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OOXML-Knatsch in der Schweiz

Die Schweizer Abstimmung darüber, ob Microsofts Office Open XML als Standard empfohlen werden soll, stellt sich als Farce heraus.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/15

     

Bis zum vergangenen Samstag hatten die Normenverbände der involvierten Länder Zeit, ihre Empfehlung abzugeben, ob Microsofts Dokumentenformat Office Open XML (OOXML) in einem beschleunigten Verfahren der ISO vorgelegt werden sollte. Bei den jeweiligen Abstimmungen aber kamen Ungereimtheiten zu Tage, die rund um den Globus für heftige Diskussionen sorgen. Aus Schweden wurde etwa bekannt, dass in den letzten Minuten der Abstimmung 23 Firmen, darunter viele Microsoft-Partner, auf den Plan getreten seien. Sie hätten eine klare Mehrheit für die Aufnahme von OOXML durchgesetzt, nachdem diese eigentlich abgelehnt worden wäre. Und auch aus Deutschland wurden Klagen laut, das Verfahren sei intransparent abgelaufen. Nicht viel besser scheint es aber auch in der Schweiz auszusehen, wie in unzähligen Blogs nachzulesen ist.


Kommentare abgelehnt

InfoWeek wurde von Joachim Jakobs aus dem Media-Relations-Team der FSFE (Free Software Foundation Europe) auf Ungereimtheiten im Standardisierungsprozess hierzulande aufmerksam gemacht. Und tatsächlich scheint das Vorgehen mehr als fragwürdig, wenn man sich die Ausführungen von Theo Schmidt, Präsident von Wilhelm Tux, anhört. So wird Hans-Rudolf Thomann – Vorsitzender des Unterkomitees, das sich mit der Standardisierung befasst – als enthusiastischer Anhänger von Microsoft bezeichnet. «Die Unparteilichkeit bei Herrn Thomann ist nicht gewährleistet», so Schmidt. Dies habe dazu geführt, dass über wesentliche Kommentare zu OOXML gar nicht abgestimmt wurde.




Schmidt: «Der Vorsitzende hat ziemliche formelle Macht, die Sitzung zu leiten und vor allem über Punkte diskutieren zu lassen, die ihm genehm sind. So ist es passiert, das zwar über die harmloseren Punkte konstruktiv diskutiert wurde, die wesentlichen Kommentare aber ohne Abstimmung abgelehnt wurden.» Konkret nennt Schmidt etwa die Tatsache, dass OOXML zwar Unterstützung für alte Microsoft-Office-Formate berücksichtigt, für das OpenDocument Format (ODF) – immerhin bereits ein ISO-Standard – jedoch nicht. «Dieser Punkt wurde nach anfänglicher Diskussion einfach beiseite gewischt, genauso wie unsere Bedenken betreffend Patentfragen, und dass der vorgeschlagene Standard dazu dient, den Produkten von Microsoft einen Marktvorteil zu verschaffen.»


Technische Entscheidung

Hans-Rudolf Thomann, der gegenüber InfoWeek zum ersten Mal Stellung zu den teils happigen Anklagen nimmt, versteht zwar die Vorwürfe. «Berechtigt sind sie aber nicht», stellt der Vorsitzende des Unterkomitees fest. «Bei der Frage, ob und wie OOXML ein ISO-Standard werden soll, geht es um eine technische, nicht um eine politische Entscheidung. Doch allein die Tatsache, dass Microsoft involviert ist, provoziert aufgrund der Marktmacht und der Geschichte von Microsoft einen Widerstand, der zwar verständlich ist, aber mit technischen Fragen nichts zu tun hat.»





Den Vorwurf, zu Microsoft-freundlich eingestellt und somit fehl am Platz für den Vorsitz zu sein, kann Thomann nicht einfach so stehen lassen. «Ich glaube, ich bin der richtige Mann für diese Position. Ich behaupte gar nicht, neutral zu sein. Das ist in dieser Diskussion niemand. Doch ich darf von mir behaupten, dass ich gerecht bin. Das kann ich bei Bedarf auch belegen.»
Und der Vorwurf, bei unangenehmen Fragen Sitzungen abgewürgt zu haben? Hier holt Thomann aus: «Es gibt klare Direktiven, wie Kommentare abgefasst sein müssen, um bei der ISO eingereicht werden zu können. So müssen sie durch die ISO/IEC-Direktiven gerechtfertigt und dürfen nicht politisch gefärbt sein.» Trotzdem hätte es genau solche Kommentare zuhauf gegeben. Diese hätten laut Thomann eigentlich von Anfang an abgelehnt werden können.




«Trotzdem habe ich viele dieser Kommentare – wenn auch nicht alle – zur Diskussion zugelassen und hier Spielraum gegeben.» Dies darum, weil er diese Anliegen verstehen könne und hoffte, dass die Kritiker einsehen, dass die ISO keine Arena für politische Fragen ist. Leider sei dies nicht geschehen. Und ja, er habe die Grundsatzdiskussion über den allerersten Kommentar nach zwei Stunden abgeklemmt, weil immer wieder dieselben Argumente kamen und es schlicht nichts mehr brachte und noch zahlreiche weitere Kommentare vorlagen. «Doch die technischen Kommentare wurden alle diskutiert, im Sinne aller Mitglieder. So haben wir einige gute Inputs aus der Schweiz für die ISO.»


Wettrüsten beider Lager

Doch nicht zuletzt war auch in der Schweiz ähnliches zu beobachten wie in Schweden. Der Anteil der Microsoft-Vertreter im Komitee nahm auf die Abstimmung hin zu. «Zu Beginn der Diskussionen war der Anteil der OOXML-Befürworter und der Gegner im Komitee in etwa ausgeglichen», berichtet Schmidt. «In jüngster Zeit kamen aber immer mehr Mitglieder zum Komitee hinzu – viele davon Microsoft-Partner. Normalerweise besteht so ein Komitee in etwa aus 5 bis 10 Vertretern, in diesem Fall sind es weit über 50.» Bestritten wird dies von Thomann nicht. Doch das «Wettrüsten» habe auf beiden Seiten stattgefunden. «Die FFII (Foundation for a Free Information Infrastructure) hat sogar einen Preis von 2500 Euro ausgeschrieben.» Diesen Betrag soll das Team erhalten, das am Besten gegen die Lobbyarbeit von Microsoft für den OOXML-Standard vorgeht.


So verkommt das Votum zur Farce, wie Schmidt enttäuscht bestätigt. «Die Abstimmung darüber, ob OOXML der ISO als Standard vorgeschlagen wird, ist ja eigentlich kein demokratischer Prozess. Letztlich geht es darum, welche Interessengruppe mehr Vertreter ins Komitee reinkriegt.» Ob aber OOMXL letztlich ein Standard wird, wird ohnehin an anderer Stelle, nämlich bei der ISO, entschieden.


«Das wird ein übles Nachspiel haben!»

Die Abstimmung über die Schweizer Empfehlung von OOXML als ISO-Standard dürfte noch ein Nachspiel haben. Vergangene Woche hiess es, die Abstimmung finde am Samstag, 1. September, statt. Thomann verriet InfoWeek jedoch vor diesem Stichtag, dass die Abstimmung bereits am Montag davor stattfand. «Alle 57 Mitglieder, die auf der offiziellen Mitgliederliste des Komitees publiziert sind, haben gestimmt. Dabei wurden 43 Ja- und 14 Nein-Stimmen gezählt.» Dies bedeutet, dass dank einer Mehrheit von mehr als 75 Prozent der Standard mit dem Status «Approved with Comments» an die ISO weitergereicht würde. Am Dienstag, 28. August, wurde jedoch die Abstimmung intern von der SNV (Schweizer Normenvereinigung), der die Kommission untersteht, für ungültig erklärt. Eine zweite Abstimmung sei nötig, hiess es.




Thomann zeigt sich empört: «Eine rechtliche Grundlage für so einen Entscheid gibt es nicht. So etwas hat es auch noch nie gegeben. Das wird ein übles Nachspiel haben.» Warum die SNV Interesse an einer zweiten Abstimmung haben könnte (deren Ergebnis erst nach Redaktionsschluss feststand), ist Thomann schleierhaft. «Doch klar ist, die SNV darf einen Entscheid ihrer Mitglieder nicht ablehnen. Die Beschlüsse müssen der ISO weitergeleitet werden.» Bei der SNV wollte man zu Fragen vor Beendigung der zweiten Abstimmung noch nicht detailliert Stellung nehmen. Dazu sei die Situation zu heikel.




«Es gab bei der ersten Abstimmung jedoch Abweichungen vom vorgeschriebenen formellen Prozess», lässt Hans Peter Homberger, CEO der SNV, durchblicken. «Dass eine zweite Abstimmung nötig ist, beruht auf einem Missverständnis, darum kann den Verantwortlichen der Abstimmung kein Vorwurf gemacht werden.» Homberger fügt zudem an, dass man bei der OOXML-Diskussion in der SNV erstmals erlebt habe, dass solch harte Fronten aneinander prallen. «In Regel versuchen bei der SNV Experten, einen Konsens zu finden.»

(mw)


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