Spezialisten zwischen Biologie und Informatik
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/15
Die Genetikbranche boomt: Immer neue Unternehmen profitieren von der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts. Rohdaten müssen ausgewertet, die dazugehörige Hard- und Software entwickelt werden. Gesucht werden daher Spezialisten, die sich gleichermassen in Biologie und Informatik auskennen - Bioinformatiker. US-amerikanische Universitäten haben den Trend erkannt und investieren grosse Summen in den neuen Wissenszweig. Aber auch in der Schweiz sind Bioinformatiker gesuchte Leute.
Gemäss einer Studie, die 2002 von Cap Gemini Ernst & Young erhoben wurde, soll die Verschmelzung von Biotechnologie und Informationstechnologie ein enormes Zukunftspotential in sich bergen. Die Steigerungsraten beim Umsatz liegen in diesem Teilbereich der Biotechnologie zwischen 20 und 25 Prozent pro Jahr. Insgesamt haben rund 15 Prozent der Bioinformatik-Unternehmen weltweit ihren Sitz in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz. Das grösste Hindernis für die volle Entfaltung dieses neuen Marktes liegt allerdings ähnlich wie im IT-Bereich vor drei Jahren beim Mangel an Fachleuten. Allein in den deutschsprachigen Ländern fehlen bis Anfang 2005 rund 700 Spezialisten, so die Studienverfasser.
Ein reges Interesse seitens der Studenten bestätigt Professor Michael Primig, Forschungsgruppenleiter für Genomische Bioinformatik am Biozentrum in Basel. "Wir waren erstaunt über den riesigen Zulauf in den Vorlesungen Bioinformatik 1. Gerechnet haben wir mit 20 bis 30 Teilnehmern, aber der Saal war voll besetzt."
Jüngste Meldungen über Stellenabbau in der Bioinformatik- und Proteomikbranche, wie bei den vielversprechenden Westschweizer Firmen GeneProt und Manteia, dämpfen allerdings den Enthusiasmus.
Das Berufsbild des Bioinformatikers ist eine Mischung aus Informatiker und Biologe, Chemiker und Pharmazeut. Dieses breit angelegte Wissensspektrum ermöglicht es, die aus der biologischen Forschung gewonnenen Ergebnisse mit Hilfe der modernen Informationstechnologie zu verarbeiten. Hierbei kann es sich um die Information eines Gens und seines Produktes, um einen ganzen Organismus (Einzeller oder Vielzeller) oder sogar um ein ganzes Ökosystem handeln. Das Wissensgebiet beinhaltet zum Beispiel die Analyse der biologischen Daten, die Organisation der biologischen Information und die möglichen Voraussagen beziehungsweise Konsequenzen aus diesen Daten.
Beispielsweise fallen bei Genomanalysen, bei denen daran gearbeitet wird, das Erbgut von Mensch, Tier und Pflanze zu entschlüsseln, enorme Datenmengen an. Hier kommen die Bioinformatiker zum Zug. Sie entwerfen Softwaresysteme, die etwa bei der molekularbiologischen Diagnose und der Therapie von Krankheiten oder beim Design von Medikamenten zum Einsatz kommen. Häufig geht es bei den entwickelten Programmen auch um Proteinstrukturanalysen, Molekülmodelle oder um die Simulation ganzer biologischer oder chemischer Systeme.
Wesentlicher Bestandteil der Arbeit ist es ebenso, Neuentwicklungen in der Literatur zu verfolgen und nach kritischer Auseinandersetzung diese auch rasch nutzbar zu machen.
Die Schweiz verfügt mit Basel, Genf und Zürich über drei Ballungsgebiete für Biotech-Unternehmen allgemein, wobei Basel und Genf gleichzeitig auch Zentren der Bioinformatik sind. Dies liegt vor allem daran, dass die in Basel ansässigen Unternehmen wie Novartis und Roche häufig Biotech-Spin-Offs gründen. Ausserdem ist in der Westschweiz sowie auch in Basel das Schweizer Institut für Bioinformatik (SIB) beheimatet.
Die Tätigkeit als Bioinformatiker erfordert eine enorme Vielseitigkeit, Flexibilität, Offenheit sowie analytisches und algorithmisches Denkvermögen, denn projektübergreifende Arbeitsinhalte stehen beim Bioinformatiker auf der Tagesordnung.
Bioinformatiker sollten auf den Gebieten Biologie und/oder Informatik ausgebildet sein, da sie die Schnittstelle beider Bereiche abdecken. Ein Studiengang als Bioinformatiker wird hierzulande nicht angeboten. Deshalb erfolgt der Einstieg in diesen Berufszweig während oder nach dem Abschluss des Biologie-, Biochemie-, Biophysik- oder Informatikstudiums sowie der Promotion. In Deutschland bietet über ein Dutzend Hochschulen einen Abschluss in Bioinformatik an. In der Schweiz kann dieses Spezialgebiet dagegen nur im Nebenfach absolviert werden. Allerdings wird die Ausbildung zum Bioinformatiker seit ein paar Jahren vom Schweizer Nationalfond im Rahmen des Schwerpunktprogramms gefördert. So wird seit 1999 vom SIB in Zusammenarbeit mit den Universitäten Lausanne und Genf ein einjähriger Ausbildungsgang in Bioinformatik angeboten. Zudem soll 2004 in Basel ein ETH-Institut für Systembiologie dem Fach das nötige Gewicht verleihen.