ICT-Grundbildung: ein solides Fundament
Alfred Breu, Präsident und Leiter Geschäftsstelle der Zürcher Lehrmeistervereinigung Informatik ZLI sowie Mitglied der Kommission Bildung ICTswitzerland
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/06
Der Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Befürchtungen und Klagen über fehlenden Informatikernachwuchs nicht aus der Luft gegriffen sind: Aktuell belegen an der ETH Zürich 116 Studenten das Fach Informatik (Vorjahr 141). Dies entspricht dem Stand der 80er Jahre, als diese Studienrichtung erstmals angeboten wurde! Nicht viel besser steht die Uni Zürich mit ihren 65 Studierenden da (Vorjahr 93). Doch auch die zur Verfügung stehenden Lehrplätze gehen zurück. Deren Zahl ist im Vergleich zum effektiven Bedarf viel zu gering. Dabei wären allein pro Jahr rund 10 000 neue Nachwuchskräfte (5%) erforderlich, um den Informatik-Berufsstand von insgesamt gegen 200 000 Beschäftigten (vgl. Tabelle) in der ganzen Schweiz stabil zu halten. Die Betriebe müss(t)en deshalb die Ausbildung stärker vorantreiben, um für genügend Nachwuchs zu sorgen. Konkret: Jeder Betrieb sollte rund 10% seines Fachleutebestandes in Form von Ausbildungsplätzen zur Verfügung stellen – also 2.5% pro Ausbildungsjahr der 4jährigen Grundbildung.
Auch das Berufsfeld der Informatik blieb in den vergangenen Jahren nicht von den teilweise fundamentalen Veränderungen in der Wirtschaft (Effizienzsteigerung, Kostenbewusstsein und Qualitätsempfinden) verschont. Damit einher ging eine ebenso rasante technologische Entwicklung, die so manche in der Vergangenheit lukrative Informatiker-Aufgabe obsolet werden liess. Verbesserte Produkte führten zudem reihum dazu, dass traditionelle Tätigkeitsfelder verschwanden oder stark vereinfacht wurden (Stichworte: Hardware-Virtualisierung, Remote-Installation von Software etc.).
Im Gegenzug wurden – bislang oft triviale – Anwendungen zunehmend komplexer. Als Beispiel sei hier etwa auf moderne Corporate Websites und eBusiness-Portale hingewiesen, die heute überwiegend integrierte Applikationen darstellen und dabei unterschiedliche Geschäftsprozesse wie IM, PIM, CRM und ERP miteinander verbinden. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an involvierte Fachkräfte, die über Know-how unterschiedlichster Bereiche verfügen. Einzig konzeptionelles Wissen – und daraus abgeleitet, konkretes Können – führt nämlich zu funktionalen Lösungen. Wer ein Konzept versteht, kann in der Regel auch mit spezifischen Produkten oder mit einer bestimmten Technik (z.B. Programmieren in einer noch ungewohnten Sprache) umgehen.
Wer Informatik-Profi werden will, muss entweder eine solide Informatik-Lehre (Eidg. Fähigkeitszeugnis) oder aber ein Studium absolvieren. Die Zeit der ‚Informatik-Kürsli’ (SIZ, ECDL, Produkteangebote u.a.) als Ersatz für eine solide Grundbildung ist definitiv vorbei. Die Informatik-Lehre, die Informatikmittelschule oder der Weg über eine Privatschule haben sich bewährt. Das duale System stützt sich dabei sowohl auf einen theoretischen Schul- als auch auf einen Praxisteil. In angemessenen Schritten lernen Auszubildende neue Handgriffe, Techniken oder Arbeitsschritte; anschliessend setzen sie dies als Mitarbeitende im Tagesgeschäft direkt um. Ein vielfach bewährter Weg, um qualifizierte/r Fachfrau/mann zu werden.
Den klassischen Quereinsteiger dürfte es heute aus Sicht der gestiegenen Anforderungen der Wirtschaft nicht mehr geben. Eine solide Grundbildung in der Informatik ist deshalb auch für diese Gruppe eine zwingende Voraussetzung. Entsprechend gibt es heute Angebote am Markt, mit denen das Eidg. Fähigkeitszeugnis in verkürzten Lehrgängen (in 2 statt 4 Jahren), aber mit dem exakt gleichen Modulaufbau wie bei der Lehre, im dualen System erworben werden kann.
Beim Durchsehen von Hunderten von Inseraten fällt auf, wie viele Hochschulabsolventen gesucht werden. Es kann deshalb für eine nachhaltige Informatik-Karriere von Vorteil sein, wenn man sich diesem Bedürfnis entsprechend ausrichtet. Empfehlenswert ist, die Informatik-Grundbildung (Lehre, Informatikmittelschule, Privatschule) mit dem gleichzeitigen Besuch der Berufsmittelschule zu verbinden und mit der Berufsmaturität abzuschliessen. Mit diesem ‚Rucksack’ kann im Anschluss an die Grundbildung ein Informatik-Studium an einer Fachhochschule (Vollzeit oder berufsbegleitend) absolviert werden. Fachhochschulabgänger sind in der Wirtschaft sehr gefragt, da sie bereits über konkrete Praxiserfahrung verfügen.
Weitere bewährte Bildungswege sind der Besuch einer höheren Fachschule mit entsprechendem Abschluss oder die duale Bildung auf Stufe Berufsprüfung (Eidg. Fachausweis) oder Höhere Fachprüfung (Eidg. Diplom). Wir sind uns im Alltag gewohnt, mit Malermeistern, diplomierten Buchhaltern oder Treuhändern zusammenzuarbeiten. Interessanterweise fehlen diplomierte Informatiker aber weitgehend.
Selbst bewährte Praktiker bekunden heute Mühe beim Stellenwechsel: es fehlt ihnen der Qualifikationsnachweis einer neutralen Stelle über ihre Kenntnisse und Kompetenzen. Ein Ergänzungsprogramm für Fachleute mit einigen Jahren Erfahrung ist deshalb zur Zeit in Arbeit, dies mit dem Ziel, Praktikern – unter Anerkennung ihrer erworbenen Kompetenzen und im Anschluss an eine Ergänzungsschulung – ein Fähigkeitszeugnis, einen Fachausweis oder aber ein Diplom ausstellen zu können.