Grosses Potenzial für Unternehmen durch Mashups
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/12
Mashups sind massentauglich und mehr und mehr auch «enterprise ready» geworden. Deswegen lohnt es sich, das Phänomen genauer zu betrachten, Trends im Auge zu behalten und das Potenzial abzuwägen.
Auf technischer Seite spielen eine Reihe entscheidender Faktoren zusammen, die Mashups erst praktikabel machen:
- Ausgereifte Webbrowser, die sich dank solider Javascript- und XML-Unterstützung als Integrationsplattform eignen
- Offene webbasierte Schnittstellen, so genannte APIs, die Services wie Kartendienste, Suche, Empfehlungs- oder Messagingdienste etc. auf einfache Weise Applikationen dritter zugänglich machen
- Offene Standards wie RSS, ATOM oder JSON «verflüssigen» Inhalte und lassen diese einfach zwischen Sites und Applikationen zirkulieren
Aktuell prominente Beispiele sind etwa Trulia (Immobilien und Landkarten) oder FriendFeed (Kurznachrichten, Bilder und Videos aus allerlei Quellen, mit starker sozialer Komponente). Die grosse Mehrzahl der Tausende von Mashups fristet hingegen ein Schattendasein an den Rändern des Internets: sie sind schnell kreiert, schnell ausprobiert – und schnell vergessen. Schliesslich gilt hier, ebenso wie für Collagen in der Kunst und musikalischen Remixes: die Techniken sind einfach, die Materialien leicht verfügbar, doch um bleibenden Wert zu schaffen, braucht es die richtige Mischung, das treffende soziale Moment.
In der Schweiz haben mit bekannter Mashup-Technik etwa immo.search.ch oder local.ch für Aufsehen gesorgt. Die Konzepte beider Dienste illustrieren vorbildhaft, was Mashups ausmacht: Beide nutzen online verfügbare Daten, verarbeiten und veredeln diese und bereiten sie in einer neuen, mit Kartenmaterial und Ajax-Funktionalitäten angereicherten Darstellung auf, die mit durchdachter Kombination als «Collage» echten Mehrwert bietet. Als Vorbild darf dabei local.ch gelten, das nicht nur ein Mashup aus verschiedenen Datenquellen und Applikationsteilen darstellt, sondern selbst wiederum mit Hilfe so genannter Microformats grosse Datenmengen in wieder verwendbarer Form anbietet und so neue Mashups ermöglicht.
Eines der Ur-Mashups ist, bezeichnenderweise, das Ausliefern seitenspezifischer Werbung, eine einfach einzurichtende, dynamische Collage aus Material des eigentlichen Mediums und dem des Werbevermittlers, zugeschnitten nach Bedarf und auf den Betrachter. Genau dieses Modell ist denn auch die Finanzierungsquelle fast aller als solcher bekannten Mashups. Deren weite Verbreitung und kommerzielle Bedeutung wurde durch diese Werbe-Zumischtechnik erst ermöglicht. Der Frage, wie damit mittelfristig Geld zu verdienen sei, entgeht dennoch keiner der Vertreter, und gerade dort, wo Branchengrössen wie Google sowohl Mashup-Partner als auch Konkurrenz sind, wird diese Herausforderung kurzfristig auch kaum verschwinden.
Das Gericht befand schliesslich in BGE 131 III 384 im Sinne der Mashup-Anbieter und fügte an, es erscheine «grundsätzlich sinnvoll, dass sich der Wettbewerb unter den Plattform-Betreibern über die an bestimmten Bedürfnissen des Publikums orientierte Vollständigkeit, Verlässlichkeit und Erschliessung dieser Daten abspielt» – und genau darin liegt der Wert der Mashup-Idee. «Remixability» der eigenen Daten ist, so hat man mittlerweile verstanden, in einer Aufmerksamkeitsökonomie ein durchaus förderliches Prinzip.
Neue Plattformen für Software ermöglichen zumeist auch neue Modelle für deren Entwicklung, und als Entwicklungs- und Distributionsmodell sind Mashups fraglos revolutionär: Software ohne Installation, rasch eingebunden, mit eigenen Daten verknüpft, hochgradig interaktiv und bestechend einfach überzeugt als Idee. Mashup-Editoren wie Yahoo Pipes ergänzen dieses Bild des Mashup-Webs als «Entwicklungsumgebung» für beinahe jedermann.
So verlockend die Aussichten, so bedenklich ist allerdings die Sicherheitslage: für Mashups wurden Browser nicht gemacht. Ihre Ausführungs- und Sicherheitsmodelle sind ungeeignet, womit auch bekannteste Mashups mitunter nur dank «übler Hacks» erst funktionieren. Kurzum, aufgrund fehlender Kapselung gehören Mashups nicht einmal in die Nähe vertraulicher Daten.
Besonders interessant und offensichtlich herausfordernd wird das Thema Mashups, wenn man es auf seine Bedeutung innerhalb der Unternehmens-IT untersucht. Hier ist das Potential einfacher ad-hoc Daten- und Applikationsintegration fraglos immens. Schliesslich leben hier verknüpfenswerte Daten nur allzu oft in von einander abgeschotteten Silos. Bereits der durchgängige Einsatz eingeschränkter Mittel wie RSS birgt im Enterprise-Umfeld grosse Möglichkeiten in sich.
Werden News und Updates aus internen wie externen Applikationen, Verkaufs-, Produktions- und Officeapplikationen, Mail, Finanz- und Newsmeldungen, Kollaborationsplattformen und dergleichen integrierbar, kombinierbar und ad-hoc individuell darstellbar, so lassen sich Arbeitsplätze beträchtlich optimieren. Dies bildet die Basis für ein «Web 2.0 im Unternehmen», für anpassungsfähige «social software», die die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern, aber auch zwischen Firma und Kunde grundsätzlich vereinfachen und natürlicher gestalten.
Das offene, zumeist werbefinanzierte konsumentenorientierte Web 2.0 wird zum Treiber für Innovation auch im Enterprise-Umfeld: «Web Oriented Architecture», «Enterprise 2.0» und andere Buzzwords stehen als Beispiel für einen gemeinsamen Übertrend, die «Consumerization of IT». Während die erste Generation der mit Web aufgewachsenen jungen Menschen auf den Arbeitsmarkt strömt, verschieben sich Wahrnehmungen und Ansprüche an Offenheit, Einfachheit und «Remixability» von Firmendaten und -applikationen. Die an den individuellen Konsumenten gerichteten Angebote des Webs ausserhalb der Firewall ist in vielen Aspekten derart weit voraus, dass der Innovationsdruck auf Corporate IT stetig steigt. Arbeit und Privatbereich vermischen sich, entsprechend sind die Konsequenzen auch für die IT.
Aus Unternehmenssicht stellen sich dabei neben der vielschichtigen Sicherheitsproblematik vor allem klassische Fragen der Daten-Applikationsintegration, wie sie für alle Mashups gelten:
- Datenqualität: Wie lassen sich Quellen unterschiedlicher Güte und Verlässlichkeit miteinander sinnvoll und transparent verknüpfen?
- Datenformate: Welche der sich herausbildenden leichtgewichtigen Standards sind zu unterstützen? Wie lassen sich mit RSS, ATOM oder JSON die Komplexität und Anforderungen des Unternehmensumfelds beherrschen?
- Performance: Wie reagieren Systeme und Datenbanken auf die neuen Interaktionsmuster, die Ajax-gestützte Mashup-Applikationen mit sich bringen können?
- Semantik: Was meinen diese Daten? Gibt es Referenzmodelle, Ontologien, für das Mapping unterschiedlicher Datenquellen, oder ist jedes einfache Mashup harte Handarbeit?
Festzuhalten bleibt: Mashups bringen das bewährte Prinzip der Collage ins Web, und liegen dabei als Basistechnik des «Web 2.0» auf der Linie des grossen Trends der «Consumerization» der IT und der andauernden Erfolgsgeschichte offener Standards und Schnittstellen mit Webtechnologien. Wie die Lehren erfolgreicher Mashups auf Firmenapplikationen anzuwenden sind, wie und wie rasch die für Mashups zentrale technologische Transformation hin zu einem «Web of Data» oder «Semantic Web» vonstatten geht und wie sich «Mashupbarkeit» im Wettstreit um Aufmerksamkeit gewinnbringend einsetzen lässt, sind die aktuellen Kernfragen. In den richtigen Antworten liegt ein enormes Potenzial.
- www.programmableweb.com | Verzeichnis von Mashups und Mashup- Komponenten
- pipes.yahoo.com | Mashup Entwicklungsumgebung von Yahoo
- editor.googlemashups.com | Mashup Entwicklungsumgebung von Google
- blogs.zdnet.com/Hinchcliffe | Enterprise 2.0 Blog von Dion Hinchcliffe
- ocal.ch | Die lokale Suchmaschine für die Schweiz ist ein Mashup
- radar.zhaw.ch | Schweizer Mashup mit Flugbewegungsdaten
- trulia.com | Beispielhaftes Immobilien-Mashup für die USA
- microformats.org | Einfacher offener Datenaustausch für das Web
- www-306.ibm.com/software/info/mashup-center | Enterprise Mashups
Hannes Gassert ist CTO der Liip AG (Fribourg/Zürich/Bern) und Vorstandsmitglied von /ch/open