Grundlagen der Ethik vermitteln


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/20

     

Wie weit darf die genetische Diagnostik gehen? Haben alte Menschen Anrecht auf die gleiche medizinische Versorgung wie junge? Und dürfen die Industriestaaten von Ländern wie China und Indien fordern, auch etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen? Wer in einem technisch-wissenschaftlichen Beruf arbeitet, ist im Alltag immer wieder mit solchen schwer entscheidbaren Fragen konfrontiert, auch wenn sie im konkreten Fall vielleicht nicht derart grundsätzlich sind wie die oben erwähnten Beispiele. Doch wie geht man mit solchen Problemen in der Praxis um? Und wie findet man zufriedenstellende Antworten?


Fehlendes Angebot

Genau mit diesen Fragen befasste sich die Sommerschule Ethik, welche die Kommission für Ethik und Technik (KET) der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) zusammen mit der Fachhochschule Nordwestschweiz und dem Ethiker Markus Zimmermann Anfang Juni in Muttenz durchführte. Ausgangpunkt war die Feststellung der KET, dass es zwar an Gymnasien und Universitäten eine Reihe von Ethikangeboten gibt, dass aber an vielen Fachhochschulen ein vergleichbares Angebot fehlt.




«Ziel eines solchen Angebotes müsste es sein, den Studentinnen und Studenten die Grundlagen der Ethik zu vermitteln und sie mit der Sprache und der Methodik der Ethiker vertraut zu machen», erklärt Sibylle Ackermann, Mitglied der KET und Initiantin der Sommerschule. Um sich diese Werkzeuge anzueignen, befassten sich Studierende der Fachhochschule Muttenz während zweieinhalb Tagen intensiv mit ganz unterschiedlichen ethischen Problemen aus den Bereichen Gendiagnostik, Gerechtigkeit im Gesundheitswesen sowie Umwelt und Ressourcen. Dabei setzten die Dozierenden – ein externer Fachethiker sowie Lehrkräfte der Fachhochschule – ein breites Spektrum an Methoden ein. Neben Vorträgen mussten die Studierenden auch Einzelarbeiten machen, Texte lesen und verfassen sowie in Rollenspielen vorgegebene Positionen vertreten.

«Gerade das Rollenspiel erwies sich für die Studierenden als gute Möglichkeit zu üben, wie man ethisch argumentiert», erläutert Ackermann. «Wenn man einen fremden Standpunkt vertreten muss, ist es einfacher, sich an der Diskussion zu beteiligen, weil man sich dann nicht unmittelbar exponieren muss.»


Heikle Güterabwägung

Dass im Rahmen der Sommerschule ganz unterschiedliche Themen aufgegriffen wurden, ist Absicht: «Die Studierenden haben gesehen, dass Argumentationsweise und Methode unabhängig vom Thema angewendet werden können.» Dabei ging es den Dozierenden auch darum, zu zeigen, dass es in ethischen Diskussionen immer um eine Güterabwägung geht, bei der Grundwerte wie Gerechtigkeit und Selbstbestimmung eine zentrale Rolle spielen. Die Erfahrungen, welche die Studierenden in der Sommerschule gemacht haben, sollen sie nun befähigen, sich im Berufsleben aktiv mit heiklen Fragen auseinanderzusetzen und damit ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen.


TecDays: Junge für Technik begeistern

Nach dem erfolgreichen Auftakt im letzten Jahr an der Kantonsschule Limmattal führt die SATW im November zwei weitere TecDays durch, an der Kantonsschule Baden und an der Kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene in Zürich. Mehrere Schweizer Gymnasien interessieren sich dafür, im kommenden Jahr einen TecDay durchzuführen. Die SATW versucht dies möglich zu machen und sucht deshalb Partner, die die Organisation der TecDays finanziell unterstützen. Auskünfte erteilt die SATW Geschäftsstelle.



Auch die Modulbroschüren zum TecDay@
Kanti Baden oder zum TecDay@KME können
dort bezogen werden.


Ethiktagung: Vernetzung der Ethikunterrichtenden

Die SATW und die HES-SO möchten die Ethikunterrichtenden an den Fachhochschulen der Schweiz an einer gemeinsamen Tagung besser vernetzen. Zur Ethiktagung vom 13. November sind alle Lehrkräfte und Verantwortungsträger der Fachhochschulen der Schweiz eingeladen. Drei Eingangsreferate illustrieren die Wichtigkeit des Ethikunterrichts und den aktuellen Stand an den Schweizer Fachhochschulen. Anschliessend erhalten die Teilnehmenden in fünf parallelen Workshops Einblick in erfolgreiche Beispiele von Ethikmodulen aus Yverdon, Brugg, Winterthur, Muttenz und Lausanne. Eine abschliessende Podiumsdiskussion befasst sich mit den Zukunftsperspektiven des Ethikunterrichts.




Programm und Anmeldung unter www.satw.ch.


Interview: «Ethiker bieten nicht einfach Lösungen an»

Wer sich von der Ethik einfache Antworten auf schwierige Fragen erhofft, sieht sich getäuscht. Das mussten auch die Teilnehmenden an der SATW Sommerschule Ethik lernen. Gerade deshalb war der Kurs für sie eine wertvolle Erfahrung, findet Sibylle Ackermann Birbaum, Initiantin der Sommerschule.

Frau Ackermann, warum organisiert die Kommission für Ethik und Technik (KET) der SATW Ethikkurse an einer Fachhochschule?



Die KET ist in verschiedenen Bereichen tätig, unter anderem auch in der Ausbildung. Wir haben festgestellt, dass Ethik an den Fachhochschulen nur punktuell unterrichtet wird. Unserer Ansicht nach sollte dieses Fach jedoch systematisch in die Curricula der Fachhochschulen einbezogen werden.

Kürzlich wurde eine erste Sommerschule an der Fachhochschule Muttenz durchgeführt. Warum
gerade dort?


Wir haben in einem ersten Schritt eine Evaluation gemacht und zusammengetragen, an welchen Fachhochschulen was angeboten wird. Einzelne Schulen sind bereits sehr aktiv und verfügen über ein etabliertes Angebot. Andere wiederum stehen erst am Anfang. Wir haben eine Fachhochschule ausgewählt, bei der Nachholbedarf bestand und die auch Interesse zeigte, künftig Ethikkurse durchzuführen. Für uns war wichtig, dass wir etwas machen, das in der Schule verankert ist. Deshalb schickten wir nicht einfach einen externen Experten hin, sondern wir haben die Fachlehrer von Anbeginn weg einbezogen.

Wie reagierten denn die Dozierenden?


Sie begrüssten die Initiative der SATW und waren froh, dass wir sie unterstützen. Wir haben die betroffenen Fachlehrer vorbereitet und sie mit den ethischen Methoden und Arbeitsweisen vertraut gemacht. Die Fachhochschule in Muttenz hat sich auf Grund der guten Aufnahme bei den Studierenden entschieden, die Sommerschule Ethik im kommenden Jahr wieder anzubieten.

Wie kam die Sommerschule bei den
Studierenden an?


Die Resonanz fiel sehr positiv aus. Es ergaben sich viele gute Diskussionen, die den Studierenden neue Einblicke eröffneten. Interessant war für sie vor allem zu sehen, dass Ethiker nicht einfach Lösungen anbieten, sondern dass sie aufzeigen, wie man Antworten findet. Es gibt ein Instrumentarium, das bei allen Fragestellungen angewendet werden kann.

An der Sommerschule in Muttenz wurden ganz unterschiedliche Themen besprochen. Wie wurden diese ausgewählt?


Bei der Themenwahl orientierten wir uns zum einen an den Fächern, die dort unterrichtet werden. Zum anderen wählten wir Fragen aus, die einen Bezug zur Alltagsrealität der Studierenden haben.

Wird die SATW nun auch an
anderen Fachhochschulen
solche Kurse anbieten?


Grundsätzlich kann die SATW sicher nicht den Ethikunterricht an den Fachhochschulen übernehmen, das würde unsere Kräfte bei weitem übersteigen. Wir verstehen unsere Initiative eher als Motivationshilfe, indem wir eine Anschubfinanzierung gewährleisten und die Fachhochschulen bei den ersten Schritten unterstützen. Ziel ist, dass die Schulen diese Ausbildung selbst übernehmen. In welcher Form das geschieht, müssen die einzelnen Schulen dann selbst entscheiden.


Wie geht es nun weiter?


Zunächst werden wir Mitte November an einer Fachtagung in Yverdon den Stellenwert der Ethik an Fachhochschulen diskutieren und das Fallbeispiel Muttenz vorstellen. Daneben möchten wir gerne nächsten Sommer wiederum solche Kurse anbieten. Wir sind dazu bereits mit zwei Fachhochschulen im Gespräch.





Das Interview mit Sibylle Ackermann
führte Felix Würsten.


Der Autor

Dr. phil. nat. Felix Würsten ist Wissenschaftsjournalist und Mitglied der Energiekommission der SATW.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Fliegen erledigte das tapfere Schneiderlein auf einen Streich?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER