Web Services: Wie Sun, IBM und HP der .Net-Plattform Paroli bieten
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/19
Web Services stellen einen grundlegenden Paradigmenwechsel dar. Nicht mehr der über eine Website angebotene Content, sondern Bereitstellung von verteilten Diensten steht im Mittelpunkt. Information oder Content kann dabei als ein Dienst unter anderen betrachtet werden.
Die entscheidende Veränderung besteht darin, dass nicht mehr der Content-Anbieter darüber entscheidet, wie die Inhalte genutzt werden, indem er eine zwingend vorgegebene Website bereitstellt, sondern dass der Anwender Dienste verschiedener Web-Service-Provider in flexibler Weise miteinander kombinieren kann. Er hat die Möglichkeit, Informationen von einem Anbieter, die Bestellabwicklung eines weiteren Anbieters und Übersetzungsfunktionen eines Dritten zu kombinieren. Er kann ferner im Bereich von B2B-Prozessen flexible Lösungen erstellen, die beispielsweise Leistungen von Marktplätzen mit Diensten, die von internen Systemen angeboten werden, integrieren.
Web Services werden derzeit stark aus dem B2B-Bereich getrieben. Denn Marktplatzlösungen, bei denen im wesentlichen über relativ eng vorgegebene Websites zugegriffen wird, lassen sich nur schwer in Prozesse integrieren. Die Unterbrechung von solchen Prozessen führt aber zu längeren Durchlaufzeiten und hohen Prozesskosten.
Einflüsse kommen auch in hohem Masse aus dem Peer-to-Peer-Bereich - mit Lösungen, die Dienste für eine lokale Nutzung anbieten und das Internet nur noch als Transportmedium verwenden. Was Napster für den Endbenutzer im Bereich des File-Sharing ist, werden Web Services für das E-Business werden.
Zwei Standards sind dabei bestimmend: SOAP, das Simple Object Access Protocol, ist ein Protokoll für den Aufruf von Diensten auf entfernten Systemen. Die Aufrufe, vergleichbar einem Remote Procedure Call (RPC), werden über HTTP transportiert. Sowohl für die Beschreibung der Aufrufe als auch die Rückgabe von Ergebnissen wird XML genutzt. SOAP etabliert sich zunehmend als ein Standard für die Kommunikation zwischen verteilten Systemen.
Der zweite wichtige Standard ist UDDI (Universal Discovery, Description and Integration). Dieser Standard wurde von IBM, Ariba und Microsoft geschaffen. Seine Funktion ist es, ein Verzeichnis mit Informationen über Dienste und ihre Schnittstellen bereitzustellen und die Schnittstellen zu einem solchen Verzeichnis zu definieren. Zentral für UDDI ist die umfassende Beschreibung der Schnittstellen, die hier genutzt werden können.
In engem Zusammenhang mit UDDI steht WSDL (Web Services Description Language), eine Sprache, welche die Funktionen von Web Services beschreibt. Auch hier sind IBM, Ariba und Microsoft die treibenden Kräfte.
Dass Web Services stark vom Peer-to-Peer-Gedanken geprägt sind, zeigt sich gerade an UDDI. Über das zentrale Directory können sich Unternehmen finden und direkt miteinander Verbindungen aufbauen. Es wird also nicht mit einem die Transaktion abwickelnden Marktplatz, sondern nur mit einem Broker für die Lokalisierung von Transaktionspartnern gearbeitet. Die eigentliche Transaktion wird dann aber direkt zwischen den Peers abgewickelt.
Damit stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis von zentralen und dezentralen Komponenten. Das Beispiel von UDDI ebenso wie die Architektur von Napster macht schon deutlich, dass Web Services keineswegs vollkommen dezentral arbeiten. Web Services benötigen Broker-Dienste, die zwischen den Clients und den Servern im Sinne von Web-Service-Providern vermitteln.
Hinzu kommt, dass die Konfiguration der Web Services im Regelfall nicht auf dem Front-end erfolgen wird. Vielmehr werden Web Services typischerweise in Web Applications genutzt, die wiederum über den Browser dem Endbenutzer zur Verfügung gestellt werden. Solche Anwendungen können aber auch direkt mit Systemen verbunden werden. Das ist derzeit auch das zentrale Gebiet von Web Services, da auf diesem Weg in vergleichsweise einfacher Weise eine Prozessintegration erfolgen kann.
Interessant ist diese vergleichsweise verteilte Struktur im Hinblick auf verschiedene derzeit propagierte Ansätze, die eine sehr starke Zentralisierung von Funktionen auf einzelnen Systemen vorsehen. Wenn man beispielsweise die Ansätze von Oracle und Sun betrachtet, dann sind diese extrem um zentrale Server herum aufgebaut. Web Services erlauben aber eine starke Verteilung von Services auf verschiedene Server, auf Broker-Services und auf Front-end-Dienste. Zwar müssen Web Services nicht zwingend verteilt sein. Der heute oftmals gerade bei klassischen Web Applications zu beobachtende Trend, mit zentralen Lösungen auf Basis eines Web Application Server und einer zentralen Datenbank zu arbeiten, verliert aber hier an Bedeutung.
Dennoch ist beispielsweise Sun derzeit eine treibende Kraft in der Entwicklung von Web Services - allerdings, wenn man die Argumentation für Sun ONE (Open Net Environment) betrachtet - doch stärker aus der Not denn aus einer absoluten Neigung heraus. Auch Hewlett-Packard, ebenfalls ein Unternehmen mit einem Fokus auf den Vertrieb von leistungsfähigen Serverplattformen, ist bereits seit geraumer Zeit bei Web Services engagiert. Web Services bieten Optionen für stärker verteilte Anwendungen, fordern diese aber nicht zwingend. Und Web Services werden immer auch leistungsfähige Brokerdienste erforderlich machen.
Neben Sun und HP sind insbesondere Microsoft und IBM stark im Bereich der Web Services engagiert. Aber auch Ariba, beispielsweise mit der Spezifikation von UDDI und WSDL, und seit kurzem i2 im Verbund mit Sun und iPlanet stellen Web Services immer mehr in den Vordergrund.
Fast schon als Urahn der Web Services ist HP E-Speak zu bezeichnen. E-Speak wurde als offene Plattform für die Entwicklung, Verteilung und den Betrieb von Diensten im Netz entwickelt. Das Konzept besteht aus einem Framework, der Service Engine, dem Collaborative Portal Framework und einer Reihe von E-Services-Werkzeugen.
HP arbeitet im Rahmen von E-Speak einerseits auch intensiv in Standardisierungsgremien wie UDDI mit und bringt hier Erfahrungen ein. Andererseits gibt es beispielsweise auch ein HTTP-Interface, über das auch SOAP unterstützt wird. Insgesamt ist E-Speak aber zumindest zur Zeit ein vergleichsweise proprietärer Ansatz, der allerdings den Vorteil einer leistungsfähigen Back-end-Plattform bietet.
Ein Schwerpunkt bei E-Speak liegt dabei auf der Unterstützung von B2B-Prozessen - in diesem Bereich zeichnet sich das Modell im Vergleich mit anderen Ansätzen aus, auch wenn beispielsweise Microsoft mit BizTalk im Rahmen seines .Net-Modells mittlerweile ebenfalls eine sehr leistungsfähige Lösung zu bieten hat.
Die kritische Frage beim Ansatz von E-Speak ist, ob das Modell von HP ein ausreichendes Momentum am Markt erzielen kann - insbesondere im Vergleich zu den drei grossen Wettbewerbern, die sich dagegen positionieren.
Big Blue ist schon als Unternehmen, das intensiv bei der Standardisierung von SOAP, WSDL und UDDI mitarbeitet, stark auf Web Services fokussiert. Diese Unterstützung wird zunehmend auch auf der WebSphere-Plattform umgesetzt. WebSphere, ursprünglich insbesondere als Web Application Server positioniert, bezeichnet bei IBM mittlerweile eine Vielzahl von Werkzeugen und Tools für die Entwicklung von E-Business-Lösungen. IBM stellt auch immer mehr Schnittstellen über die eigenen Entwicklungswerkzeuge bereit.
Durch den gewählten offenen Ansatz mit einer breiten Unterstützung der relevanten Standards ist IBM ein interessanter Anbieter in diesem Bereich.
Der Konzern bietet derzeit eines der umfassendsten Angebote für die Realisierung von Web Services auf Basis der WebSphere-Plattform. Insgesamt ist hier aber dennoch ein hohes Mass an Offenheit geboten, da WebSphere-Lösungen auf einer Vielzahl unterschiedlicher Systemumgebungen eingesetzt werden können. Vergleichsweise gering ist allerdings noch das Angebot bei spezialisierten Serverdiensten.
In diesem Bereich hat Sun mit der Ankündigung, die Customer-Relationship-Management-Software (CRM) von i2, iPlanets Faktura- und Inkasso-Software und Suns Java-Development-Software in einem einzigen Paket zu vereinen, auch einen klaren Anwendungsfokus gesetzt. Das kombinierte Produkt, welches gegen Ende dieses Jahres erscheinen soll, wird gleichzeitig Suns erster Major-Release seiner Web-Service-Initiative Sun Open Net Environment (Sun ONE) sein.
Auch Sun fokussiert dabei stark auf Standards wie SOAP, UDDI und WSDL. Sun selbst sieht sich dabei einerseits als Anbieter von Entwicklungslösungen, andererseits aber insbesondere als Lieferant der Backplane. Derzeit fällt es allerdings noch schwer, in dem Portfolio von Sun eine Unique Selling Position (USP) zu erkennen.
Ebenfalls schon früh mit dem Thema der Web Services befasst hat sich Microsoft. Microsoft .Net hat von Beginn an einen Fokus auf Web Services gehabt. Microsoft war denn auch eine treibende Kraft bei der Definition von SOAP und nimmt auch bei der Definition von UDDI und WSDL eine führende Position ein. Mit dem BizTalk-Server und dem in einem relativ offenen Prozess definierten BizTalk-Framework hat Microsoft darüber hinaus auch eine Lösung am Markt, die ein wichtiges Element in Implementierungen für Web Services darstellt. Darüber haben die Redmonder auch eine der derzeit umfassendsten Entwicklungsumgebungen für Web Services im Portfolio.
Für Microsoft ist die Unterstützung für Web Services schon deshalb hochinteressant, weil dies dem Unternehmen ermöglicht, Lösungen auf Basis von .Net in einem heterogenen Umfeld in einfacher Weise zu integrieren. Mit Web Services rückt die Architektur und Implementierung des einzelnen Systems in den Hintergrund und die Interaktion zwischen Systemen in den Vordergrund. Im Gegensatz dazu ist bei zentralisierten Systemen auf Basis eines Web Application Servers faktisch eine Grundsatzentscheidung zwischen .Net und J2EE erforderlich.
Über den Aufbau und die Komponenten der .Net-Plattform haben wir in InfoWeek 17/2001 im Detail berichtet.
Welche der Web-Service-Frameworks das Rennen machen wird, ist zur Zeit noch offen.
Fest steht aber, dass Web Services die Art und Weise, wie Anwendungen das Internet nutzen, grundlegend verändern werden. Denn aus Sicht der Anwender macht es in sehr vielen Fällen mehr Sinn, einen Dienst - und auch dann, wenn er Content liefert - in eine Website zu integrieren als auf eine grössere Zahl unterschiedlicher Sites zuzugreifen.