationen und nicht deren Präsentationsform im Vordergrund. Denn während sich Webseiten ihn ihrem Aussehen stark unterscheiden und mit unterschiedlichen Reizen, insbesondere durch Werbung, den Leser überfluten, steht dieser bei RSS immer dem gleichen «Aussehen» gegenüber, das sich auf Grund der verschiedenen RSS-Standards schlimmstenfalls in kleinen Details unterscheidet. Und diese standardisierte Darreichungsform ist es, die den Clou hinter RSS ausmacht.
Im Gegensatz zum Browser, wo man sich jeweils nur eine Webseite anschaut, sind die Leseprogramme für RSS-Feeds, also die Feed-Reader, in der Lage, die Inhalte von mehreren Feeds zu vereinen und gleichzeitig darzustellen. Das heisst, dass die Feed-Reader einen Feed nach dem anderen abgrasen, die Inhalte einsammeln, beispielsweise nach Publikationsdatum sortieren und in einer sauber formatierten Liste anzeigen. Wer in seinem Feed-Reader zum Beispiel die Feeds von InfoWeek Online, der NZZ, des Spiegel und der New York Times hinterlegt, kriegt regelmässig innert Sekunden die aktuellen Meldungen der Publikationen auf seinen Bildschirm gezaubert und ist damit immer auf dem neusten Stand.
Wenn man so will, sind RSS-Feeds nicht mehr als umgedrehte Newsletter: Statt sich auf der Webseite der Publikation zum Newsletter anzumelden, subskribiert man den Feed in seinem Feed-Reader. Und statt dass der Newsletter zu einer von der Publikation festgelegten Zeit an die Empfänger versendet wird, holt sich der Feed-Reader regelmässig den Feed von der Webseite ab – wobei der Anwender entscheidet, wie oft er auf den neusten Stand gebracht werden will.
Wie bei vielen Technologien, die dank des Web-2.0-Hype an die Oberfläche gespült wurden, waren auch hier die Blogs die treibende Kraft hinter den RSS-Feeds. Mit dem Wachsen der Community war es für die Leser von Blogs immer zeitaufwendiger, alle ihre favorisierten Blogs kontinuierlich abzugrasen und auf neue Postings zu überprüfen. Hier kam das bis anhin wenig beachtete XML-Format mit den Feed-Readern gerade recht. Denn nun reichte es, den Feed in seinem Feed-Reader zu abonnieren, den Rest erledigte das Programm automatisch. So konnte man auch bei hunderten Blogs auf dem laufenden bleiben, ohne etwas tun zu müssen. Denn die Feed-Reader verrichten ihre Arbeit still im Hintergrund und machen erst auf sich aufmerksam, wenn neue Postings gefunden werden.
Relativ schnell entdeckten auch die Zeitungsverlage die RSS-Feeds als praktisches Mittel, um ihre Informationen an die Leser zu bringen. So gibt es heute nur wenige Publikationen, die auf einen RSS-Feed verzichten.
Feed-Reader für Outlook und den Desktop
Wer RSS nun als reines Vehikel zur Verteilung von Blog-Postings und Zeitungsartikeln sieht, tut der Technik unrecht. Denn die Verwendungsmöglichkeiten von RSS sind deutlich vielfältiger, auch wenn es am Ende immer nur darum geht, die Abonnenten über Neuigkeiten zu informieren. So gibt es Unternehmen, die Benachrichtigungen über Software-Updates per RSS-Feed publik machen oder, wie Hewlett-Packard, ihre Pressemitteilungen veröffentlichen. Ebenso findet man Webhoster, die via RSS-Feeds über Downtimes berichten, oder das Immobilien-Portal immo.search.ch, das es erlaubt, auf eine Suchabfrage passende Resultate via RSS-Feed zu abonnieren. So lässt sich quasi automatisch nach der nächsten Wohnung suchen.
Aber auch im Unternehmenseinsatz hat RSS seine Berechtigung. Vor allem für Entwickler-Teams ist RSS ungeheuer wertvoll, da sich damit beispielsweise Changes in der Versionskontrolle, Änderungen am Wiki, neue oder bearbeitete Bug-Reports oder andere Tätigkeiten verfolgen lassen. Vorreiter ist hier das freie Projekt-Management-Werkzeug Trac der schwedischen Edgewall, bei dem sich so ziemlich jeder Aspekt der Software per RSS überwachen lässt. Das Einrichten von Mailinglisten, um Informationen zu verteilen, fällt damit weg. Auch kann man die Anwender selber bestimmen lassen, welche Informationen sie bekommen wollen und welche nicht. Die nächste Stufe der „Überwachung“ stellt dann der Information-Tracker CIA (cia.navi.cx) dar, mit dem sich, etwa wie bei einem Proxy, die RSS-Feeds von verschiedenen Orten einsammeln und dann weiterverteilen lassen.
Intranet-Lösungen wie der Newsgator Enterprise Server, die sich beispielsweise in Active Directory und Exchange integrieren lassen, erlauben auch den gezielten und kontrollierten Einsatz von RSS. So kann unter Umständen ein Intranet durch eine Sammlung von RSS-Feeds ersetzt werden, die direkt aus den Datenquellen heraus die Anwender über Änderungen oder Termine informieren.
Über den Podcast
Die Inhalte, die sich via RSS transportieren lassen, sind natürlich nicht auf reinen Text beschränkt. Die meisten Feed-Reader sind dazu in der Lage, HTML zu rendern, wodurch sich innerhalb der Strukturelemente der RSS-Feeds mit HTML somit auch Bilder und andere Multimedia-Elemente einbinden lassen. Während dies einige Publikationen zur Auslieferung von Werbung benutzen, hat sich in den letzten ein, zwei Jahren eine Szene von sogenannten Podcastern und Screencastern gebildet. Diese betreiben nicht TextBlogs, sondern Audio- respektive Video-Blogs, bei denen die Multimedia-Elemente wie die Texte via RSS-Feed ausgeliefert werden. So flattern einem unter anderem die täglichen Mac-News (www.mac-essentials.de), Photoshop-Tutorials (www.screenz.de) oder neu sogar die regelmässig unregelmässigen Ansprachen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (www.bundeskanzlerin.de) auf den Computer.
Apple hat diesen Trend schon relativ früh erkannt und nicht nur aus iTunes einen RSS-Reader gemacht, sondern auch den iTunes Music Store um eine grosse Sammlung von Podcasts sowie den RSS-Standard um spezielle Elemente für den Transport von Multimedia-Objekten erweitert.
Ob man aus RSS-Feeds wirklich das Maximum herausholen kann, liegt an der Qualität und den Fähigkeiten des Feed-Reader. Denn mit simplem Aggregieren der News-Feeds in den etlichen Formaten ist es nicht getan. Erst die richtige Organisation der unzähligen Feeds (beispielsweise in Gruppen), Archivierungs- und Sortierungsmöglichen sowie Suchfunktionen entscheiden, ob man mit der Informationsflut effizient umgehen kann oder nicht.
Für Konsumenten von Podcasts- oder Videocasts ist ausserdem die Unterstützung der entsprechenden Multimedia-Elemente mit Verknüpfung zu den passenden Media-Playern wichtig. Wer viele Feeds abonniert hat und diese auch auf einem anderen Computer nutzen oder mit anderen Anwendern tauschen möchte, ist auf einen Export und Import angewiesen. Hier hat sich das OPML-Format (Outline Processor Markup Language) etabliert, das wie RSS auf XML basiert.
Bei den Nice-to-have-Features rangiert die Integration von externen Weblog-Tools. Damit lassen sich interessante Beiträge von anderen Weblogs, auf die man Bezug nehmen möchte, direkt ans eigene Weblog senden und dort in die eigenen Beiträge einbetten. Auch praktisch sind Watchlists. Mit ihnen lassen sich RSS-Feeds auf bestimmte Schlüsselwörter überwachen, damit man ja kein Posting zu einem Thema verpasst.
Da es sich bei RSS um eine verhältnismässig einfach zu implementierende Technik handelt, wurde der Markt mit hunderten wenn nicht gar tausenden verschiedenen Implementierungen überschwemmt, von denen viele kostenlos oder Open Source sind. Unerfreulicherweise sind viele dieser Implementierungen nicht wirklich über das Stadium des Experiments herausgekommen. Die Anzahl der Feed Reader für Power User ist entsprechend überschaubar.
Das Microsoft der Feed-Reader ist das US- Unternehmen Newsgator, das neben dem populärsten Windows-Client FeedDemon ein Plug-in für Outlook, die äusserst populäre Mac-Software NetNewsWire, einen Online-Service und den bereits erwähnten Enterprise Server produziert. Die Programme bringen so ziemlich jedes Feature, das man sich als RSS-Power-User wünschen kann.
Dazu gesellen sich eine Reihe gelungener Individual-Projekte, beispielsweise der OMEA Reader von Jetbrains oder NewsBee von HSS, der in vier verschiedenen Editionen erhältlich ist und sich sogar nach einem optionalen Rebranding der eigenen Leserschaft zur Verfügung stellen lässt.
Daneben gibt es viele Programme, die zwar grundsätzlich RSS-Feeds verstehen, aber meist nur ein Subset der Funktionalität bereitstellen und darum auch nicht in der Marktübersicht auftauchen, beispielsweise iTunes von Apple (nur Podcasts) oder die bekannten Browser, die nur rudimentäre RSS-Funktionen zum «Kennenlernen» bieten.
Für Anwender, die immer wieder an anderen Computern sitzen oder keinen Feed-Reader installieren können oder wollen, bietet sich die Nutzung eines Online-Feed-Readers an. Angeboten werden diese unter anderem von Google (www.google.com/reader), Bloglines (www.bloglines.com), Newsgator (www.newsgator.com) und Yahoo (www.my.yahoo.com). Die Interfaces basieren in der Regel auf AJAX und unterscheiden sich in der Benutzung nicht allzu sehr von ihren Desktop-Verwandten. Auch bei den Features können sie durchaus mithalten.
Fast wie bei WLAN wuchern auch bei RSS die verschiedenen Standards, die sich mehr oder weniger stark unterscheiden. Begonnen hat alles mit RSS 0.90, das von Netscape entwickelt wurde und auf RDF (Resource Description Framework) basiert. Dieses wurde aber ziemlich schnell vom XML-basierenden RSS 0.91 abgelöst. Der 0.9x-Strang wurde inoffiziell von UserLand, der Firma hinter der Publishing-Software Radio UserLand, weiterentwickelt. Sie publizierte Mitte 2000 ebenfalls eine Version 0.91, die sich aber von der Netscape-Variante unterschied. Ebenfalls erschienen sind RSS 0.92, 0.93 und 0.94. Gleichzeitig brachte eine unabhängige Entwicklergruppe RSS 1.0 heraus, das wieder auf RDF basierte und entsprechend RSS nun für RDF Site Summary stand. 2002 hat UserLand RSS nochmals weiterentwickelt und Version 2.0 herausgebracht, die keinen Gebrauch von RDF macht und auch nur eingeschränkt abwärtskompatibel ist. 2005 wurde mit Atom ein erstes Format für News-Feeds von der Internet Engineering Task Force standardisiert und mit RFC 4287 quasi in Stein gemeisselt. Auch Atom ist nicht mit anderen RSS-Formaten kompatibel. Die meisten Feeds liegen heute in RSS 2.0 oder Atom vor. RSS 0.9x von UserLand wird nur noch vereinzelt genutzt.
(ubi)