HP: Fiorina weg – Strategie bleibt
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/04
Für die Öffentlichkeit kam der unfreiwillige Abgang der gegen aussen charismatischen Hewlett-Packard-Chefin Carleton «Carly» Fiorina am 9. Februar überraschend. Angebahnt hat er sich laut Insidern und Branchenkennern aber schon seit längerem. So will das Wirtschaftsmagazin «Business Week» in Erfahrung gebracht haben, dass der Druck des HP-Verwaltungsrats auf Fiorina gegen Ende 2004 so stark geworden war, dass sie aktiv nach Wegen suchte, wie sie ohne Gesichtsverlust zurücktreten könnte. Zu diesem Zweck traf sie sich offenbar mit anderen Top-CEOs zu vertraulichen Einzelgesprächen, darunter Cisco-Chef John Chambers und Intel-Präsident Paul Ottelini. Doch die Ratschläge, die sie Fiorina erteilten, kamen zu spät. Nach einem Disput mit dem Verwaltungsrat, in dessen Verlauf ihr unter anderem zu starke Macht- und Entscheidungsbündelung vorgeworfen wurde, war der Gesichtsverlust nicht mehr abzuwenden. Dieser nahm Dimensionen an, die für die ehrgeizige Fiorina desaströs gewesen sein müssen. So wird von regelrechten Champagner- und Tanzpartys berichtet, die HP-Mitarbeiter diverser Abteilungen veranstaltet haben sollen, nachdem sie von ihrem Abgang erfahren hatten.
Doch die Freude über die Entlassung der intern bei vielen unbeliebten Chefin – sie hat in ihrer fünfeinhalbjährigen Amtszeit zehntausende Stellen abgebaut – dürfte nicht lange angehalten haben. Denn alle HP-Leute wissen, dass die Situation des Traditionsunternehmens aus dem Silicon Valley kritisch ist. Dies um so mehr, als der Verwaltungsrat bis heute betont, dass an der von Fiorina geprägten Geschäftsstrategie nicht gerüttelt werden soll. Gleichzeitig wird bereits intensiv ein hochkarätiger Nachfolger gesucht. In der Gerüchteküche werden, wie in solchen Fällen üblich, schon erste Kandidaten herumgereicht, darunter MCI-CEO und Ex-Compaq-Boss Michael Capellas, IBM-Global-Services-Chef John Joyce, der ehemalige Sun-Präsident und heutige Motorola-CEO Edward Zander und diverse Dell-Manager. Es wird aber schwierig sein, einen Top-Shot zu verpflichten, wenn dieser sodann praktisch im Fiorina-Korsett agieren soll. Wahrscheinlich ist deshalb, dass der HP-Verwaltungsrat so lange von Strategieerhalt spricht, bis die CEO-Nachfolge geregelt ist – und dass sich dann entscheidet, wie es wirklich weitergeht.
An gut gemeinten Ratschlägen aus der Analysten- und IT-Szene herrscht diesbezüglich kein Mangel. Die Tips reichen von der Verselbständigung des gewinnträchtigen Druckergeschäfts über den Verkauf der verlustreichen PC-Sparte bis hin zur kompletten Zerschlagung des Konzerns in verschiedene Firmen. Tatsache ist, dass Fiorinas ehrgeizige Vision, HP in allen Sparten – Drucker, PCs, Massenspeicher und Server sowie Software und Services – als Nummer eins zu etablieren, grandios gescheitert ist. Vor allem die Services-Sparte ist im Vergleich zur Konkurrentin IBM in einem traurigen Zustand. Denn Fiorina hat es nicht geschafft, den Consulting-Arm von PriceWaterhouseCoopers zu übernehmen. Den schnappte sich daraufhin Big Blue. Auch die Speichersoftwarespezialistin Veritas, an der HP Interesse gezeigt hatte, wurde unlängst von Symantec übernommen.