Haifischbecken Arbeitsplatz

Machtkämpfe am Arbeitsplatz sind grosse Stressfaktoren. Ein gesundes Mass an Rivalität spornt aber zu Höchstleistungen an.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/10

     

Wer hat mehr Erfolg im Job? Wer bekommt mehr Anerkennung? Wer hat die besseren Aufstiegschancen? Konkurrenzdenken empfinden wir alle. Der Arbeitsplatz ist ein Haifischbecken: Macht und Erfolgsstreben fördern Neid und Rivalität.



Offene und verdeckte Rivalität am Arbeitsplatz sind die grössten Stressfaktoren der heutigen Zeit. Um ihren Arbeitsplatz gegen das Eindringen von Konkurrenten zu verteidigen, greifen Menschen unter Umständen zu rabiaten Mitteln. Oft werden diese Gegner gemobbt oder mit Missachtung gestraft, und nicht selten begegnet man ihnen mit offener Feindseeligkeit.




Revierverhalten, eine Reminiszenz unserer Vergangenheit als Sammler und Jäger, war seinerzeit beim harten Überlebenskampf in der Natur unbestritten ganz nützlich. In der Familie und am Arbeitsplatz ist Machtstreben dagegen oft unvernünftig und kontraproduktiv.


Rivalität spornt zu Höchstleistung an

Konfliktpotential am Arbeitsplatz gab es schon immer. Das Sprichwort "Vor einem Kollegen behüte uns der liebe Herrgott" aus dem Jahre 1867 belegt dies eindrucksvoll. Rivalität ist jedoch in der heutigen Gesellschaft verpönt. So spricht die Arbeitswelt von Teamgeist und Soft Skills, Konkurrenzdenken wird hingegen totgeschwiegen.



Eine Entwicklung, der Dr. Kurt Theodor Oehler, Psychotherapeut und Buchautor aus Bern, in seinem Buch "Rivalität" entgegenzuwirken versucht. Er vertritt die Auffassung, dass Rivalität zu Leistung anspornt und damit den Schlüssel zum Erfolg bildet: "Das konstruktive Rivalisieren fördert die Leistungsbereitschaft, die Leistungsmotivation und das Arbeitsergebnis, verbessert die Kommunikation unter den Mitarbeitern, verstärkt die Solidarität, lässt die Individualität und die Identität der einzelnen Persönlichkeit stärker in den Vordergrund treten und erlaubt es, die Eignung der einzelnen Mitarbeiter besser zu erkennen." Insbesondere in der Arbeitswelt habe Rivalität eine Auslesefunktion: Sie helfe, denjenigen zu finden, der am besten für eine Aufgabe geeignet ist. Konstruktive Rivalität wird damit zu einer Kernkompetenz sozialen Lernens.





Mann und Frau

Eine bisher nicht veröffentlichte Untersuchung über die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Rivalisieren hat ergeben, dass Frauen mehrheitlich um eine Beziehung wie beispielsweise zum Chef oder zu Kollegen rivalisieren, während die Männer mehr leistungsbezogen agieren. Das heisst, den Frauen geht es mehr um die Gefühle zu einem einzelnen Menschen oder um die Anerkennung eines bestimmten Menschen, während Männer zum Beispiel um ein besseres Arbeitsergebnis, um höheren Lohn oder um Aufstiegschancen kämpfen.



Da die Rivalität um eine Beziehung sowohl für die direkt Betroffenen als auch für die aussenstehenden Mitarbeiter mit starken Emotionen verbunden ist, tendieren in diesem Falle die Frauen eher dazu, heimlich zu rivalisieren. Männern scheint es leichter zu fallen, zu ihrer Rivalität offen zu stehen und diese ohne grössere Skrupel auszuleben.





Gesunde und ungesunde Rivalität

Auf der Strecke bleiben die sozial schwächeren Mitarbeiter. Nicht jeder Mensch ist für Revierkämpfe im Büro geschaffen. Diejenigen die sich unterordnen, leiden oftmals unter der schlechten Stimmung, die rivalisierende Kollegen mit ihren Machtkämpfen verbreiten. Wenn Kollegen sich benehmen wie Hirsche vor der Paarungszeit leidet oft das ganze Team. Die Stimmung sinkt auf den Nullpunkt, und alle Kommunikationsvorgänge sind oder werden vergiftet und destruktiv.



Unter diesen Bedingungen wirkt sich die Rivalität sowohl auf das Team als auch auf die Gesundheit der Mitarbeiter und schliesslich auf die Qualität der Arbeit negativ aus.





Gegenmassnahmen

Fünf Massnahmen, die eingeleitet werden können oder müssen, wenn die Rivalität am Arbeitsplatz überhand nimmt:



1. Die erste Massnahme sollte immer das direkte und offene Gespräch mit den direkt Betroffenen sein. Wenn es gelingt, in diesem Gespräch die Abwehrhaltung der Betroffenen zu durchbrechen und offen miteinander zu reden, dann verliert die destruktive Rivalität ihre verheerende Wirkung.




2. Von grossem Nutzen kann die Diskussion in einer grösseren Gesprächsrunde sein. Dabei könnte es sich um ein bestimmtes Arbeitsteam, um eine einzelne Abteilung, um das versammelte Kader oder um ein Führungsorgan handeln. Das Gespräch in einer grossen Runde ermöglicht zwar weniger die Lösung konkreter Konflikte zwischen einzelnen Mitarbeitern, es kann aber für die gesamte Belegschaft einen beträchtlichen Lerneffekt mit sich bringen.



3. Wenn es nicht möglich ist, die Probleme im direkten Dialog zu erörtern, dann kann es vielleicht nützlich sein, einen externen Berater zuzuziehen. Die emotionale Unabhängigkeit dieses Beraters könnte unter Umständen eine vertrautere Atmosphäre schaffen, die das Erörtern schwieriger zwischenmenschlicher Fragen ermöglicht.



4. Es besteht die Möglichkeit, die betroffenen Mitarbeiter als geschlossene Gruppe durch einen Supervisor in dessen Räumlichkeiten beobachten zu lassen. Im Rahmen der Supervision kann die destruktive Rivalität offengelegt, in ihren unbewussten Ursachen erkannt und einer korrigierenden Erfahrung zugänglich gemacht werden.



5. Letztlich besteht die Möglichkeit, dass einzelne Mitarbeiter nicht in den Arbeitsprozess integriert werden können oder nicht gruppenfähig sind. Da mag es notwendig sein, eine Umorganisation oder eine Kündigung zu erwägen.


Interview mit Kurt Theodor Oehler, Buchautor und Fachpsychologe: Wo Menschen arbeiten, wird rivalisiert



Ist die Rivalität bei Menschen in technischen Berufen stärker vertreten als in anderen Berufszweigen?

Nein, die Rivalität ist ein alltägliches Phänomen, das sich in allen Berufszweigen, in allen Altersstufen und in allen Ländern etwa in gleicher Weise offenbart. Sie gehört zum Menschen wie die Liebe und der Hass, die Eifersucht und der Neid. Mit anderen Worten gesagt: Man kann nicht nicht rivalisieren!



Warum gibt es Rivalität am Arbeitsplatz?

Überall, wo Menschen leben und arbeiten, wird rivalisiert, also auch am Arbeitsplatz. Das Besondere am Arbeitsplatz ist aber, dass bei der Arbeit Leistung verlangt wird und die Existenz des Arbeitsplatzes häufig unsicher ist. Aus diesen Gründen spielen dort der Leistungsvergleich und die Leistungsmessung eine besondere Rolle. Das provoziert Rivalität. Man ist stets versucht, besser und beliebter zu sein als die anderen, um den Arbeitsplatz nicht zu verlieren oder um seine Aufstiegschancen zu wahren und den Lohn zu verbessern.



Welches sind die häufigsten Ursachen für Rivalität?

Jeder Mensch "kämpft" gegen jeden, und jeder will besser, beliebter, erfolgreicher oder schöner sein als der oder die andere. Beim Rivalisieren gibt es aber noch eine besondere Gesetzmässigkeit: Die Rivalität ist in der Regel um so heftiger, je minderwertiger, unsicherer beziehungsweise schwächer sich ein Mensch fühlt.



Wie entsteht Rivalität?

Anscheinend gibt es ein starkes Bedürfnis der Menschen, sich miteinander zu vergleichen und die Mitmenschen leistungsmässig zu übertrumpfen. Dieses Bedürfnis wird besonders im Sport in ritueller Weise ausgelebt und inszeniert. Das Rivalitätsverhalten ist aber nur in Ansätzen angeboren. Zur Hauptsache ist es gelerntes Verhalten. Es scheint so zu sein, dass man im Erwachsenenalter auf Verhaltensmechanismen zurückgreift, die man in der Kindheit gelernt hat. So wird man in der Regel mit seinen Mitarbeitern beziehungsweise Vorgesetzten in ähnlicher Weise rivalisieren wie früher mit den Geschwistern beziehungsweise den Eltern.



In welcher Hierarchiestufe kommt Rivalität am meisten vor?

In der Regel rivalisieren die Menschen aller Alters-und Hierarchiestufen in ähnlicher Weise miteinander. Es ist nicht so, dass auf den oberen Etagen weniger rivalisiert würde als im mittleren Kader oder bei den einfachen Mitarbeitern. Im Gegenteil! Gerade bei Menschen, die viel Verantwortung tragen und Macht ausüben, scheinen die Rivalitätspraktiken nicht selten geradezu vernichtende Formen anzunehmen. Wo es um viel Macht, Geld und Ruhm geht, scheint hin und wieder jedes Mittel recht, um erfolgreich zu sein. Interessanterweise wird über Rivalität und insbesondere über das eigene Rivalisieren nur selten geredet. Aus diesen Gründen bleiben diese Vorgänge meistens unbewusst und unreflektiert.



Wo liegen die Grenzen zwischen gesunder und übertriebener Rivalität?

Da alle Menschen rivalisieren und gleichzeitig die Rivalität allgemein tabuisiert wird, weil dieses Verhalten als etwas Unsolidarisches beziehungsweise Unkooperatives gilt, steht der Mensch in einem schweren Dilemma. Wie soll das natürliche Bedürfnis zum Rivalisieren ausgelebt werden können, wenn die Rivalität gleichzeitig tabuisiert ist? Die Lösung des Dilemmas besteht darin, dass man zwischen einem gesunden und konstruktiven Rivalisieren und einem kranken und destruktiven Rivalisieren unterscheidet. Das konstruktive Rivalisieren lässt sich so charakterisieren, dass es zwischen den Rivalen Kontakt herstellt und die Beziehung zwischen ihnen verbessert. Rivalität in seiner konstruktiven Form gehört so zur Kernkompetenz des Sozialverhaltens. Die destruktive Rivalität stört den zwischenmenschlichen Kontakt, schädigt die betroffenen Kontrahenten und verschlechtert damit die zwischenmenschliche Beziehung.



Wie kann man allzu starken Rivalitätskonflikten innerhalb eines Unternehmens vorbeugen?

In jedem Unternehmen gibt es informelle Rivalitätsstrukturen, die nicht gänzlich unterdrückt werden können. Die Frage ist nur, ob zwischen den Mitarbeitern konstruktiv oder destruktiv rivalisiert wird. Um das konstruktive Rivalisieren zu fördern und das destruktive Rivalisieren in konstruktive Formen zu verwandeln, muss im Unternehmen eine Gesprächskultur entwickelt werden. Wenn zwischen den Rivalisierenden offen und direkt über die Rivalität gesprochen wird, entsteht unter den Mitarbeitern eine vertrauensvolle Betriebsatmosphäre, in der das Rivalisieren als etwas Konstruktives, Spielerisches und sogar Lustvolles erlebt werden kann.



Sind Frauen oder Männer stärker betroffen, wenn es um Rivalität am Arbeitsplatz geht? Aus welchen Gründen?

Von der Rivalität am Arbeitsplatz sind sowohl die Frauen als auch die Männer in gleicher Weise betroffen. Unter der destruktiven Rivalität, beispielsweise beim Ausstreuen von Gerüchten, beim Intrigieren gegen einzelne Mitarbeiter oder beim Mobbing gibt es in ihren negativen Auswirkungen sowohl für die Frauen als auch für die Männer keine grundsätzlichen Unterschiede.



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