Das Geheimnis hinter Netzwerken
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/04
Weshalb ist ein Produkt erfolgreich, ein anderes, gleichwertiges, hingegen nicht? Eine Qualitätsfrage? Oder eine Frage des Marketings? Vielleicht, aber nicht zwingend. Warum sprechen meine Mitarbeiter auf meine neuen Ideen nicht an? Kann ich zu wenig überzeugen? Zu wenig motivieren? Vielleicht, aber nicht zwingend. Nicht selten kommen hochwertige Produkte und innovative Ideen einfach deshalb nicht an, weil sie nicht wahrgenommen oder nicht richtig gehört werden. Genauso kann ein – salopp gesagt – völliger Blödsinn eine Eigendynamik entwickeln und zur Verblüffung aller zum Renner werden – und keiner versteht wieso. Man denke nur an Handy-Ringtones und -Bildchen oder ans Tamagotchi. Das Geheimnis liegt im Netzwerk – liegt darin, wie eine Gruppe oder ein Team und letztlich unser gesamtes soziales Gefüge funktioniert. Die Erforschung dessen, wie solche Netzwerke wirken, haben sich Wissenschaftler und jüngst auch die ETH Zürich auf die Fahne geschrieben.
Netzwerk-Phänomene wurden erstmals in den späten zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts vom ungarischen Dichter Frigyes Karinthy erwähnt und rund 30 Jahre später durch Ithiel de Sola Pool und den IBM-Mathematiker Manfred Kochen zu einem Forschungs-Gegenstand. Seit damals kennt man diese Theorien unter der Bezeichnung «Small World Problem» – unter Anlehnung an die kleine Welt der Cocktail-Partys, ein Klassiker zum Knüpfen von Netzwerken. Weshalb die Faszination für dieses Phänomen? Kann das Small-World-Problem unsere Politik beeinflussen? Unsere Wirtschaft? Unser tägliches Leben?
1967 führte der Sozialpsychologe Stanley Milgram ein aufsehenerregendes – wenn auch später umstrittenes, weil wissenschaftlich nicht solides – Experiment basierend auf Pools und Kochens Arbeit durch, um das Phänomen zu untermauern. Er wählte ein Ziel – eine Person – in Boston sowie 300 Absender in der Region von Boston und von Omaha aus. Er übergab den Absendern ein Paket sowie genaue Informationen über die Zielperson. Zudem bat er sie, das Paket einem Bekannten zu senden, von dem sie denken, er könnte der Zielperson näherstehen. Von den 300 Paketen erreichten 64 ihr Ziel – im Schnitt über sechs Stationen.
In den folgenden 30 Jahren wurde kaum mehr in diesem Bereich geforscht.
Der New Yorker Soziologe Duncan Watts, Professor an der Columbia University, gibt als Grund für die eingefrorenen Forschungstätigkeiten den enormen Aufwand an, mit dem die Daten von Hand gesammelt werden mussten. Im modernen IT-Zeitalter nun sieht die Situation anders aus. Watts machte sich mit Forscherkollegen erneut an ein Experiment: Via E-Mail startete er einen ungleich grösserenVersuch als derjenige von Milgram, zudem veränderte Watts die Fragestellung: Nicht «Wie klein ist unsere Welt» sei das Rätsel, sondern «Was bräuchte es, um jede beliebige Welt klein zu machen?» Die Antwort: Einzig eine gewisse Ordnung sowie einen kleinen Anteil Zufälligkeit. Der Schluss, der daraus gezogen wurde: Small-World-Netzwerke müssen überall sein – nicht nur zwischen Menschen, auch in der Technologie, in der Biologie und allen anderen Bereichen.
Der Nutzen, der sich aus diesen Erkenntnissen ergibt, ist nicht so unwesentlich, wie er auf den ersten Blick scheinen mag – auch wenn selbst Watts fragt: «Who cares?»
Und er nennt das Beispiel der Entscheidungsfindung: Eigentlich könne man davon ausgehen, der Mensch entscheide gemäss der Funktionsweise der Mikro-Ökonomie selbstständig. In der Regel aber sind wir dazu gar nicht fähig, aus verschiedenen Gründen: Wir müssen uns anpassen, haben nicht genügend Informationen beziehungsweise unsere Mitmenschen haben mehr Informationen, wir wollen innerhalb unseres sozialen Umfeldes nicht schlecht dastehen, wir stehen unter sozialen Zwängen, gemacht von unserem Umfeld, unserem Netzwerk. «Wir nehmen keine Rücksicht auf das, was der Rest der Welt macht, sondern auf das, was unser direktes Umfeld macht», so Watts. «Unsere Entscheidungen sind vernetzt, das Stichwort lautet soziale Entscheidungsfindung.»
Und er führt weitere Beispiele für die Faszination des Small-World-Problems auf. «Kleine Dinge können grosse Folgen haben. Nehmen Sie die Börse. Aus Bubbles – kleinen Unsicherheiten am Markt – resultieren mehr Bubbles, und irgendwann führen sie zu einem Börsencrash.» Oder, als weiteres und aus wirtschaftlicher Sicht mitunter interessantestes Exempel, Produkte. Was macht ein Produkt erfolgreich? Lässt sich der Erfolg eines Produktes voraussagen, gerade im Lifestyle-Bereich, bei Literatur oder bei Musik? Kaum – denn letztlich ist nicht zwingend die Qualität oder der Innovationsgrad eines Produktes für dessen Erfolg verantwortlich. Vielmehr ist der Erfolg die Konsequenz einer Kettenreaktion. Im Trend zu sein bedeutet zu verwenden, was Bezugspersonen ebenfalls verwenden. Wir leben in einem vernetzten Zeitalter. «Was dank Mund-zu-Mund-Propaganda Erfolg hat, ist aber enorm schwierig zu prognostizieren.» Noch – denn die Funktionsweise von Netzwerken ist praktisch nicht erforscht. Doch wie sagt Duncan Watts: «Wer weiss, in 100 Jahren könnte die Analyse des Small World Problems eines der wichtigsten Forschungsgebiete überhaupt sein.»
Professor Duncan Watts hat Mitte Januar das Wirken des Small-World-Phänomens an der ETH Zürich vorgestellt. Dies geschah im Rahmen der Lancierung von Taicon, einer transatlantischen Forschungsinitiative zu komplexen Netzwerken. Taicon wurde angestossen von David Lazer, Politologie-Professor in Harvard, und Lars-Erik Cederman, ETH-Professor für internationale Konfliktforschung. Auf der Taicon-Plattform sollen Komplexitätsforscher, Netzwerkspezialisten sowie Sozial- und Naturwissenschaftler zusammenkommen. Gemeinsam will man mit Computermodellen die komplexen Systeme der sozialen Cluster modellieren. Von der Erforschung sozialer Netzwerke erhofft man sich nicht nur Licht ins Dunkel von Konfliktmechanismen ganzer Regionen. Man glaubt auch erklären zu können, wie beispielsweise Verkehrssysteme oder Märkte funktionieren. www.icr.ethz.ch/taicon.
(mw)