Swisscom bremst ADSL-Boom
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/02
Der ADSL-Schnellzug ist ins Stocken geraten, die Swisscom wurde vom Erfolg des eigenen Produkts überrollt. Während den ersten 11 Monaten des vergangenen Jahres konnte man noch davon ausgehen, dass ein ADSL-Anschluss ein bis zwei Wochen nach Bestellungseingang aufgeschaltet war. Seit Dezember aber wartet man gut und gerne zwei Monate oder sogar noch länger auf seinen breitbandigen Internetzugang. Schuld daran ist die Swisscom. Der Verwalter der ADSL-Anschlüsse kämpft derzeit mit einem sogenannten Port-Shortage, einem Mangel an freien ADSL-Anschlüssen in den Swisscom-Zentralen.
Der Telekomriese macht unter anderem den Bestellansturm, ausgelöst auch durch massive Werbe- und Aktionskampagnen der Provider, für die Engpässe verantwortlich. Die hochgesteckten Ziele seien deutlich übertroffen worden und die starke Nachfrage führe nun zu Lieferverzögerungen seitens der Technologiepartner und Lieferanten der Infrastruktur. Dies ist insofern falsch, als dass die Swisscom während des vergangenen Jahres die ADSL-Ziele laufend nach oben geschraubt und zuletzt auf rund 200'000 Abonnenten bis Ende 2002 beziffert hat. Der 200'000ste Abonnent hat just im Dezember seinen ADSL-Vertrag unterschrieben.
Der Schub war also abzusehen, die Ziele waren klar. Vielmehr hegt sich der Verdacht, dass die Swisscom-Strategen zwar die Ziele definierten, den nötigen Ausbau der Zentralen dabei aber vergassen oder zumindest nicht sauber planten. "Die Swisscom hat schlicht zuwenig Hardware bestellt", ist Green.ch-CEO Guido Honegger überzeugt.
Swisscom-Sprecher Christian Neuhaus schiebt an diesem Punkt den schwarzen Peter an die Lieferanten und deren Engpässe, die europaweit zu spüren seien.
Swisscom-Ausrüster Alcatel gibt zu, dass man den Bedarf unterschätzt hat. "Hätten wir früher gewusst, welcher weltweite Boom uns erwartet, hätte man die jetzige Situation sicher abfedern können. Wir liefern aber, was man bei uns bestellt, sofern dies möglich ist. Wahrscheinlich wurden die ADSL-Bestellprognosen im Vorfeld von allen ein bisschen zu vorsichtig angesetzt", so Alcatel-Sprecher Alexander Etter.
Der schwarze Peter bleibt aber bei den ADSL-Providern hängen. Sie müssen gegenüber ihren Kunden die Lieferverzögerungen rechtfertigen. "Es wird langsam dramatisch", beklagt sich Honegger. "Rund 50 Prozent der Neubestellungen können derzeit nicht ausgeliefert werden." Bei 1200 bis 1500 Neukunden pro Monat ist der Umsatzausfall dabei nicht zu unterschätzen. Aber auch sonst wird die Green.ch-Planung über den Haufen geworfen "Wir hatten für Ende Januar eine KMU-Kampagne geplant. In der jetzigen Situation macht diese natürlich keinen Sinn. Eine Entspannung sehe ich frühestens im März", so Honegger weiter. Auch Bluewin musste den Entscheid fällen, eine geplante ADSL-Kampagne um einen Monat zu verschieben.
Sunrise schreibt in einer offiziellen Mitteilung, dass der Engpass bei der Swisscom nach eigenen Einschätzungen sogar bis im April andauern wird.
Die Wartefristen bestehen unabhängig vom ADSL-Anschluss oder Provider. Kunden, die einen der schellen Business-Zugänge mit 1 oder 2 Mbps wollen, werden also nicht prioritär behandelt, da ohnehin keine Ports frei sind. "Dies ist bedauerlich, denn genau hier hätte die Swisscom den Mehrwert, den man den Business-Kunden bieten will, unter Beweis stellen können", findet Cybernet-CEO René Waser. Er empfiehlt Kunden, die im Moment einen ADSL-Anschluss wollen, diesen so schnell wie möglich zu bestellen, aber die alte Verbindung für mindestens zwei Monate nicht zu künden. Im weiteren betont Waser, dass "bei einem Standortwechsel, bei dem der neue Anschluss an einer anderen Telefonzentrale angeschlossen wird, zu beachten ist, dass der Port abgegeben und wieder neu bestellt werden muss. Somit muss man für einen Port wieder hinten in der Schlange anstehen, obwohl man einen laufenden Vertrag hat."
Eine andere Alternative hat Tiscali - derzeit mit gut 500 neuen ADSL-Kunden pro Monat - in petto. "Wir bieten Kunden, die dringend auf einen schnellen Zugang anwiesen sind, interimistisch Tiscali Sat an. Wir haben dazu Test-Accounts, die wir zur Verfügung stellen würden. Auch die Installationskosten der Satellitenschüssel übernehmen wir für die Übergangsphase", macht Tiscali-CEO Oswald Ortiz Hoffnung. Mit einem Tiscali-Internetzugang über Satellit sind immerhin maximale Down- und Upload-Geschwindigkeiten von 400 beziehungsweise 130 kbps möglich. Dies ist zwar nicht ADSL-Business-Niveau, aber trotzdem wesentlich schneller als ein ISDN-Anschluss. Die monatliche Gebühr mit einer Flatrate beträgt für einen Rechner 139 Franken.
Alles andere als unglücklich über die Swisscom-Engpässe ist man bei Cablecom. "Wir haben vom dritten ins vierte Quartal 2002 ein starkes Anziehen von 117'000 auf 136'000 Hispeed-Anschlüsse verzeichnet. Wie viele davon auf die ADSL-Lieferschwierigkeiten zurückzuführen sind, ist schwierig einzuschätzen", so Stefan Hackh, Mediensprecher Cablecom. Bei den ADSL-Providern weiss man zwar von vereinzelten Kunden, die aufgrund der Wartezeiten auf einen Kabelanschluss ausgewichen sind. Es sei aber erstaunlich, wie wenige zur Cablecom abgewandert sind, zeigen sich sowohl Waser wie auch Honegger und Ortiz erleichtert.
Die Swisscom spricht bereits von einer Entspannung der Situation. In den nächsten Wochen sollen die Bestellungen wieder so schnell wie gehabt verarbeitet werden können. Diese optimistische Prognose ist mit Vorsicht zu geniessen. Die Swisscom spricht beispielsweise auch nur von wenigen Einzelfällen, in denen Kunden mehrere Wochen oder gar Monate auf einen Anschluss warten mussten oder müssen. Die Stimmen der Provider sprechen hier aber eine andere Sprache.
Beim Wechsel auf ADSL bisherigen Internetzugang noch für mindestens 2 Monate behalten.
Beim Wechseln der Bandbreiten können unter Umständen kurze Unterbrüche auftauchen.
Vorsicht bei Wohnort- oder Bürowechsel. Muss ADSL an eine andere Telefonzentrale angeschlossen werden, muss man trotz Vertrag wieder auf einen Port warten.
Alternative suchen. z.B. Kabelmodemanschluss oder Tiscali Sat.
Temporäres Ausweichen auf Anbieter, der gebündeltes ISDN im Portfolio hat.
Wer bei Bluewin die Business-ADSL-Angebote sucht, welche die Swisscom im Dezember lanciert hat, wird derzeit noch nicht fündig. An der iEX will der Providerriese die Angebote nun lancieren. Die Preise werden voraussichtlich im Mittelfeld liegen, so Bluewin-Sprecherin Deborah Bucher. Der Grund für die Verspätung gegenüber anderen Providern liege darin, dass bei einem Providerriesen wie Bluewin kompliziertere Prozesse mit mehr involvierten Leuten in Gang gesetzt werden mussten als bei kleineren ISPs. Dass Bluewin durch seine Grösse träge geworden sein, verneint Bucher aber vehement.