Pervasive Computing ist konfliktträchtig

Die St. Galler Stiftung Risiko-Dialog will die Debatte zu Chancen und Risiken des allgegenwärtigen Computing auch hierzulande in Gang bringen. Die Zeit drängt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/07

     

In einer vor kurzem veröffentlichten Studie kommen die Marktforscher von Cap Gemini zum Schluss, dass in Sachen RFID (Radio Frequency Identification) noch viel Informationsarbeit zu leisten ist. 55 Prozent der befragten europäischen Konsumenten äusserten «Bedenken» oder «höchste Bedenken» bezüglich der Funketiketten. Sie befürchten vor allem, dass Firmen die Technik für die Konstruktion des sogenannten gläsernen Kunden missbrauchen könnten. Cap-Gemini kommt aber auch zum Schluss, dass bloss 18 Prozent der Europäer überhaupt wissen, was RFID ist und wozu es genutzt werden kann. Zu einem tendenziell ähnlichen Ergebnis kam kürzlich ein von InfoWeek durchgeführter Quick Poll. Demnach haben 30 Prozent der Antwortenden, die doch immerhin ICT-Interessierte sind, noch nie etwas von RFID gehört. Dieser Befund bestärkt die Forderung von Cap Gemini, dass alle Beteiligten – Hersteller, Forscher und auch die Politik – ihre diesbezügliche Aufklärungs- und Informationsarbeit massiv ausbauen sollten.


Erste Hinweise auf Kontroverse

Zu diesem Schluss ist auch die St. Galler Stiftung Risiko-Dialog gekommen. Sie behandelt in ihrem jüngsten Bericht «Überall und unsichtbar» allerdings nicht nur RFID, sondern das viel breitere Thema «Pervasive Computing». Darunter fällt der gesamte Einsatz von Computertechnik in Alltagsgegenständen.





Vor dem Hintergrund der verfahrenen Mobilfunkstrahlen-Debatte geht die Stiftung davon aus, dass das Thema Pervasive Computing möglichst frühzeitig öffentlich diskutiert werden muss. Sie hat deshalb in einer Vorsondierung 30 Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Behörden sowie Konsumenten- und Umweltorganisationen zu einem dreitägigen Dialog über Chancen und Gefahren des allgegenwärtigen Computing eingeladen. Die Ergebnisse sind insofern von Bedeutung, als sie erste Hinweise geben, in welche Richtung sich die Kontroverse hierzulande entwickeln könnte. So waren beispielsweise die meisten Teilnehmer der Ansicht, dass Pervasive-Computing-Komponenten und -Lösungen als solche gekennzeichnet sein müssen.






Dies würde vor allem unter dem Aspekt der Wahlfreiheit Sinn machen. Gerade in diesem Punkt ist jedoch der Konflikt vorprogrammiert. Denn wie kann sich jemand solchen Anwendungen entziehen, wenn Computing buchstäblich allgegenwärtig ist? Nach Ansicht der Diskussionsteilnehmer sollte deshalb ein gesellschaftlicher Konsens darüber hergestellt werden, in welchen Bereichen individuelle Wahlfreiheit zu schützen, zu unterstützen oder dem Markt zu überlassen sei. Umstritten sind wie immer in solchen Fragen eventuelle staatliche Regulierungen.


Datenschutz und Ethikinstanz

Zentral ist in jedem Fall der Datenschutz. Hier reichen die heutigen Instrumente nicht aus, um mit der absehbaren Explosion des Pervasive Computing Schritt halten zu können. Diskutiert wurden an der Risiko-Dialog-Tagung deshalb auch diesbezügliche Änderungen. Wesentlicher Punkt: Im Datenschutzgesetz muss festgehalten sein, welche Datenprofile bedenklich respektive unbedenklich sind. Ausserdem sollen für die Entwicklung von RFID- und anderen Pervasive-Computing-Technologien verbindliche Spielregeln definiert werden. Zudem soll eine Ethikinstanz für eine öffentliche Diskussion über Chancen und Gefahren sorgen. Weitere heisse Themen, sind die Haftpflichtregelungen und die Strahlenproblematik. Schliesslich wurde auch rege über die Umweltaspekte bezüglich Produktion, Betrieb und Entsorgung von allgegenwärtigen Digitalkomponenten diskutiert.




Grundsätzlich kommt die Stiftung zum Schluss, dass sich die Debatte über Pervasive Computing – sofern sie überhaupt geführt wird – derzeit in der klassischen Konfliktlinie Unternehmen versus Nichtregierungsorganisationen (NGOs; Non-Government Organizations) bewegt. Das allgemeine Konfliktpotential wird laut Studie wachsen, wenn Unternehmen und Organisationen, welche die neuen Technologien entwickeln beziehungsweise anwenden, erst informieren, nachdem sie dazu aufgefordert worden sind. Gefragt sei deshalb eine «konstruktive Risikokommunikation», in der die potentiellen Konflikte frühzeitig erkannt, diskutiert und, wenn nicht gelöst, so doch abgeschwächt werden könnten, so die Empfehlung von Risiko-Dialog.





Diese sollten vor allem Unternehmen beherzigen, die den Einsatz von Pervasive Computing – Stichwort RFID – planen. Interessierte können die vollständige Studie kostenlos unter www.risiko-dialog.ch beziehen.



Pervasive Computing: Zahlreiche Techniken




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