Das Kabel geht auf die Überholspur
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/09
Über xDSL-Angebote haben wir uns unterhalten, über mobile Internet-Access-Möglichkeiten auch. Einen Aspekt haben wir in diesem Schwerpunkt noch aussen vor gelassen: Den Internetzugang via Breitbandkabelnetz. Seit Jahren liefert man sich mit den Telcos beziehungsweise den DSL-Anbietern einen Kampf um Speeds, Preise und die Kundschaft.
Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Angebote für den Endkunden deshalb kaum: Beide benötigen ein Modem, sie sind ähnlich schnell, die Preise auch und Zusatz-Features wie Telefonie oder digitales Fernsehen sind beiderorts erhältlich. Nur schliesst man das eine Modem an die Telefon-, das andere an die TV-Buchse an. Auch mit dieser scheinbaren Parität dürfte nun bald Schluss sein. Einerseits hat das Kupferkabel dank VDSL einen mächtigen Schritt vorwärts gemacht. Den konnte das TV-Kabel nur knapp ausgleichen. Aber: Hier ist man auf die Überholspur eingebogen.
Bis anhin war das Kabel-Internet vor allem für Private interessant, denn etwa 3,2 Millionen Schweizer Haushalte sind mit einem Kabelanschluss versehen. Aber die Schweizer Kabel-Internetanbieter, wie Cablecom oder Finecom, setzen auch auf Business-Kunden, und das vermehrt. Zum einen werden bei Cablecom die in der xDSL-Marktübersicht beschriebenen Business-Angebote (siehe Seite 44), die aktuell über ADSL2+ implementiert sind, ab dem dritten Quartal auch über Docsis (siehe Kasten), also Kabel, angeboten. Zum anderen lautet das Schlagwort der Stunde bei allen Kabel-Anbietern bereits seit einigen Monaten Docsis 3.0 oder «Wideband». Dort geht es in den nächsten Wochen und Monaten endlich vorwärts.
Was bringt Docsis 3.0? Anders als die aktuellen Cable-Zugänge bietet die Weiterentwicklung die Möglichkeit zum Channel-Bonding (siehe Grafik). Damit kann man deutlich grössere Bandbreiten zur Verfügung stellen. Die Rede ist dabei nicht mehr von 20 oder 30 Mbps pro Sekunde, sondern von 50 und mehr. Theoretisch sollen laut Walter Bichsel, Head of Business Development & Product Management bei Cablecom, damit sogar Werte um die 200 Mbps und mehr möglich werden. Mehr zu den Speeds aber später.
Etwas Anpassungen am Netz gibt es doch: Ergänzt wird die neue Technologie nämlich von einer modularen Architektur für die Kopfstellen namens Modular CMTS (M-CMTS). Die M-CMTS können in einem zweiten Schritt, zur besseren Übertragung von digitalen Videoströmen, mit sogenannten EdgeQAM über Gigabit Ethernet / IP-Verbindungen miteinander gekoppelt werden.
Die EdgeQAM bearbeiten parallel sowohl Docsis als auch Videoströme unabhängig voneinander und speisen sie in separate Kanäle des Kabelnetzes ein. Down- und Upstream sind in dieser Architektur vollständig entkoppelt, was die Skalierung abhängig von der jeweiligen Kapazitätsausnutzung verbessert. Das Duo Docsis 3.0 plus M-CMTS bringt also neben einer grösseren Flexibilität auch höhere Bandbreiten, und das erst noch zu geringeren Kosten.
Die Cablecom möchte laut Walter Bichsel noch in diesem Jahr in einer grösseren Schweizer Stadt ein Docsis-3.0-Pilotprojekt starten. Ab 2009 soll dann der Rollout erfolgen. Zurzeit investiert man dafür viel Geld in den Netzausbau, der dereinst überall 860 MHz betragen soll.
Finecom, nach eigenen Angaben der zweitgrösste Fullservice-Provider für Kabelnetzunternehmen in der Schweiz, ist schon einen Schritt weiter. Dort hat man bereits seit Ende 2006 erste Versuche mit Docsis 3.0 durchgeführt. Bereits in der zweiten Jahreshälfte wird nun der Rollout für die Kunden erwartet. Der Starttermin sei allerdings noch nicht ganz fixiert, erklärt Michel Renfer, CTO von Finecom: «Wir sind dabei auf die Verfügbarkeit der Modems und der darin enthaltenen Chips angewiesen». Wann genau und in welcher Anzahl man die erhalten wird, weiss man noch nicht.
Die Grundlagen im Netz, das sehr unterschiedlich ausgebaut ist, werden von Finecom laufend gelegt. 860 MHz sind laut Renfer jedoch nicht zwingend nötig für Docsis 3.0. Auch 606 MHz würden genügen, allerdings nur auf Kosten von analogen TV-Sendern.
Eigentlich sind die Speeds mit Docsis 3.0 praktisch unbegrenzt, es können so viele Channels wie gewünscht miteinander gebündelt werden. Der Standard definiert nur ein Minimum von vier in Up- und Downstream-Richtung. Allerdings wird man nicht Full-Speed gehen. Konkrete Angebote gibt es natürlich noch nicht, Michel Renfer von Finecom stellt allerdings Abonnemente mit Geschwindigkeiten zwischen 25 Mbps und 50 Mbps in Aussicht.
Wird mit Docsis 3.0 der herkömmliche Kabelanschluss also zu einer echten Alternative zu «Fibre To The Home»-Lösungen? «Punkto Bandbreite liegen wir da in derselben Range», sagt Walter Bichsel. Allerdings weist er auch auf das Problem der Coax-Kabel hin, die im Vergleich zu Fibre-Kabeln halt ein Shared-Medium sind. Docsis 3.0 würde er demnach also eher in der Mitte zwischen VDSL und Fibre To The Home ansiedeln.
Bichsel wagt sogar die Aussage, dass irgendwann in Zukunft alles Fibre To The Home sein wird. Bis dahin dürfen wir uns wohl noch ein bisschen mit Docsis 3.0 und möglichen, neuen DSL-Angeboten auseinandersetzen. Der Ball liegt auf jeden Fall wieder bei den Telcos.
Docsis (Data Over Cable Service Interface Specification) wurde 1997 entwickelt und ist ein Standard, der die Anforderungen für Datenübertragungen in einem Breitbandkabelnetz festlegt. 2002 wurde die Nachfolgespezifikation Docsis 2.0 vorgestellt.
Docsis ermöglicht im Frequenzbereich von 50 MHz bis 860 MHz Downstream-Datentransferraten zwischen 27 und 36 Mbps sowie im Frequenzbereich von 5 bis zu 42 MHz Upstream-Raten zwischen 320 Kbps und 10 Mbps.
Die neuste Version Docsis 3.0, auch Wideband genannt, existiert seit Sommer 2006, und mit ihr sollen schon bald mindestens 160 Mbps empfangen und 120 Mbps gesendet werden können. Neben rein zahlenmässigem Kapazitätszuwachs wird Docsis 3.0 erstmals auch die Unterstützung für IPv6 im Kabelnetz bringen.