Software patentieren: Georg Herrnleben vs. Michael Wechner


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/16

     

In der Europäischen Union wird derzeit eine heftige Debatte für und gegen Softwarepatente geführt. Während die grossen Softwarehersteller mehrheitlich die Forderung unterstützen, lehnen kleinere Anbieter und Vertreter der Open-Source-Gemeinde das Ansinnen ab. Wie hat es die Schweiz mit Softwarepatenten? InfoWeek wollte es wissen und befragte dazu einen Vertreter der von Grossfirmen dominierten Softwarelobby BSA sowie einen Exponenten der Open-Source-Gemeinschaft.


Softwarepatente verhindern Innovation


Pro: Tatsache ist, dass Softwarepatente seit den 80er Jahren in der EU angemeldet und vergeben werden. Über 30'000 Softwarepatente wurden vom Europäischen Patentamt in München bisher anerkannt. Diese bereits bestehende Praxis hat in der Vergangenheit in keiner Weise Innovation und Wachstum in Europa behindert. Man sollte sich also vor Augen führen, dass durch die Softwarepatent-Direktive nicht etwas Neues geschaffen wird, sondern eine seit langer Zeit bestehende Praxis harmonisiert werden soll.




Kontra: Softwarepatente werden nicht die Innovation an und für sich verhindern, sondern die Art und Weise verändern, wie und wo Innovation stattfinden wird. Diese Veränderung wird es den grossen Softwareherstellern ermöglichen, den Markt leichter zu steuern oder ganz zu unterwerfen. Der Markt sollte sich aber am Kunden orientieren und nicht am Hersteller. Open-Source-Projekte entstehen meistens aus einem Benutzerbedürfnis heraus, wobei der Open-Source-Entwickler meistens auch der Nutzer ist. Kunden wollen Offenheit und keinen Lock-in-Effekt, was durch Open Source sichergestellt wird. Softwarepatente werden jedoch eine offene Innovation verunmöglichen.


Patente helfen nur den grossen, monopole zu bilden


Pro: Jedes Unternehmen kann Softwarepatente anmelden - unabhängig von Firmengrösse oder Umsatz. Softwarepatente bieten kleinen, mittleren und grossen Herstellern die Möglichkeit, ihre Unternehmenswerte und Investitionen zu schützen. Letztlich dienen alle Rechte, die das geistige Eigentum betreffen - Urheberrecht, Trade Marks und eben auch Softwarepatente - dazu, Entwickler und Rechteinhaber gegen die unerlaubte Nutzung oder andere Verletzungen (z.B. Fälschungen) ihrer Produkte zu schützen.




Kontra: Softwarepatente helfen auch kleinen Firmen und Individuen, aus ihren Erfindungen Kapital zu schlagen, aber Softwarepatente helfen in der Regel nur den grossen Unternehmen, den Markt zu monopolisieren. Die Mittel, um einen marktbestimmenden Anteil zu erreichen, sind eben nur den grossen Herstellern gegeben.


Software ist bereits durch das Urheberrecht genügend geschützt


Pro: Man muss hier unterscheiden: Das Urheberrecht schützt die Art und Weise, wie ein Programm geschrieben ist. Softwarepatente schützen die Innovationen, die durch ein Softwareprogramm erzeugt werden. Das heisst: Softwarepatente schützen nicht den Code oder die "written expression" von einem Programm, sondern den Geschäftsprozess, der durch die Software abgebildet wird.




Kontra: Das "Standard-Open-Source-Geschäftsmodell" basiert darauf, nicht mit dem Produkt selbst Geld zu verdienen, sondern mit den Dienstleistungen, die sich aus dem Produkt heraus ergeben. Unter dieser Annahme kann die Aussage mit ja beantwortet werden. Die Frage für ein Unternehmen ist, was sind die zukünftigen Geschäftsmodelle, um mit Software Geld zu verdienen. Da es praktisch nichts kostet, Software zu verteilen und viele Softwareprodukte zu "Commodity" werden, drängt sich das Dienstleistungsmodell auf. Es ist aber nicht die ultimative Lösung, denn das richtige Verhältnis zwischen Softwareentwicklungsaufwand und Umsatz aus Dienstleistungen wird nicht in jedem Fall stimmen. IBM hat dies bereits in den 90er Jahren gezwungenermassen erkannt und sich in eine vorteilhafte Position gebracht.


Patente stärken die europäischen Softwarehersteller


Pro: Bei dieser Frage geht es in der Tat um den globalen Wettbewerb. Ohne eine harmonisierte Softwarepatentierungs-Praxis in Europa würden viele europäische Entwickler von der Anmeldung von Softwarepatenten absehen. In den USA und Japan sind Softwarepatente jedoch gängige Praxis. Dies würde in der Konsequenz dazu führen, dass in den grossen Wettbewerbsmärkten Asien und Nordamerika weiter Softwarepatente angemeldet würden, während europäische Unternehmen ihre Innovationen nicht in gleicher Weise schützen würden. Im globalen Wettbewerb hätte dies äusserst negative Folgen für europäische Unternehmen.




Kontra: Die grossen Softwarehersteller sind allesamt internationale Konzerne. Das heisst, es gibt in diesem Bereich keinen Kampf zwischen Europa und USA. Open-Source-Gemeinschaften (Communities) sind ebenfalls international tätig, aber es scheint, dass die Entwicklergemeinde in Europa sehr stark geworden ist und noch stärker werden wird. Ein Grund dafür ist, dass viele europäische Kunden immer öfters Open-Source-Produkte einsetzen und lokal tätige Firmen für deren Implementation beauftragen. Europa wäre dumm, diesen Vorteil mit der Einführung von Softwarepatenten im Keim zu ersticken.


Softwarepatente lösen eine Prozessflut aus


Pro: Wie bereits eingangs erwähnt: Software-Patente sind schon seit den 80er Jahren in Europa eine etablierte Praxis. Eine Prozessflut wurde dadurch offensichtlich nicht ausgelöst.



Kontra: Es wird bestimmt zu Prozessen kommen. Wo es etwas zu verteidigen gibt, wird auch gekämpft, was aber an sich nichts Schlechtes ist. Anwälte werden ihre Freude daran haben - egal auf welcher Seite sie stehen. Ob es eine Prozessflut geben wird oder nicht, sollte kein Entscheidungskriterium sein. Die Frage sollte in eine andere Richtung zielen: Werden Prozesse um Softwarepatente fair geführt werden können oder nicht? Fair heisst, dass auch ein Individuum oder eine kleine Firma gegen ein grosses Unternehmen bestehen kann. Wie dem deutschen "Handelsblatt" zu entnehmen war, wird die Prüfung einer Patentkonkurrenz durch eine spezialisierte Kanzlei im Durchschnitt 400'000 Euro kosten. Einer der Gründe, wieso die ASF (Apache Software Foundation) gegründet wurde, ist, den einzelnen Open-Source-Entwickler vor einem teuren Rechtsstreit zu schützen.

Die Kontrahenten

Pro: Georg Herrnleben ist Geschäftsführer der Business Software Alliance (BSA). Die BSA ist vor allem für ihre spektakulären Zertrümmerungsaktionen von Raubkopien und Inseratekampagnen gegen illegalen Softwaregebrauch bekannt. Die Lobbyvereinigung wird von US-Softwarefirmen wie Microsoft oder Adobe kontrolliert und finanziert und setzt sich auch für die Einführung von Softwarepatenten ein.




Kontra: Michael Wechner, CEO von Wyona, entwickelte zwischen 1998 und 1999 ein Redaktionssystem für die Online-Abteilung der NZZ. Das Open-Source-Projekt wurde später als Subprojekt von Cocoon der Apache Foundation übergeben. Er ist Gründer und Chef von Wyona, einem Zürcher IT-Dienstleister, sowie Gründer und Präsident verschiedener Open-Source-Organisationen.




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