Editorial

Kultur und Gestaltung müssen IT beeinflussen


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/19

     

Architektur und Design, sagt Jeffrey Huang, werden zur Schnittstelle zwischen unserem physischen und virtuellen Leben. Mit virtuell meint er nicht etwa Videospiele oder Spezialeffekte von Filmen, sondern das Leben, das wir jeden Tag leben, wenn wir unser Mobiltelefon benutzen oder im Internet surfen. Schweizer mit einer Vergangenheit an der Harward-Universität, lehrt Huang dieses Themengebiet an der ETH Lausanne, wo er dem Medien- und Design-Labor vorsteht. Er und seine Kollegen stellen Fragen wie etwa: Wie können Konstruktionen (Gebäude, Städte und Landschaften) digitale Kommunikationssysteme miteinbeziehen? Was sind die Auswirkungen der Digitalisiserung auf die Typologien der heutigen Städte?



Huang glaubt fest daran, dass sich mit der Verbreitung von Breitbandverbindungen und Kommunika­tionsmitteln einige unserer Basisverhaltensweisen des täglichen städtischen Lebens grundlegend verändern werden. Und dass dies Auswirkungen auf die Architektur haben wird. Diese wird sich in Richtung Virtualisierung des täglichen Lebens verändern. Wir suchen bei Google, anstatt zur Bibliothek zu gehen. Wir lernen in virtuellen Klassenzimmern. Wir verlieben uns in Chat-Räumen anstatt in einer Bar. Der Haupttreiber der Verschiebung von physikalisch zu virtuell: Die Transaktionskosten sind wesentlich tiefer, wenn wir Dinge über das Internet tun.




Die Virtualisierung bringt neue Gebäudeformen hervor: riesige Bedarfszentren, Server-Farmen und Rechenzentren (einige so gross wie Fussballfelder), immense Warenhäuser, Technologie-Hotels und virtuelle Läden. Mit den physischen Bedingungen (Zugang, öffentlicher Verkehr, Sicht etc.) entstehen zum Beispiel in Manhattan Glasfaser-Karten, die die Wahl von potentiellen Lagen für Liegenschaften beeinflussen. Dies wird zwangsläufig die Morphologie der Städte beeinflussen. In Asien und im Nahen Osten geht die Entwicklung in eine andere Richtung, weil es dort den Luxus gibt, nicht mit bestehender Infrastruktur umgehen zu müssen – ganz einfach, weil es davon nicht viel gibt und gänzlich neue Städte entstehen.



Es gibt Projekte für «Ubiquitous Cities» oder «U-Cities», die so heissen, weil sie komplett verkabelt und von hoher Netzwerkkapazität sind (ubiquitous für engl. allgegenwärtig). In Korea gibt es davon 15, in China 12, in Japan 3 und ein paar wenige im Nahen Osten. Ein Beispiel ist Songdo City, südwestlich von Seoul gelegen und derzeit im Aufbau. Die Stadt wird 300’000 Menschen beherbergen. «Sie wird die am meisten verkabelte Stadt der Welt sein, mit Glasfaserverbindung in jedes Haus, Datentausch, automatischen Gebäuden und Versorgungsbetrieben, vollfunktions­fähigen Videokonferenzsystemen, Drahtloszugängen von überall her, Smart-Card-Schlüsseln, öffentlichen Fahrrädern mit GPS und öffentlichen Recycling-Abfallbehältern mit RFID, die das Pfand zurückbezahlen, wenn man eine Flasche einwirft», sagt Huang.



Selbstverständlich werfen diese Projekte Fragen auf. Werden diese das nächste Brasilia sein, neue Städte, die in kürzester Zeit veraltet sind? Wie sieht es mit dem Risiko von Überwachung und Eingriffen auf das Privatleben aus? Um einige dieser Fragen zu beantworten, entwickeln Huang und seine ETH-Kollegen Forschungsprojekte, um Wege zu finden, physikalische und virtuelle Umgebungen aufeinander abzustimmen. «Bis heute haben die Menschen separate Leben geführt, haben eine bürgerliche Identität und eine Netz-Identität», sagt Huang. Wie weit kann Architektur als Mittler funktionieren, als Schnittstelle zwischen Physikalischem und Virtuellem, um diese beiden Identitäten zusammenzubringen?
Der Zweck dieses Forschungsgebiets, meint Huang, sei nicht, Technologie effizienter zu machen und Rechenkapazität zu erhöhen: «Die Herausforderung besteht darin, die Annäherung aus einem menschlichen Gesichtspunkt heraus zu sehen, damit Kultur und Gestaltung zukünftige Hard- und Software beeinflussen.»




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