Microsoft .Net: .Hot oder .Not?

Mit einer neuen Vision und einer komplett überarbeiteten Softwareplattform will Microsoft sich selber und den Softwaremarkt neu erfinden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/17

     

Mit der Ankündigung der .Net-Strategie im Juni 2000 hatte Microsoft für einiges an Verwirrung gesorgt. Die Grundidee und die Marschrichtung der Strategie leuchtete vielen zwar ein, doch die Dutzenden von neuen Begriffen und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Technologien und Produkten blieb für viele unklar. Während den letzten Monaten hat Microsoft nun Teile ihrer .Net-Strategie weiter konkretisiert und mit einigen Neuankündigungen etwas mehr Licht ins Dunkle gebracht. Höchste Zeit also, die ganze .Net-Strategie einmal gründlich aufzurollen und zu analysieren.




Für Unklarheit sorgte die neue Strategie hauptsächlich auch darum, weil .Net eigentlich für drei verschiedene Dinge steht: eine Vision über die Zukunft des Softwaremarktes, eine neue Software- und Entwicklungsplattform und ein Application-Service-Providing-Modell (ASP).


Die .Net-Vision

In der .Net-Vision haben die Redmonder formuliert, wie sich Software, Hardware und Internet aus ihrer Sicht in der nächsten Dekade verändern werden. Microsoft will alle ihre künftigen Produkte komplett nach der .Net-Vision ausrichten. Bill Gates misst dem Übergang in die .Net-Welt etwa die gleich Bedeutung zu wie einst dem Wechsel von DOS nach Windows.



Die .Net-Vision baut im wesentlichen auf den folgenden, sich abzeichnenden Megatrends auf:





Web Services: Websites sollen Informationen künftig selbständig untereinander austauschen können und dadurch neue Formen von Anwendungen möglich machen. Es entsteht eine neue Form von Webangeboten, die nicht von Usern, sondern von Webanwendungen genutzt werden.




Uneingeschränktes Roaming: Benutzer werden, egal von welchem Ort und mit welchem Gerät, jederzeit auf die aktuellste Version ihrer Daten, E-Mails und Termine zugreifen können. User werden ihre Daten mehr und mehr bei einem Internet-Service zentral speichern.




Neue Gerätetypen: Neben dem PC wird sich eine ganze Palette von neuen Gerätetypen wie Smartphones, PDAs, Web-Tablets, TV-Set-Top-Boxen oder Web Terminals am Markt etablieren.




Software as a Service: Software wird bereits in naher Zukunft nicht mehr in Form von Schachteln, sondern als abonnierbare Services unter die Leute gebracht werden. Sowohl ASPs (Application Service Provider) als auch Firmen sollen künftig in der Lage sein, Software als Services über ihre Server via Internet oder Intranet auf all den oben genannten Geräten verfügbar machen können.




Adaptive User Interface: Benutzeroberflächen werden sich dem User und dem Gerätetyp, auf dem diese verwendet werden, automatisch anpassen. Nach Microsofts Vorstellungen legen die Benutzer ihre Daten, Konfigurationsprofile und Programme zentral auf dem Internet ab. Sobald sich der User anmeldet, wird die Oberfläche gemäss seinen Vorgaben und anhand den Fähigkeiten des gerade genutzten Geräts aufgebaut, die Daten synchronisiert und die benötigte Software, falls noch nicht vorhanden, heruntergeladen und installiert.


Die .Net-Plattform

Das Rüstzeug für die Umsetzung der .Net-Vision bildet die .Net-Plattform, die die entsprechende Infrastruktur und die nötigen Entwicklungswerkzeuge zur Verfügung stellt (Überblick siehe Diagramm "Die .Net-Plattform").



Die im Rahmen der .Net-Plattform angekündigten Infrastrukturelemente decken zwar noch nicht alle Bereiche der Vision ab, bieten aber die Basis für Web Services und teilweise auch Support für neue Gerätetypen und Adaptive Interfaces.




Die .Net-Plattform ist der eigentliche Nachfolger von Windows DNA (Distributed interNet Architecture), die Entwicklungs- und Infrastrukturplattform, die Microsoft in den letzten Jahren für die Internet- und E-Business-Ära propagiert hat. Beide Plattformen sollen vorläufig parallel weitergeführt werden. So beteuert Microsoft, dass Windows DNA während den nächsten drei Jahren noch weiter unterstützt und ausgebaut werden soll. Angesichts dessen, dass Microsoft wohl etwa dieselben Zeitspanne benötigt, um die komplette .Net-Plattform auf den Markt zu bringen, ist das allerdings kein allzu grosszügiges Versprechen. Es ist abzusehen, dass die Redmonder ihren Fokus und ihre Ressourcen zunehmend auf die .Net-Schiene verlagern werden und Windows DNA irgendwann komplett abgelöst wird.




.Net-Framework

Die zentrale Komponente der .Net-Plattform ist das .Net-Framework, das sich wiederum aus einer Common Language Runtime (CLR) und einer Reihe von umfassenden, erweiterbaren Klassenbibliotheken zusammensetzt.




Common Language Runtime: Die Common Language Runtime ist die eigentliche Umgebung, in der die .Net-Applikation ausgeführt wird. Dabei regelt die CLR das Memory-Management, die Installation oder das Objekthandling und ist für den sicheren und zuverlässigen Betrieb der Applikation besorgt.




Der grosse Unterschied zu anderen Runtime-Umgebungen, wie etwa der Java Runtime Engine, ist die Sprachunabhängigkeit der CLR. Neben den drei Microsoft-Sprachen (Visual Basic, C++ und C#), die Code für die .Net-Runtime-Engine generieren können, werden auch Dritthersteller ihre Sprache für die .Net-CLR anpassen können. Gut möglich, dass in naher Zukunft eine Java-Adaption für die .Net-Plattform auf den Markt kommen wird.



Die Compiler der .Net-Sprachen erzeugen für die Ausführung durch die CLR nicht Native-, sondern einen sogenannten Zwischen-Code, genannt Microsoft Intermediate Language (MIL). Erst bei der Ausführung wird das Programm von der CLR in Maschinen-Code umgewandelt. Neu ist auch, dass .Net-Programme nicht mehr auf Registry-Einträge, Installationsprozeduren und DLLs angewiesen sind. Das hat den Vorteil, dass man die Anwendung künftig wie zu DOS-Zeiten per Kopierbefehl auf die gewünschte Maschine transferieren und direkt ausführen kann.



Bei Microsoft gibt es auch Pläne, die CLR auf andere Plattformen zu portieren. So könnte die .Net-Runtime einst auf Mobilgeräten wie Smartphones und PDAs bis hin zu High-End-Servern zum Einsatz kommen. Gemunkelt wurde in der Vergangenheit von einer Portierung auf Mac OS, Linux und PalmOS. Praktisch sicher ist eine Umsetzung der CLR auf Windows CE, die im Rahmen des .Net Compact Framework - eine Untermenge des .Net-Framework für Mobilgeräte - erfolgen soll.



Der Vorteil der breiten Verfügbarkeit auf verschiedenen Plattformen liegt auf der Hand. Programmierer können für ein und dieselbe API entwickeln, was den Portierungsaufwand für eigene Applikationen immens reduziert. Die Verfügbarkeit der .Net-Runtime auf allen möglichen Geräten ist wohl eines der ambitioniertesten Ziele der .Net-Strategie. Microsoft wird zur Umsetzung einige Hürden überwinden und vermutlich auch Kompromisse eingehen müssen.




Libraries: Die .Net-Libraries bieten dem Entwickler Zugang zu allen elementaren Betriebssystemfunktionen und .Net-Services. Die bisherigen Windows APIs werden durch die neuen Base Class Libraries komplett ersetzt. Diese umfassen Grundfunktionen wie Datenhandling, Input/Output oder Security. Auch ADO.Net, der Nachfolger des ADO (ActiveX Data Object), SOAP sowie alle Kernfunktionen für den Umgang mit XML inklusive Parser und XSL Transformer sind in den Basisklassen zu finden.Microsoft hat viele Funktionen, die bislang noch Teil der Programmiersprache waren, in die Base Classes verschoben. So ist etwa die Visual-Basic-Funktion sqr für die Quadratwurzelberechnung neu durch die Methode system.math.sqrt der Framework-Klassen ersetzt worden. Das hat den Vorteil, dass für alle wichtigen Standardaufgaben aus allen .Net-Sprachen dieselben Klassen genutzt werden können.




Interfaces: Als weiterer Layer oberhalb der Base Classes ist die Interface-Schicht mit den User-Interface-Konzepten Windows Forms und Web Forms sowie die Web Services, einer Interface-Technologie für direkte Kommunikation mit anderen Applikationen, angeordnet.




• Windows Forms: Die Windows Forms sind das .Net-Äquivalent für das visuelle Interface-Design, wie sie bislang mit der VB Forms Engine in Visual Basic zu finden waren. Neu ist, dass Windows Forms nun mit jeder .Net-kompatiblen Sprache genutzt werden können und Features des .Net-Framework wie Multithreading oder Vererbung zur Verfügung stehen. Mit den Windows Forms werden quasi die Win32-Benutzerschnittstellen, wie wir sie seit Windows 3.0 kennen, in die .Net-Welt migriert.




• Web Forms: Die Web Forms sind ein auf ASP.Net basierendes Interface-Konzept für HTML-Clients. Der Entwickler kann wie bei den Windows Forms sein Benutzer-Interface mit den nötigen Controls (Server Controls genannt) und Ereignissen visuell per Drag&Drop designen. Erst zur Laufzeit, wenn eine HTTP-Anforderung erfolgt, wird die HTML-Seite generiert und zum Browser geschickt. Entsprechend den Usereingaben werden vom Client zum Server per HTTP-Post Aufrufe geschickt, die dann die notwendigen Server Controls auf dem Server anwählen. Web Forms haben neben dem Vorteil, dass man jetzt in puncto Look&Feel der Win32-Welt praktisch ebenbürtige Interfaces designen kann, auch den angenehmen Nebeneffekt, dass sie sich on-the-fly dem vorhandenen Browser anpassen können. Je nachdem, ob ein DHTML-fähiger Browser der fünften Generation, ein alter 3.0er Browser oder ein schlanker Browser eines Mobilgeräts die Seite abruft, wird der generierte HTML-Code bei Laufzeit für den vorhanden Client-Typ optimiert.




• Web Services: Das Web-Service-Interface definiert die nötigen Schnittstellen, damit fremde Web-Applikationen in die eigene Anwendung integriert werden können (mehr dazu siehe Kasten "Web Services: Das Web als Legobaukasten" in der Print-Ausgabe).


Visual Studio.Net

Wer Applikationen basierend auf dem .Net-Framework entwickeln will, wird um Visual Studio.Net, dem Nachfolger von Visual Studio 6.0, nicht herumkommen. Die integrierte Entwicklungsumgebung, die Visual Basic, JScript, C++ und die neue Sprache C# (sprich C Sharp) unter einem Hut zusammenfasst, stellt Entwicklern alle Komponenten, Werkzeuge und Bibliotheken für das .Net-Framework für alle Sprachen in identischer Form zur Verfügung.



Visual Studio.Net wird mit einer rundum erneuerten Version der Active Server Pages, Microsofts Server-side-Scriptsprache, kommen. Mit ASP.Net (auch als ASP+ bekannt) kann neu in Visual Basic, C# oder JScript geschriebener Code in HTML-Seiten eingebettet werden. Der eigentliche Clou dabei: ASP-Seiten lassen sich neu zu eigenständigen .Net-Applikationen kompilieren. Da ASP jetzt innerhalb aller Sprachmodule genutzt werden kann, ist das bisherige ASP-Tool Visual Interdev nicht mehr in der Programmiersuite zu finden. Statt Interdevs Visual Designer kommen jetzt die oben beschriebenen Web Forms zum Einsatz. Neben den Web Forms bietet ASP.Net Neuerungen wie verbessertes State-Management, effizienteres Caching und Authentifizierungs-Mechanismen. ASP.Net ist laut Microsoft zu 100 Prozent rückwärtskompatibel. Bisherige ASP-Seiten sollen ohne Code-Anpassungen in die .Net-Umgebung übernommen werden können.




Ebenfalls absent ist Microsofts Java-Clone J++, der aufgrund der Rechtsstreitereien mit Sun und nicht zuletzt wohl auch, um die neue Konkurrenzsprache C# zu fördern, aus Visual Studio gekippt worden ist. Dafür sind die IDE (Integrated Development Environment) wie auch das .Net-Framework jetzt so designt, dass sie sich um andere Programmiersprachen von Drittherstellern erweitern lassen. Cobol, Perl und Eiffel sind bereits im Gespräch.




Visual C++ wird die einzige .Net-Sprache sein, mit der sich künftig noch traditioneller Windows-Code schreiben lässt, der nicht auf das .Net-Framework angewiesen ist. Allerdings wird man .Net auch mit C++ in vollem Masse ausreizen können.




Visual Basic.Net wird gegenüber den Vorgängern einen riesigen Sprung machen. Die drei wesentlichsten Neuerungen sind echte Objektorientierung mit Vererbung, Multithreading und Structured Exception Handling für ein zentralisiertes Error-Management. Die Neuerungen haben allerdings auch einen Preis. VB.Net wird nicht rückwärtskompatibel zu VB 6.0 sein. Dies hat nach Auslieferung der Beta 1 prompt für einen Proteststurm aus dem VB-Entwicklerlager gesorgt. Microsoft will nun VB.Net für die Beta 2 noch optimieren und stärker am Vorgänger angleichen. Ausserdem sollen Upgrade-Wizards bei der Migration von VB-Applikationen helfen.




Visual C# wurde speziell für die .Net-Plattform entwickelt und soll das Beste aus Visual Basic, C++ und Java in einer modernen Programmiersprache vereinen. Zudem würde C# jetzt auf Web-Funktionen getrimmt und soll daher besonders gut mit Web Services und Internet-Technologien wie HTTP, XML oder SOAP umgehen können. Auch bei der Garbage Collection und dem Variablen-Handling wird C# gegenüber C++ und Visual Basic stark überlegen sein.


Orchestration-Tools

Neben Visual Studio.Net zählt Microsoft auch ihre Orchestration-Tools, die im B2B-Server BizTalk 2000 enthalten sind, zu den .Net-Entwicklungswerkzeugen. Zu den Orchestration-Tools gehört ein visueller Designer, mit dem Business-Prozesse und Transaktionen in Form von Flowcharts aufgezeichnet und mit Processing-Funktionen des BizTalk Servers verlinkt werden können.





.Net Enterprise Server

Aufgabe der Enterprise Server im .Net-Umfeld ist es, alle Server-Services wie zentrales Storage, Messaging, Transaktionen oder Integration mit Legacy-Systemen zur Verfügung zu stellen, die für die künftigen .Net-Applikationen benötigt werden. Die Server bereits heute mit dem .Net-Label auszustatten, ist allerdings in erster Linie ein Marketing-Gag. Hinter den Servern verbergen sich praktisch dieselben Produkte, die bereits für Windows DNA angeboten oder zumindest angekündigt waren. Keiner der heutigen .Net-Server basiert selber auf dem .Net-Framework - das ja auch erst als frühe Beta verfügbar ist -, noch kann einer der Server Out-of-the-Box als Web Service betrieben werden.



Vielmehr arbeitet Microsoft daran, ihre Server Step by Step für das .Net-Zeitalter aufzumotzen. Erste Schritte sind bereits gemacht: So wurde etwa der SQL Server 2000 mit Native-XML-Support ausgestattet, und Exchange 2000 hat den universellen und offenen Datenspeicher Webstore erhalten. In den letzten Monaten wurde die Server-Palette um einige neue Produkte ergänzt. Dazu zählen etwa der BizTalk Server 2000 für die B2B-Integration, Commerce Server 2000 für den Aufbau von B2C- und B2B-Marktplätzen, Application Center 2000 für das Management von Serverfarmen und Mobile Information Server 2000 für die Anbindung von drahtlosen Geräten.




Künftige Serverprodukte werden allerdings mit weit mehr .Net-Funktionalität ausgerüstet sein. So soll beispielsweise beim nächste SQL Server (Codename "Yukon") Server-side Code (Triggers und Stored Procedures) mit jeder .Net-Programmiersprache erstellt werden können; ähnlich dem Java-Code-Konzept, das bereits heute in Oracle 8i zu finden ist.




.Net Building Blocks

Ganz nach dem Muster der Web Services will Microsoft im Rahmen ihrer .Net-Plattform auch gleich eine Handvoll eigener Fertigkomponenten ins Netz stellen. Das bekannteste Beispiel ist der Authentifikationsdienst Passport, mit dem man ein Log-in-System in die eigene Site integrieren kann. Das Besondere daran: Da Passport auch von Hotmail und MSN verwendet wird, können sich die Benutzer dieser Services mit denselben Login-Daten der eigenen Site anmelden.



Mit "Hailstorm" hat Microsoft vor einigen Wochen ihre jüngsten Building Blocks angekündigt. Dabei handelt es sich um eine Reihe von kostenpflichtigen Diensten für Internet-User wie etwa E-Mail, Instant Messaging, Terminplaner, Adressbuch oder Online-Speicherplatz. Website-Entwickler können nun ebenfalls direkt auf diese Dienste zugreifen. Bucht beispielsweise ein User bei einem Schulungsunternehmen online ein Seminar, so könnte die Bestellroutine der Website nicht nur die Buchung vornehmen, sondern auch gleich den Termin in der Agenda des Benutzers eintragen. Um die Privatsphäre der "Hailstorm"-Abonnenten zu gewährleisten, verspricht Microsoft, dass diese den Zugriff auf die eigenen Daten und Anwendungen exakt steuern können.





Windows.Net

Nach wie vor grosse Unklarheit herrscht darüber, welche Rolle dem Windows-Betriebssystem in der .Net-Welt zukommen wird. Bekannt ist, dass Microsoft für 2002/2003 den Nachfolger von Windows XP ("Whistler"), Codename "Blackcomb", vorgesehen hat. Über die Änderungen und den Funktionsumfang lässt sich derzeit nur spekulieren. Gemäss den in den .Net-Papieren gesteckten Zielen ist zu erwarten, dass "Blackcomb" standardmässig mit Spracherkennung und mit einem komplett auf XML-aufbauendem User-Interface ausgerüstet sein wird. Das .Net-Framework wird bereits vor Windows.Net in seiner ersten endgültigen Fassung etwa im 4. Quartal 2001 für Windows XP, 2000 und 98 verfügbar sein.





Application Hosting

Wie eingangs erwähnt, ist das dritte wichtige Element der .Net-Initiative Microsofts Plan, ins Application Providing Business vorzustossen. Die Redmonder wollen künftig ihre Software nicht nur in Schachtelform, sondern auch als Dienst zum Mieten via Internet anbieten. Als Infrastruktur will Microsoft ihre eigenen Serverlösungen einsetzen; die Services sollen im Abonnementsverfahren gemietet werden können.



Microsoft reagiert damit nicht nur auf den Druck des Softwaremarktes, der sich zusehends in Richtung ASP bewegt, sondern wittert gleichzeitig auch die Chance, neue Marktsegemente zu erschliessen. Der Softwaregigant hat es dabei hauptsächlich auf die Small-Business-Firmen (bis 25 Mitarbeiter) abgesehen, eine Kundschaft, bei der heute noch kaum Serverprodukte im grossen Stil eingesetzt werden. Eine zentrale Rolle für die meisten der gehosteten Applikationen wird denn auch das Small-Business-Portal bCentral spielen, das bereits heute Web-Storage oder Exchange 2000 im Mietverfahren anbietet. Auf dem Plan stehen weitere Dienste wie Finanzbuchhaltung, ein Customer-Relationship-System sowie eine E-Shop-Lösung.




Die Consumer-orientierten Services wie Hotmail, Money, Calendar oder Instant Messaging werden unter dem MSN.Net Label angeboten. Allerdings will Microsoft hier weg vom rein werbefinanzierten Modell und zusätzlich auch gebührenpflichtige Services anbieten. Die Basisfunktionen, wie etwa heute von Hotmail geboten, werden zwar kostenlos bleiben, Zusatzdienste wie "Hailstorm" oder weiterer Speicherplatz für Mails müssen dann aber berappt werden.



Noch weitgehend unklar ist der ASP-Fahrplan für die klassischen Desktop-Applikationen wie Office oder Money. Der Grund: Für Microsoft, die den Desktop-Markt mit Marktanteilen von um die 90 Prozent dominiert, ist der Wechsel auf das neue Modell eine höchst diffizile Angelegenheit. Einerseits möchten die Redmonder ihre Cash Cow Office noch möglichst lange melken, andererseits muss auch in diesem Bereich auf die Veränderungen des Marktes reagiert werden. Bekannt ist, dass Microsoft an einer komplett neuen .Net-Version von Office unter dem Codenamen Office.Net arbeitet. Über den Funktionsumfang der künftigen Suite ist wenig bekannt. Klar ist bloss, dass sie komplett auf dem .Net-Framework aufsetzt, sich automatisch aktualisieren lässt und auf allen Geräten ausführbar ist, die die .Net-Plattform unterstützen (z.B. Windows CE).




Fazit: Einleuchtend aber noch ein langer Weg

Grundsätzlich macht Microsofts .Net-Strategie durchaus Sinn. Der Trend zu ASPs, Web Services und neuartigen Mobilgeräten ist eine Herausforderung, auf die der Softwaregigant reagieren muss, wenn er seine dominierende Stellung auch künftig behalten will. Betrachtet man die .Net-Strategie etwas genauer, kommen denn aber noch einige Unklarheiten und Fragezeichen zu Tage:




Zeitplan: .Net ist vor allem noch Paperware. Obwohl Microsoft von einem Timeframe von 2002/2003 spricht, ist es alles andere als sicher, dass Microsoft alle .Net-Bausteine in einer ausgereiften Fassung bis zu diesem Zeitpunkt liefern kann. Ein Zeitrahmen von fünf Jahren ist wahrscheinlicher.





Multiplattform: Die Multiplattformfähigkeit von .Net ist ein hochgestecktes Ziel. Ob es Microsoft auf die Reihe kriegt, dass .Net-Applikationen so ohne weiteres auf allen möglichen Gerätetypen arbeiten, muss erst noch bewiesen werden. Ausserdem liegen bislang keine konkreten Ankündigungen, sondern bloss vage Absichtserklärungen vor, das .Net-Framework auf Nicht-Windows-Plattfromen wie Linux, MacOS oder PalmOS zu portieren.




Entwicklergemeinde: Mit .Net werden auch viele neue Konzepte eingeführt, die von den Entwicklern eine hohe Lernbereitschaft verlangen. Ein Knackpunkt für .Net wird es sein, die Unterstützung einer grossen Schar von Entwicklern - die in den letzten Jahren zunehmend auf Java- und Open-Source-Plattformen abgesprungen sind - zurückzugewinnen.




Security und Privacy: Web Services und ASP-Angebote, insbesondere "Hailstorm" und bCentral-Dienste, machen es nötig, dass Firmen und Benutzer persönliche Informationen sowie heikle Daten zentral auf den Microsoft-Services ablegen. Doch ausgerechnet die Redmonder haben in den letzten Jahren immer wieder mit Security-Pannen (z.B. bei Hotmail) für Schlagzeilen gesorgt. Das Unternehmen wird es nicht leicht haben, seine künftige .Net-Service-Kundschaft davon zu überzeugen, dass deren Daten auf den Microsoft-Servern sicher aufgehoben sind.




Antitrust: Microsoft wird mit Sicherheit versuchen, ihre .Net-Produkte und -Services ganz nach dem Vorbild Windows/Internet Explorer eng miteinander zu verzahnen, um so schneller in die neuen Märkte vordringen zu können. Abzusehen sind etwa die Integration zwischen Windows mit Passport oder Office mit "Hailstorm". Das bringt wiederum die Gefahr mit sich, in weitere Antitrust-Klagen zu laufen, die den .Net-Fahrplan empfindlich verzögern könnten.



Zum Schluss muss auch noch erwähnt werden, dass die Redmonder beim Aufgleisen ihrer neuen Strategie nicht im grossen Masse innovativ waren, sondern vielmehr eine ganze Reihe von Konzepten anderer Herstellern abgekupfert, mit eigenen Ideen angereichert und unter dem Dach .Net zusammengemixt haben. So erinnert beispielsweise der Plan, das .Net-Framework für unterschiedliche Plattformen anzubieten stark an Suns damalige "Write once, run everywhere"-Java-Strategie. Auch die Idee der Web Services wurde von Sun bereits in den Anfangszeiten von XML anno 1996 angedacht. Und das Verfahren, die User-Profile und Daten für das sogenannte "Pervasive Computing" zentral zu speichern, hat Novell bereits vor Jahren propagiert.



Der Erfolg von .Net hängt allerdings nicht davon ab, ob die Konzepte kopiert oder selber erfunden sind, sondern wie effizient sie vermarktet werden. Die Vergangenheit hat denn auch gezeigt, dass nicht der Erfindergeist Microsofts Stärke ist, sondern die Fähigkeit, die Ideen anderer zu verbessern und vor allem marktfähig zu machen. So gesehen steht .Net unter keinem schlechten Stern.



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