Eine eigenständige Schweizer ICT Industrie
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/22
SwissICT: Herr Flatt, wenn Sie die Schweiz als Produktionsstandort für ICT-Leistungen betrachten – welchen Beitrag liefert die ICT-Industrie zur landesweiten Wertschöpfung, wie schafft sie Arbeitsplätze und welche Leistungen werden wir in Zukunft exportieren können?
Thomas Flatt: Seit den 80er Jahren bis zum Jahr 2000 herrschte in unserer Industrie mehrheitlich eitel Freud und Sonnenschein. Das Wachstum schien unbegrenzt und die einzige Sorge, die uns plagte war, wie wir so schnell wie möglich genügend Menschen ausbilden können, um den Bedarf zu decken. Der Binnenmarkt hat jede Arbeitskraft gierig aufgenommen.
In dieser Zeit entstanden viele Informatikanwender, etwa 100'000 und auch eine erkleckliche Zahl von Informatikprofis. Was aber leider in nur sehr geringem Masse entstanden ist, ist eine Industrie, welche sich auf den Weltmarkt konzentriert und Produkte oder Services entwickelt hätte, welche zum Exportschlager hätten werden können. Gleichzeitig sind wir zu einem Nettoimporteur von Technologie geworden.
Wie geht die Entwicklung aus Ihrer Sicht weiter?
Wir beobachten drei Trends, welche aus ökonomischer Sicht durchaus als «bedrohlich» bewertet werden können.
Die Entwicklung neuer Produkte, ob Hard- oder Software, ist zunehmend kapitalintensiv. Wurden früher Computerspiele noch von einer handvoll Freaks entwickelt, sind heute Budgets wie für einen Hollywood Blockbuster notwendig.
Gute Ideen entstehen selten nur an einem Ort. Meist ist die Zeit einfach reif für den nächsten Schritt und der ökonomische Erfolg wird von demjenigen realisiert, welcher die effizienteste Marketing- und Vertriebsorganisation aufbauen kann.
Die Industrie ist von ausgeprägten Netzwerkeffekten und Standards beherrscht. Ist ein Standard einmal etabliert und entsteht ein Netzwerk um diesen Standard herum, steigt der Wert des Netzwerkes überproportional.
Diese drei Trends führen zu einer zunehmenden Konsolidierung der Industrie rund um einige wenige Schwergewichte – Schwergewichte im Sinne von Standards, Netzwerken um diese Standards und nicht zuletzt Schwergewichte im Sinne des eingesetzten Kapitals. Bei fast allen wesentlichen Technologien finden wir einige wenige dominierende Player, die sich den Weltmarkt teilen.
Es scheint, als sei unsere Industrie in der unglücklichen Lage, den Charakter von natürlichen Monopolen zu haben. Das heisst, dass auch ohne explizites monopolistisches Verhalten der Marktteilnehmer, sich automa-tisch eine monopolistische Situation einstellt, da die Skaleneffekte immens sind. Um dies zu durchbrechen, müssen immense Kapitalmengen
für die Errichtung von eigenen Standards und Netzwerken eingesetzt
werden.
Was bedeutet dies für unsere Schweizer IT-Industrie?
Eigentlich bedeutet dies, dass es zunehmend unwahrscheinlich ist, dass wir hier in der Schweiz den nächsten Blockbuster in einem bereits besetzten Gebiet entwickeln. Dass also eine signifikante Basistechnologie von einem Schweizer Unternehmen beherrscht wird.
Und wenn wir unseren Blickwinkel vom Unternehmen zum Angestellten in der IT-Industrie wechseln?
Softwareentwickler, Designer, Architekten aber auch Betreiber müssen sich mit potentiellen Bedrohungen ihres Arbeitsplatzes auseinandersetzen.
Diese Bedrohung hat wohlgemerkt überhaupt nichts mit der Personenfreizügigkeit zu tun. Es werden keine Menschen in unser Land kommen und uns die Arbeitsplätze streitig machen. Die Aufgaben werden schlicht verschwinden oder ins Ausland abwandern.
Wer vor 20 Jahren Software entwickelt hat, war häufig Business Engineer, Designer, Architekt und Codierer in Personalunion. Verwendet haben wir Werkzeuge, wie sie primitiver nicht sein konnten. Aber wir waren eine Rarität und konnten deshalb unsere eigene Arbeitskraft relativ teuer verkaufen.
Heute steht weltweit täglich mehr Entwicklungskapazität zu immer günstigeren Preisen zur Verfügung.
In den Hochlohnländern steigt zwar
der Bedarf, aber gleichzeitig nimmt
der Kostendruck enorm zu. Nur
zwei Möglichkeiten sind hier abzusehen:
1. Die Softwareentwicklung wandert in Billiglohnländer ab, weil sie in der Schweiz zu teuer ist
2. Wir industrialisieren die Softwareentwicklung und erreichen eine Produktivitätssteigerung, welche den Arbeitsort Schweiz rechtfertigt
Egal, welchen Weg wir gehen werden, Arbeitsplätze oder zumindest Aufgaben werden hier in der Schweiz verschwinden.
Die Aufgaben des klassischen Programmierers sind zu einer Commodity geworden und das Hochlohnland Schweiz kann sich diese schlicht nicht mehr leisten. Near- und Offshoring
sind die Folge. Ein Entwickler in der Schweiz kann nur überleben, wenn er lernt, Maschinen und Werkzeuge zu verwenden, welche eine massive Produktivitätssteigerung zur Folge haben.
Diese Entwicklung ist keine Katastrophe und es geschieht auch
nicht alles über Nacht. Aber wir müssen heute mit adaptierten
Ausbildungskonzepten reagieren. Produktivitätssteigernde Technolo-
gien müssen zuoberst auf unserem Radar erscheinen und die Ausbildung
unserer Informatiker muss darauf fokussiert sein.
Wo sehen Sie die Schwerpunkte?
Meiner Meinung nach sollten wir unser Augenmerk auf drei Bereiche richten:
Wir sollten
1. Die Stärken der Marke Schweiz besser nutzen
2. Das richtige politische Umfeld schaffen
3. Die Ausbildung bezüglich Intensität erhöhen, richtig fokussieren und kompetitiver machen
Was bedeutet dies konkret? Wie soll die Marke Schweiz besser genutzt werden?
Traditionelle Stärken der Marke Schweiz können in Zukunft zunehmend an Bedeutung in der IT-Industrie gewinnen. Aspekte wie
Vertrauen – das wir als Finanzplatz bereits geniessen
Neutralität – welche uns unter anderem glaubhaft eine gewisse Distanz zur amerikanischen Politik gibt
Der sichere Hafen in Krisenzeiten – wo Daten sowohl physisch wie auch seitens der Gesetzgebung geschützt werden
Ausserdem kann die Schweiz seine Attraktivität bezüglich sozialer und politischer Stabilität im Rahmen des Standortwettbewerbes hervorstreichen. Für ausländische Arbeitnehmer ist die Schweiz vermutlich attraktiver als Südkorea.
Die Mehrsprachigkeit, welche uns zwar manchmal im Wege steht oder den eh schon kleinen Markt Schweiz weiterer unterteilt, kann ein Wettbewerbsvorteil sein und eine Expansion in die angrenzenden Länder vereinfachen.
Und was heisst es bezüglich Politik?
Auch wenn ich grundsätzlich gegen staatliche Eingriffe in die Wirtschaft bin, so glaube ich dass dies im Bereich ICT durchaus seine Berechtigung haben kann. Dies aus 3 Gründen:
1. Wie bereits ausgeführt, hat die Industrie einen Trend zum natürlichen Monopol und eine gewisse Regulierung wird damit notwendig
2. Teile der Infrastruktur in einer zukunftsorientierten Industrie haben den Charakter von öffentlichen Gütern – mit entsprechend geringem initialen Investitionsanreiz für Unternehmen und Einzelne. Hier kann nur der Staat in die Bresche springen (klassisch sind Investitionen in Sicherheit)
3. Viele Geschäftsmodelle werden ökonomisch erst sinnvoll, wenn relativ hohe Erstinvestitionen getätigt worden ist. Hier kann eine staatliche Subvention Sinn machen. Ein Beispiel dafür sind Investitionen in Breitbandnetze in Korea, welche eine Grundlage für höherwertige Services und Dienste darstellen
Welche Rolle spielt die Ausbildung?
Lange waren wir stolz auf unser Bildungswesen. Ich glaube aber, wir unterliegen hier zunehmend einem Trugschluss. Obwohl eigentlich alle Voraussetzungen geschaffen wären, bewegen wir uns unterdessen im Mittelfeld.
Ich glaube nicht, dass unsere Schulen und Universitäten grundsätzlich nicht genügen. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir Opfer unserer eigenen Trägheit geworden sind. Es fehlt die absolute Überzeugung, dass die Möglichkeit zu lernen nicht einfach Gott gegeben ist, sondern dass jeder Schüler und Student sich dieses Recht durch überdurchschnittliche Leistungen täglich neu verdienen muss.
Wir sollten auch alle Anstrengungen unternehmen, um auf Hochschulstufe ein möglichst internationales Publikum anzusprechen, wie dies die ETH Zürich, die Hochschule St. Gallen oder das IMD in Lausanne tun. Dies wird neue Talente in die Schweiz bringen und wir können uns im eigenen Lande einem internationalen Wettbewerb stellen.
Ihre Zusammenfassung?
Für mich stehen 3 Punkte im Vordergrund:
Der Eintritt in bestehende Märkte ist enorm kapitalintensiv und die Eintrittsbarrieren sind sehr hoch
Klassische Softwareentwicklung – insbesondere Implementation und Codierung – wird near- und offshore gehen
Der Standort Schweiz ist nach wie vor ein Vorteil und insbesondere die Marke Schweiz mit all ihren Attributen kann und muss als differenzierenden Faktor genutzt werden
Wir müssen unsere Anstrengungen deshalb weiterhin auf die Entwicklung von Talenten legen und im globalen Wettbewerb interessante Nischen suchen und erobern. Meist handelt es sich um die intelligente Verbindung und Integration von vorhandenen Komponenten, gepaart mit unternehmerischem Willen, gutem Marketing und einer Strategie, welche Eintrittsbarrieren für den Wettbewerb aufbaut.
In der Schweiz wurden viele innovative Ideen realisiert und wir können durchaus auch in Zukunft ein Land der Innovation und wirtschaftlichen Kraft sein.