Telefon-Self-Services der neuen Generation

Sprachportale ermöglichen, richtig angewendet, erhebliche Effizienzsteigerungen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/21

     

Der Kundenkontaktkanal Internet erfreut sich weiterhin wachsender Beliebtheit, ermöglicht er doch Selbstbedienung und damit hohe Effizienz. So werden die Webauftritte von Unternehmen und Behörden um immer mehr Inhalte und Services erweitert. Dennoch bevorzugen die meisten Kunden weiterhin das Telefon, werden doch immer noch durchschnittlich 70 Prozent der Kundenkontakte über Telefongespräche abgewickelt oder initiiert. Diese erfordern vor allem auf der Personalseite einen hohen Ressourcenaufwand.


Besserer Service bei niedrigeren Kosten

Abhilfe versprechen Sprachportale, die die Technologien für die Verarbeitung gesprochener Sprache mit den Anwendungen aus dem Web vereinen. Mit solchen «Sprachcomputern» können Unternehmen den Telefonkontakt automatisieren und Call-Center-Angestellte entlasten. Die Effizienzsteigerungen werden dadurch erzielt, dass sich die Kunden ähnlich wie im Internet selbst bedienen, nur eben am Telefon. Sie können sich etwa im Sprachportal einer Fluggesellschaft zu aktuellen Ankunftszeiten informieren, aber auch Flüge buchen oder per Handy einchecken. Banken stellen ihren Kunden auf Sprachportalen schon heute immer mehr Telefonbanking-Services zur Verfügung und Versandhändler setzen zunehmend auf die Automatisierung ihrer Bestell-Hotlines. So werden Anrufe idealerweise vollständig von Sprachanwendungen erledigt oder sie nehmen nur Kundendaten und -wünsche auf und vermitteln dann zum richtigen Ansprechpartner.
Die Experten der Giga Information Group gehen davon aus, dass mit sogenannten Voice-Applikationen bis zu 30 Prozent der TCO (Total Cost of Ownership) im Call Center eingespart werden können. Zu den weiteren Vorteilen von Sprachportalen gehört, dass sie im Gegensatz zur Telefonzentrale oder zu den meisten Call Centers rund um die Uhr verfügbar sind.


Akzeptanz als kritische Grösse

Um dabei eine hohe Akzeptanz zu erreichen, müssen die Unternehmen hochwertige und benutzerfreundliche Dienste anbieten. Zugleich gilt es, die Wirtschaftlichkeit der Dienste im Auge zu behalten.
Wer kennt das nicht: «Ich habe Sie leider nicht verstanden. Bitte wiederholen Sie Ihre Eingabe.» Bei mangelhafter Spracherkennung legt auch der geduldigste Anrufer spätestens beim dritten Mal genervt den Hörer auf. Aber nicht allein die Leistung der Spracherkennungssoftware entscheidet über die Qualität, sondern auch die Benutzerführung. Noch immer in Betrieb sind «Steinzeit»-IVR-Systeme (Interactive Voice Response) mit einer starren und oft auch komplizierten Menüführung. Umständliche Service-Menüs kennt man zur Genüge: «Wenn Sie Ihren Kontostand abhören wollen, drücken Sie die Eins, wenn Sie einen Überweisungsauftrag eingeben möchten, drücken Sie die Zwei...» Der geringe Komfort resultiert aus der Historie. Zunächst wurden nämlich Tonwahlsysteme (DTMF) eingeführt, die Eingabe erfolgte per Tastendruck. Mit der Spracherkennung kam später zwar ein neuer Eingabemodus hinzu, die unflexible Benutzerführung aus DTMF-Zeiten blieb bei der ersten Generation der IVR jedoch bestehen. Diese haben viel zum bis heute schlechten Ruf der Sprachanwendungen beigetragen. So ist es denn auch kein Wunder, dass die Konsumenten Sprachanwendungen eher skeptisch gegenüberstehen.


Neue Generation

Benutzerfreundliche Sprachanwendungen sind dabei technisch schon heute möglich, denn bei den Basistechnologien hat sich in jüngster Zeit einiges getan. Die Anbieter haben sowohl die Spracherkennungs- (Automated Speech Recognition, ASR) als auch die Sprachausgabesysteme (Text to Speech, TTS) verbessert. Standards wie VoiceXML sorgen für eine bessere Interoperabilität der Einzelkomponenten, die auf immer leistungsfähigeren Plattformen aufsetzen. Natürlichsprachige Interaktion löst die durch starre Ein- und Ausgabeaufforderungen geprägte Benutzerführung der Vergangenheit ab. Innovative Sprachanwendungen versuchen dem Benutzer den Eindruck zu vermitteln, er steuere das System und nicht umgekehrt.


Drei Ansätze

Heute gibt es grundsätzlich drei Arten, wie ein Unternehmen an das Thema Sprachanwendungen herangehen kann:



Out-of-the-Box-Lösung: Vorgefertigte Sprachanwendungen existieren mittlerweile für verschiedene Branchen. Diese Fertiglösungen lassen sich sehr schnell installieren und – so lange keine grossen Änderungen nötig werden – kostengünstig betreiben. Einige erledigen die Standardaufgaben mit durchaus befriedigender Qualität. Ein grosser, oft entscheidender Nachteil ist aber ihre mangelnde Flexibilität: Der Anwender hat kaum Möglichkeiten, Funktionen zu verändern oder zu ergänzen. Auch bieten die fertigen Branchenlösungen für grosse Systeme, die viele Anrufer gleichzeitig abfertigen sollen, nur beschränkte Verwaltungs- und Monitoring-Funktionalitäten.



«Manuelle» Neuentwicklung der vollständigen Applikation: Eine frei entwickelte, individuelle Sprachanwendung ist genau auf die aktuellen Anforderungen eines Unternehmens zugeschnitten, kann aber hohe Kosten schon durch die lange Entwicklungsphase verursachen. «Handgefertigte» Lösungen verfügen in der Regel nicht über Werkzeuge, die den Auf- und insbesondere den Umbau der Anwendungen unterstützen. Deshalb müssen die Verantwortlichen VoiceXML und Java oder gar proprietäre Sprachen beherrschen. Oft werden für die Entwicklung auch nicht standardisierte Elemente und Schnittstellen herangezogen. Sobald kleinere Umgestaltungen, Content-Aktualisierungen oder neue Services umgesetzt werden sollen, sind «manuelle» Änderungen an einer Vielzahl von Codestellen notwendig. Wenn ganz neue Services angeboten werden sollen, kann dies leicht dazu führen, dass Dialogfluss und Benutzerführung uneinheitlich werden und so die Usability leidet – eine der häufigsten Ursachen, warum Systeme nach einem Update eher schlechter akzeptiert werden als vorher. Fehlende oder unzureichende Management- und Überwachungsfunktionen limitieren zudem auch hier die Wirtschaftlichkeit beim Betrieb von Massenanwendungen.



Voice-Application-Management-Systeme: Voice-Application-Management-Systeme (VAMS) sind erst seit wenigen Jahren auf dem Markt. Sie decken den gesamten Lebenszyklus von Sprachanwendungen ab, von Design und Entwicklung, über Tests und Implementierung bis zur Wartung, Administration und Auswertung. VAMS bieten die Vorteile der individuellen Entwicklung von Sprachanwendungen bei vergleichbarem Time-to-Market und vergleichbarem Aufwand von Out-of-the-box-Lösungen. Zentrale Komponente eines derartigen Systems ist der Voice Application Server. In seiner Funktion vergleichbar mit einem Web Application Server erstellt dieser bei jedem Anruf einen individuellen Dialog. So sind insbesondere auch personalisierte Telefonservices möglich. Ergänzt wird der Server durch Funktionalitäten für Designer, Entwickler und Administratoren. Die integrierten Konzepte unterstützen optimal die Umsetzung benutzerfreundlicher Dialogstrukturen bei gleichzeitig geringem Entwicklungs- und Pflegeaufwand. Ein modernes Managementsystem erlaubt so, auch sehr grosse Sprachportale mit zahlreichen unterschiedlichen Services effizient zu realisieren und zu betreiben.


Standard-Technologien nahtlos integriert

Managementsysteme wie jenes von VoiceObjects integrieren mit Plattformtreibern und vorkonfigurierten Schnittstellen die Basistechnologien. So unterstützen sie die gängigen Spracherkennungssysteme (Automated Speech Recognition Software, wie etwa von IBM, Loquendo oder vom Marktführer Nuance, ehemals Scansoft). Gleiches gilt für die Sprachausgabe (Text-to-Speech-Software, etwa von Acapela, Loquendo, Nuance, Svox oder Telisma). Ebenso beinhalten die VAMS vorkonfigurierte Interfaces zu standardbasierten Sprachdialogplattformen, seien es reine VoiceXML-Plattformen wie von Alcatel, Genesys, Hewlett Packard, Nuance und VoiceGenie oder IVR-Systeme mit VoiceXML-Schnittstelle, wie etwa die Plattformen von Aspect, IBM, Intervoice, Nortel und Sikom.






Um eine nahtlose Integration mit den Datenbeständen und Anwendungen im Back-end zu gewährleisten, sollte eine Managementsoftware neben den gängigen Datenbanksystemen wie IBM DB2, Microsoft SQL oder Oracle auch Web Application Server wie IBM Websphere oder SAP Netweaver unterstützen.
Damit bleiben die Anwender in bezug auf die Basistechnologien und Sprachdialog-Plattformen flexibel und können mit der bestehenden IT-Infrastruktur eine Sprachportal-Lösung aufbauen, die vergleichsweise geringe Betriebskosten erzeugen kann. Trotzt der im Vergleich zu konventionellen Infrastrukturen geringen TCO lohnt sich der Aufbau einer eigenen Sprachplattform aber nicht für jedes Unternehmen.


Sprachportale auf Mietbasis

Bei zeitlich befristeten Aktionen wie Werbekampagnen oder bei Services für einen kleineren Nutzerkreis rechnet es sich eher, die Infrastruktur anzumieten. Services rund um das Hosting von Sprachportalen bieten immer mehr Telekommunikationsunternehmen an. Inzwischen gehen die Voice Application Service Provider dazu über, neben dem Hosting der Sprachportale ein ganzes Managed-Services-Portfolio rund um die Erstellung, Wartung, Administration und Abrechnung anzubieten. Solche Komplettangebote beruhen ebenfalls auf oben beschriebenen Managementsystemen. Dieses Geschäftsmodell wird sicher auch bald von Schweizer Telekommunikationsanbietern übernommen werden. So können in naher Zukunft auch hierzulande mittelständische Unternehmen von Telefon-Self-Services profitieren, die sich in puncto Bedienfreundlichkeit und Nutzwert nicht hinter den Sprachportalen innovativer Grossbetriebe verstecken müssen.


Der Autor

Tiemo Winterkamp ist Vice President Strategy & Market Research bei VoiceObjects (twinterkamp@voiceobjects.com).




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wie hiess im Märchen die Schwester von Hänsel?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER