Kylix 1: Verkürzte Entwicklungszeit unter Linux

Mit der Lancierung von Kylix schliesst Borland eine wichtige Marktlücke.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/14

     

An Entwicklungswerkzeugen hat es zwar unter Linux noch nie gefehlt. Trotzdem war die Nachfrage nach einem RAD-Tool für Linux gross. Dies ergab eine Umfrage, die Borland vor rund anderthalb Jahren durchführte. Mit ein paar Monaten Verspätung ist Kylix - die erste eigens für Linux entwickelte RAD-Suite - nun auf den Markt gekommen.


Neue und alte Architektur

Kylix ist eine komponentenbasierte Entwicklungsumgebung für Object Pascal und ist damit nahe mit Delphi verwandt. Viele der grundlegenden Komponenten heissen und funktionieren ähnlich wie in Delphi. Während Delphis Komponentenbibliothek als VCL (Visual Component Library) bezeichnet wird, tritt an deren Stelle die CLX (Component Library for Cross-Platform), ausgesprochen als "Clicks". Wie im Namen bereits angedeutet, soll CLX ab Delphi 6 die VCL ersetzen, was die Entwicklung von plattformübergreifenden Applikationen enorm erleichtern wird.



Die CLX ist in vier Bestandteile gegliedert:





VisualCLX: Komponenten für GUI und Grafik; unter Linux weitgehend auf Qt basiert




DataCLX: Komponenten für die Client/Server-Zusammenarbeit mit Datenbanken




NetCLX: Internet-Komponenten wie beispielsweise Apache DSO und CGI-Broker




BaseCLX: die Runtime Library und Klassenbibliothek.



Während der Quellcode vor allem der VisualCLX-Komponenten für Linux und Windows natürlich verschieden ist, finden sich viele der visuellen Windows-Komponenten in einer entsprechenden Version in Kylix wieder. Andere Komponenten wiederum sind sowohl unter Linux als auch unter Windows auf demselben Quellcode aufgebaut. Das Ziel ist laut Borland, dass Anwendungen, die von VCL auf CLX portiert worden sind, schliesslich ausgehend vom gleichen Quellcode unter Linux und Windows kompiliert werden können.



Die Portierung bereits bestehender Delphi-Applikationen ist dabei generell nicht weiter schwierig. Natürlich ist vor allem zu beachten, dass direkte Win32-System-Calls, Windows-spezifische Komponenten wie etwa OLE und MTS sowie für Windows entwickelte Drittkomponenten nicht unterstützt werden und daher manuell auf die Systemarchitektur von Linux angepasst werden müssen. Dafür werden die meisten Methoden und Eigenschaften von VCL-Komponenten von Kylix automatisch in die entsprechenden Gegenstücke der CLX umgesetzt.


Neues Getriebe für Datenbanken

Statt der Borland Database Engine (BDE), die Teil der bisherigen Delphi-Suiten war, wird Kylix mit dbExpress geliefert. Dies hat zwar den Nachteil, dass viele BDE-Komponenten fehlen, dbExpress bringt aber BDE gegenüber einige Verbesserungen mit sich. Und um mit Delphi/Kylix plattformunabhängig zu programmieren, wird natürlich auch in Delphi 6 BDE mit dbExpress ersetzt werden.



dbExpress ist ein schlanker, effizienter Datenbanktreiber, der von Haus aus MySQL und Interbase unterstützt. Im Lieferumfang von Kylix Server Developer sind ausserdem Anbindungen an Oracle und DB2 enthalten. Weitere Treiber können in naher Zukunft entweder von Borland selbst oder von der Open Source Community erwartet werden.




Im Aufbau gleicht dbExpress JDBC und ODBC und beinhaltet die Basisklassen SQLDriver, SQLConnection, SQLCommand, SQLCursor und SQLMetadata. Diese Interfaces können auch direkt von C++ aus aufgerufen werden, was für die Interoperabilität von Kylix-Projekten mit anderen Datenbankanwendungen wichtig sein kann.



Im Vergleich mit BDE ist dbExpress - unter anderem dank Konfigurationsdateien im Textformat - ausserdem einfacher zu implementieren und distribuieren.




Willkommen zu Hause

Wer zuvor mit Delphi unter Windows programmiert hat, wird mit Kylix sofort Anwenderprogramme für die Linux-Plattform schreiben können. Die Entwicklungsumgebung von Kylix gleicht derjenigen von Delphi zum Verwechseln. Von der Werkzeugleiste werden Komponenten auf die Arbeitsfläche gezogen. Danach können die Eigenschaften aller Komponenten bequem im Object Inspector links redigiert werden. Der Code-Editor unterstützt unter anderem Syntax Highlighting und automatische Ergänzung via Code Insight.



Bereits die Installation von Kylix verläuft überaus bedienerfreundlich. Ein Shell-Script kontrolliert, ob alle notwendigen Bibliotheken vorhanden und auf dem erforderlichen Stand sind. Falls nicht, liegen die entsprechenden Dateien auf der CD-ROM im RPM-Format für die geläufigsten Distributionen bereit. Nach Ablauf des Shell-Scriptes startet die eigentliche Installation mit grafischer Benutzerführung. Kylix kann übrigens sowohl als root als auch als gewöhnlicher User installiert werden.




Ebenfalls erwähnenswert ist die ausgezeichnete Dokumentation. Ausser drei Handbüchern (Referenzbücher) verfügt Kylix über eine Online-Hilfe, wie sie auch schon von Delphi bekannt ist. Die einzelnen Abschnitte sind somit hierarchisch miteinander gelinkt und sowohl über einen Index als auch mit Freitextsuche auffindbar.



Leider sind die Hilfedateien von einigen Schönheitsfehlern geprägt. So findet man sowohl Fehler in den Navigationsfunktionen als auch einige inhaltliche Flüchtigkeitsfehler, die darauf hindeuten, dass die Dokumentation in letzter Minute von Windows auf Linux portiert wurde.



Delphi-Entwickler können sich dafür über zahlreiche Hinweise und Hilfestellungen zur Portierung von Anwendungen von Windows nach Linux freuen.


Ausblick

Kylix wird gegenwärtig auf deutsch und englisch in zwei Versionen angeboten. Die Desktop-Developer-Ausgabe beinhaltet neben der Entwicklungsumgebung und über 65 Standardkomponenten mit Quellcode auch die DataCLX-Komponenten und dbExpress, allerdings ohne Treiber für Oracle und DB2. Die Server-Developer-Ausgabe von Kylix enthält über 100 Standardkomponenten sowie die kompletten DataCLX und NetCLX-Komponenten.



In beiden Ausgaben sind ausserdem auch Nevrona's-Indy-Internet- Protokollkomponenten zu finden. Diese Komponenten, welche auch im Internet als Open Source für Delphi zu finden sind, waren ehemals unter dem Namen Winshoes bekannt und sind nun fester Bestandteil von Kylix und werden auch in der kommenden Delphi-Version 6 integriert. Wenn in der Desktop-Ausgabe schon die NetCLX-Komponenten fehlen, kann man mit Hife der Indy-Internet-Komponenten wenigstens Client-Applikationen programmieren.




Gegen Sommer wird ausserdem eine Kylix Open Edition erhältlich sein. Die Open Edition wird wohl stark abgespeckt, dafür aber frei herunterladbar sein. Sie richtet sich vorwiegend an Entwickler, die ausschliesslich Open-Source-Programme produzieren möchten.



Das Erscheinen von Kylix ist in zwei Hinsichten signifikant: Zum einen schliesst Kylix wie in der Einleitung erwähnt eine Marktlücke im Linux-Angebot, zum andern ist Kylix ein Tool, das einerseits Open Source erlaubt, andererseits aber auch die Entwicklung von kommerzieller Software ermöglicht. Kombiniert mit den hervorragenden Cross-Platform-Fähigkeiten von Kylix wird diese Eigenschaft hoffentlich zahlreiche Produzenten, die bislang ausschliesslich für Windows entwickelt haben, dazu motivieren, auch Linux-Kunden zu berücksichtigen. Und dies würde schliesslich auch wieder der Linux-Community zugute kommen.



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