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Pay-Content: Denn sie wissen nicht, was sie tun

Ein Prognos-Report verurteilt Pay-Content als kurzsichtige Strategie.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/12

     

Der Verkauf publizistischer Inhalte an Enduser im Internet bleibt auf kleine Marktnischen beschränkt. Dies ist eines der Ergebnisse einer Studie der Basler Marktforscher von Prognos, die weit über die Landesgrenzen hinaus Beachtung gefunden hat. Der Report beinhaltet zwei Kernaussagen: Zum ersten, dass sich Online-Medien in absehbarer Zeit als vierte Kraft neben Fernsehen, Radio und Printerzeugnissen etablieren werden und zum zweiten, dass Pay-Content eine weitgehend komplementäre Einnahmequelle bleibt und mit der Einführung von kostenpflichtigem Content vorsichtig umgegangen werden sollte.



Ein Blick auf die Schweizer Medienlandschaft hingegen zeigt, dass die Aussagen von Prognos weitgehend in den Wind geschlagen werden, oder aber, dass die Medienhäuser eine leicht andere Ansicht vertreten.


Die Zürcher zuerst

Diese andere Ansicht bekommt man seit diesem Jahr nun deutlich zu spüren - zumindest bei den zwei Zürcher Blättern "Tages Anzeiger" und "Neue Zürcher Zeitung". Beide Online-Auftritte sind nämlich nur noch in beschränktem Masse frei zugänglich. Für alle Artikel, die mehr als einen Tag zurückliegen, muss bezahlt werden. Die Preise gestalten sich dabei recht unterschiedlich: Während beim "Tages Anzeiger" ein Artikel 1.50 Franken kostet und Abonnenten pro Jahr 25 Artikel gratis abrufen können, bezahlt man bei der "NZZ" 2 Euro - also rund 3 Franken - für jedes publizistische Werk, und Abonnenten werden nicht bevorzugt behandelt. Zumindest dieser zweitgenannte Umstand soll sich noch ändern. Ab Mitte Jahr will man ein System realisieren, mit dem Abonnenten und beispielsweise auch Schulen privilegiert behandeln werden können. Zum Start hin habe man ein solches System einfach nicht hingekriegt, so Kurt Busslinger, Leiter Marketing Neue Medien bei der "NZZ". Die Preise verteidigt er hingegen damit, dass der Aufwand für den Archiv-Unterhalt im Zusammenhang mit den Suchfunktionen nicht unwesentlich sei. "Vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen liegen gar keine tieferen Preise drin", so Busslinger. Trotzdem, in Anbetracht, dass die gedruckte Ausgabe günstiger als ein einzelner Archiv-Artikel ist und das Monatsarchiv über lange Zeit gratis war, gab es bei der "NZZ" auch negatives Feedback seitens der Online-Leser aufgrund des Pricings.




Der Trend ist gesetzt

Was mit dem "Tagi" und der "NZZ" begonnen hat, hört jedoch bei den beiden Zürcher Zeitungen noch lange nicht auf. Auch die Basler werden in Kürze für ihre "Basler Zeitung" im Internet bezahlen müssen. Dabei kommt die neue Mediendatenbank Swissdox zum Einsatz (siehe Kasten). Die Pläne bei der "BaZ" gehen sogar noch weiter: Ab 1. Juli wird auch die tagesaktuelle Ausgabe nicht mehr gratis sein. Für Abonnenten wird der Online-Zusatzservice 20 Franken extra im Jahr kosten, Nichtabonnenten müssen 100 Franken pro Jahr auf den Tisch legen. Das einzige, was nach dem 1. Juli bei der Basler Tageszeitung im Internet noch gratis sein wird, sind die Breaking-News. Peter Schibli, Redaktionsleiter bei der "Basler Zeitung, BaZ-Online", ist sich bewusst, dass mit dem Pay-Modell die Besucherzahlen auf der Site abnehmen werden. "Ein Minus von einem Drittel nehmen wir aber in Kauf." Dafür beruhigt man die Abonnenten ohne Computer, die laut Schibli teilweise verärgert waren, dass im Internet gratis gelesen werden kann, wofür auf Papier der Geldbeutel gezückt werden muss.



Auch azonline.ch, der Onlineauftritt der AZ Medien Gruppe, wird in den nächsten Wochen ein Pay-Content-Archivmodell einführen. Die Preise sollen im Bereich des "Tagi" zu liegen kommen, eventuell etwas tiefer. Der aktuelle News-Content bleibt aber weiter gratis, da man Angst vor drastischen Einbrüchen der Nutzerzahlen hat.



Ein weiterer Vertreter, der in Kürze das Archiv auf ein Pay-Content-Modell umstellt, ist der Bund. Dazu wird ein 1-Jahres-Abonnement verkauft, das auch als Zusatz eBund PLUS zum Printabo verkauft wird. Alternativ wird den Print-Abonnenten ein 50prozentiger Rabatt gewährleistet.



Ein ganz anderes Modell verwendet die "Weltwoche". Bereits seit August 2001 steht rund ein Viertel der Artikel auf dem Internet für jedermann zur Verfügung. Die anderen drei Viertel sind den Abonnenten vorbehalten. Mit dieser Strategie versucht man, über den Online-Auftritt möglichst viele neue Abonnenten zu gewinnen - offenbar mit Erfolg, denn die Anzahl der Abos, die via www.weltwoche.ch generiert wurden, sei seither steigend. Zudem bietet die "Weltwoche" auch ein Online-Abonnement für Leser aus dem Ausland an, das genau gleich teuer ist wie ein Schweizer Print-Abo.




Kurzsichtige Strategie

Zurück zum Prognos-Report: Die Verfasser gestehen zwar ein, dass der Einbruch des Werbemarktes während des letzten Jahres deutliche Spuren hinterlassen hat. Trotzdem ruft Prognos zum Durchhalten auf und sieht im Shakeout auch neue Chancen. So gibt Josef Trappel, Leiter des Beratungsbereichs Medien bei Prognos, zu Protokoll, dass Online-Medien heute in gleichem Masse unterschätzt würden, wie sie Ende der 90er-Jahre überschätzt wurden. "Dabei bieten sich gerade jetzt, nach dem Ausscheiden prominenter Portale, ausgezeichnete Chancen für die Etablierung von Online-Medien bei einem Publikum, das ständig wächst", so Trappel. Bei Prognos ist man der Überzeugung, dass sich der Online-Werbemarkt erholen wird. Die Werber seien aufgrund der Wirtschaftskrise in irrationalem Masse in sichere Werte wie Fernsehen und Print geflüchtet. Jedoch werde dieses Pendel in den nächsten Jahren wieder zurückschlagen. Grund dafür ist der Nachweis der Effektivität von Online-Medien, aber auch neue Werbeformen. Diese Punkte würden in naher Zukunft für ein überdurchschnittliches Wachstum in der Online-Werbung sorgen.



Damit aber Werbebanner in Zukunft auch aufgeschaltet werden, muss eine Site attraktive Klickraten vorweisen können. Und genau hier sieht Prognos die Gefahr des Pay-Modells, dass die User verärgere und das Image des Online-Mediums ankratze. Daher wird vor dem Umstieg auf Pay-Content gewarnt. Langfristig werde der Erlös aus den Werbeeinnahmen denjenigen aus den Gebühren um ein Vielfaches übersteigen.



Daher ruft Prognos zur Geduld auf - die sich früher oder später auszahlen wird. Bis 2005 würden Online-Medien in 60 Prozent der Haushalte nachgefragt werden und somit zum viertwichtigsten Werbeträger neben Radio, TV und Print aufsteigen.




Pay-Archive ja - Pay-News besser nicht

So muss der Schluss gezogen werden, dass die Zeit der Gratis-Archive vorbei ist. Wie viel Geld für einen Artikel verlangt werden kann und wie das Angebot gestaltet werden soll, muss sich erst noch zeigen, und derzeit versuchen die Zeitungen, das richtige Modell zu finden. "Archive bieten einen Mehrwert. Deshalb kann man für diese Dienstleistung auch Geld verlangen", verteidigt Peter Buri, Leiter azonline.ch, das Pay-Modell.



Bei den tagesaktuellen Ausgaben ist man sich dessen noch nicht so sicher, und hier würden sich die Online-Verantwortlichen der Zeitungen gut daran tun, den Prognos-Report - falls nicht schon geschehen - eingehend zu studieren. Sollten sich die Prognosen nämlich bewahrheiten und der Werbemarkt tatsächlich im erhofften Masse anziehen, würden diejenigen, die ihren gesamten Auftritt kostenpflichtig gemacht haben, in die Röhre gucken, da sie wohl kaum mehr berauschende Besucherzahlen vorweisen könnten.



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