GPRS - die Brücke zu UMTS
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/03
Ohne zusätzliche Gebühren immer online zu sein, stabilere Verbindungen, einen schnelleren Verbindungsaufbau sowie höhere Übertragungsgeschwindigkeiten: All das verspricht Diax mit seinem GPRS-Angebot, das kurz vor Weihnachten 2000 aufgeschaltet wurde. Damit ist Diax trotz dem Fusionstrubel mit Sunrise die erste heimische Telekomgesellschaft, die GPRS kommerziell anbietet. Sowohl Orange wie auch Swisscom haben eine abwartende Haltung eingenommen, obwohl im Herbst versprochen wurde, noch im alten Jahr GPRS-Services anzubieten.
Laut Swisscom-Pressesprecher Christian Neuhaus liegt der Grund bei der Ex-Monopolistin darin, dass im Moment noch zu wenig Geräte auf dem Markt sind. Software und Infrastruktur stehen aber, und sobald mehr Geräte verfügbar sind, sei man bereit, so Neuhaus weiter.
Orange, Dritte im mobilen Bunde, gibt sich vorsichtig mit Prognosen, wann ihre GPRS-Lösung kommen wird. Orange-Pressesprecherin Therese Wenger lässt sich aber entlocken, dass der Service voraussichtlich noch in diesem Quartal aufgeschaltet werde. Wenger will aber festgehalten haben, dass die Infrastruktur bereitstehe, man warte nur noch auf entsprechende Geräte der etablierten Hersteller - Swisscom lässt grüssen. Man fühle sich bei Orange dank dem HSCSD-Angebot Fast Data nicht sonderlich unter Druck.
Zumindest erwarten die Telekomunternehmen für einmal keine Einsprachen betreffend Antennenwald, Strahlungsemissionen und Elektrosmog. Alle drei Unternehmen geben übereinstimmend Auskunft, dass für GPRS nur marginale Hardware-Anpassungen vonnöten sind. Es handle sich in erster Linie um ein Software-update.
Tatsächlich sieht die Situation der verfügbaren Handys düster aus: Zum jetzigen Zeitpunkt hat der Kunde wenigstens nicht die Qual der Wahl. Bisher hat nur Motorola mit dem Timeport 260 ein GPRS-fähiges Handy auf dem Markt.
Eine Anfrage bei Ericsson hat ergeben, dass das erste GPRS-fähige Gerät, das R520, am Anfang des zweiten Quartals erscheinen wird. Eigentlich hätten die Geräte schon früher lanciert werden sollen, jedoch wurde man von Softwareproblemen geplagt. Ausserdem wurde der Zeitpunkt der Lancierung in der Schweiz mit der Swisscom so abgesprochen. Es ist also zu erwarten, dass das Swisscom-Angebot im April verfügbar sein wird. Beide Unternehmen sagen übereinstimmend aus, dass es nichts bringt, Geräte beziehungsweise Services auf den Markt zu werfen, wenn das Gegenstück noch nicht erhältlich ist. Diax und das Motorola-Handy werden bei dieser Argumentation aber ausser acht gelassen. Von Ericsson dürfen jedoch in diesem Jahr noch eine ganze Reihe GPRS-Handys erwartet werden. Unter Umständen könnten sogar andere Produkte wie PC-Cards folgen, konkrete Pläne gebe es aber nicht, wie eine InfoWeek-Anfrage weiter ergeben hat.
Sogar noch länger dauert die Lancierung des ersten Nokia-GPRS-Handys. Die User werden sich noch bis zum Sommer gedulden müssen, um sich mit einem Nokia-Handy ins GPRS-Netz einzuwählen. Als Gründe für den späten Launch gibt Barbara Fürchtegott, Communications Manager Österreich und Schweiz, an, dass man zu diesem Zeitpunkt über ein marktreifes Gerät verfügt, das auch in genügend grossen Stückzahlen erhältlich ist. "Ausserdem glauben wir, dass vor dem Sommer die Nachfrage nach GPRS-Handys nicht gross genug sein wird."
Im Moment stehen also Diax und Motorola noch allein auf weiter Flur. Gelegenheit, das Diax-Angebot etwas näher zu beleuchten.
Bei GPRS wird nicht die Dauer der Verbindung verrechnet, da man ohnehin immer online ist. Als Berechnungsgrundlage dient vielmehr die Menge der übermittelten Daten, die in 1-KB-Schritten erfolgt. Für Diax-Prepaid-Kunden kostet das Megabyte 12, für Abonnenten 7.50 Franken. Dabei spielt es keine Rolle, ob man nur WAP-Services nutzt oder über das Handy im Internet surft. Ausser dass Surfen im Internet ganz schön teuer zu stehen kommen kann. Sind die Datenmengen bei WAP noch relativ gering, lädt man sich bei einer Surftour schnell einmal mehrere Megabyte Daten auf sein Handy, und GPRS kann zum teuren Spass ausarten. Wird über ein GPRS-Handy lediglich telefoniert, gelten die gängigen GSM-Tarife.
GPRS besitzt seit geraumer Zeit den Ruf als Brückentechnologie zwischen dem etablierten GSM-Netz und dem nächsten wahren Technologiesprung UMTS. Aus diesem Grund sind auch Zweifel über den Erfolg der Technologie laut geworden. Auf diesen Punkt angesprochen, reagieren aber sowohl die Telekomunternehmen wie auch die Handy-Hersteller mit grossem Optimismus.
Markus Gretler, zuständig für Product Management und Customer Services im Bereich Consumer Products bei Ericsson, schätzt die Chancen von GPRS wie folgt ein: "Der Erfolg hängt von der Akzeptanz bei den Konsumenten ab. Entscheidend wird sein, wie die Service Provider ihre Angebote gestalten und positionieren. Ein wichtiger Aspekt bei GPRS ist, dass man den User an den Gedanken gewöhnen muss, immer online zu sein. So kann er sich zum Beispiel ständig über die neuesten Börsenkurse auf dem laufenden halten." Schnellere Datenübertragung könne dem Kunden leicht verständlich gemacht werden, aber der Always-Online-Gedanke müsse zuerst verankert werden.
Swisscom-Sprecher Neuhaus ist der Ansicht, dass der Erfolg unter anderem von den Services und den erhältlichen Applikationen abhängt. Wenn die Killerapplikation gefunden werde, gebe es am GPRS-Erfolg keinen Zweifel. Neuhaus zieht hier den Vergleich zu SMS-Nachrichten auf dem GSM-Netz.
Bei Orange glaubt man ebenfalls an den Durchbruch, obwohl man mit dem HSCSD-Angebot einen Service mit ähnlich schnellen Datendurchsätzen besitzt. Die User würden darauf drängen, endlich mehr Bandbreite zur Verfügung zu haben. Das Argument Brückentechnologie wird von Orange-Sprecherin Therese Wenger mit der Begründung zurückgewiesen, dass es immerhin noch drei Jahre dauern wird, bis 50 Prozent der Schweiz mit UMTS abgedeckt sein müssen. Wenger sieht das Haupteinsatzgebiet vor allem im mobilen Internetzugang.
Orange wie auch Swisscom bieten neben ihrem GPRS-Angebot - wenn es denn kommt - auch HSCSD an. HSCSD steht für High Speed Circuit Switched Data und kann über das konventionelle GSM-Netz betrieben werden. Mittels verbesserter Fehlerkorrektur pro Kanal und vier gebündelten Kanälen resultiert eine Bandbreite von maximal 57,6 kbps. Der Nachteil der Technologie liegt aber darin, dass relativ viel Netzkapazität benötigt wird, da ein Benutzer während der gesamten Dauer der Verbindung vier Kanäle belegt.
Swisscom wird ihre beiden Angebote klar trennen: GPRS richtet sich in erster Linie an private User, während man mit dem HSCSD-Produkt Natel OfficeLink explizit Firmen anspricht.
Orange hingegen wird seine Produkte nicht in entsprechende Kategorien klassifizieren. Laut Wenger müsse sich der User seine Bedürfnisse vor Augen führen und dann entscheiden. HSCSD eigne sich in erster Linie für Anwender, die den schnellen Datendurchsatz nur sporadisch nutzen werden.
Der nächste logische Schritt nach GPRS wäre eigentlich EDGE (Enhanced Data for GSM Evolution). EDGE würde für die Datenübertragung nach wie vor das GSM-Netz nutzen. Dank einem leistungsfähigen Modulationsverfahren wären mit der Technologie Bandbreiten von bis zu 473 kbps möglich.
Im Vorfeld der UMTS-Versteigerung haben die Telekomunternehmen ihre Unterstützung von EDGE vom Verlauf der Auktion abhängig gemacht. Da nun alle drei Schweizer Anbieter von mobilen Telefondiensten eine Lizenz zum Schnäppchenpreis ergattern konnten, macht der Aufbau einer verhältnismässig aufwendigen EDGE-Infrastruktur wenig Sinn. Ausserdem müssten sich die User einmal mehr neue Geräte zulegen. Das einzig denkbare Szenario für EDGE wäre gewesen, wenn einer der drei einheimischen GSM-Netzbetreiber nicht in den Besitz einer UMTS-Lizenz gekommen wäre.
Diax schliesst aus diesem Grund den Aufbau einer EDGE-Infrastruktur von vornherein kategorisch aus. Man konzentriere sich auf UMTS als nächsten Schritt. Ausserdem sei GPRS - sofern die Telekoms in den anderen Ländern die Netze bereitstellen - international kompatibel, im Gegensatz zu EDGE.
Bei Orange ist noch keine Entscheidung gefallen. "Wir werden aber vermutlich auf EDGE verzichten", verkündet Therese Wenger.
Auch bei der Swisscom beschäftigt man sich noch mit der Entscheidungsfindung. Beschlossen sei noch gar nichts, die Antwort tendiere aber eher auf Nein, gab man bei der Ex-Monopolistin Auskunft.
Es scheint also, dass zwischen GPRS und UMTS kein weiterer Technologieschritt genommen wird. Die wahre Revolution wird also erst mit UMTS beginnen. Versprochen werden Übertragungsraten von bis zu 2 Mbps im stationären und 384 kbps im mobilen Betrieb. Die Gerätehersteller übertreffen sich bereits jetzt mit Ankündigungen und Prototypen von entsprechenden, futuristischen Geräten. Live-Videostreaming und andere Multimedia-Anwendungen sind nur zwei der vielen Möglichkeiten, die dem User mit der bahnbrechenden Technologie offen stehen sollen.
Bis es aber soweit ist, sind noch einige Hürden zu nehmen. UMTS benötigt eine komplett neue Infrastruktur mit neuen Antennen. Proteste aus der Bevölkerung werden nicht abzuwenden sein. Ausserdem kommen gewaltige Investitionen auf die Netzbetreiber zu. Die Swisscom rechnet allein für die Ballungszentren mit einer Milliarde Franken. Ausserdem werden noch Jahre verstreichen, bis eine ähnlich grosse Abdeckung erreicht ist, wie man sie heute vom GSM-Netz kennt. Die Konzessionsauflagen des Bundes sehen vor, dass bis im Jahre 2004 in der Schweiz eine Flächenabdeckung von 50 Prozent sichergestellt werden muss. Ausserdem werden die multimedialen Fähigkeiten oftmals in Frage gestellt.
Die Chancen, dass GPRS als Bindeglied zwischen der zweiten und dritten Generation Mobilkommunikation Erfolg haben und nicht als Nischenprodukt für Handy-Freaks abgestempelt wird, können nach einem Blick auf die Tatsachen als recht gut eingestuft werden. Bis Jahresmitte wird man Übertragungsraten im Bereich von HSCSD erreichen, ohne dabei vier Kanäle dauernd zu belegen, die Entwicklung weiterer Geräte befindet sich auf der Zielgeraden, und sobald alle Telekoms ein Angebot aufgeschaltet haben, werden sie sich auch gegenseitig im Pricing drücken.
Vor der Zukunft hingegen muss GPRS momentan keine grosse Angst haben. Dass EDGE von den hiesigen Unternehmen ausgelassen wird, ist mehr als wahrscheinlich. Somit wird GPRS von UMTS ersetzt werden. Bis zu einer vollständigen Ablösung muss jedoch zuerst das UMTS-Netz ähnlich dicht sein wie das bestehende GSM- bzw. GPRS-Netz, und bis es soweit ist - wenn überhaupt -, werden noch Jahre ins Land ziehen. Ansonsten wird das GPRS-Handy, und sei es nur für abgelegenere Regionen, noch lange seine Daseinsberechtigung haben.
Wahre Konkurrenz droht nur aus der Vergangenheit, die noch immer Gegenwart ist und GSM heisst. Es gilt, die Kunden weg von ihren GSM-Handys auf GPRS-Geräte zu locken. Der einfachste Weg dazu wäre mit Sicherheit die Killerapplikation, von der Christian Neuhaus spricht und vielleicht jeder User träumt. Dies kann eine Multimedia-Spielerei vergleichbar mit SMS, ein Boom beim M-Commerce oder die Aktualität der Always-Online-Technologie sein. Potential wäre vorhanden und Möglichkeiten gäbe es viele. Wie die ultimative Applikation - wird es sie denn geben - aussehen könnte, muss sich erst noch zeigen. Der Ball liegt bei den Telekomunternehmen, den Handy-Herstellern und nicht zuletzt den Applikations-Entwicklern.