Noch vor 50 Jahren war die Situation klar: Schulwissen war das, was in den Schulbüchern stand, gelernt werden musste und von Bildungsbürgern auch später jederzeit im Kopf abgerufen werden konnte. Jahrzahlen der Schweizer Geschichte – 1291, 1386, 1798 – gehörten dazu, und auch die Rütliszene aus Friedrich Schillers «Wilhelm Tell». Damit war für die Schüler auch klar, dass Wilhelm Tell gelebt und den Apfelschuss tatsächlich getan hat.
Heute hat sich die Situation mehrfach verändert. Wir leben zu Beginn der «Informationsgesellschaft». Dies zeigt sich in der zunehmenden Menge an Informationen, die auf uns einströmen (Beispiel: Vor 50 Jahren gab es ein einziges Fernsehangebot an nur sechs Abenden in der Woche, heute sind beliebig viele Sender 24 Stunden zugänglich über Sendemasten, Kabel, Satelliten, Internet). Und bereits Schulkinder verfügen mit dem Handy über Zugang zu zweifelhaften Informationsquellen (Gewalt, Porno) und Spielmöglichkeiten (Schiessereien), von denen ihre Eltern oft keine Ahnung haben. In den Schulzimmern tummeln sich derweil Kinder aus vielen Nationen, denen Wilhelm Tell kaum etwas bedeutet, egal, ob er nun gelebt hat oder nicht.
Herkömmliches, vorfixiertes Schulwissen hat weitgehend ausgespielt. Unsere Schulen haben sich längst verändert. So lernen Kinder schon in der Volksschule in Projekten zu arbeiten, wo sie selber «Material» zusammensuchen müssen, etwa zum Thema «Bär» oder «Erdöl». Material heisst hier «Information», und als Quelle sind Bücher oft bereits abgelöst durch Internet im Schulzimmer.
Google und Wikipedia liefern sofort, wenn man etwas wissen möchte. Für Bücher müsste man ja in die Schulbibliothek marschieren und hätte allenfalls Pech, wenn gerade jemand anders das gesuchte Buch ausgeliehen hat.
Kein vernünftiger Mensch will das Rad der Zeit hier einfach zurückdrehen. Zum heutigen Schulwissen gehört definitiv auch der Umgang mit modernen Arbeitsmethoden rund um Computer und Internet; zum Ausgleich steht weniger Zeit für das Auswendiglernen zur Verfügung. So weit, so gut. Wir müssen uns aber auch bewusst sein, dass damit unsere Schule noch weitere neue Aufgaben erhält. Auch dazu ein paar Beispiele:
- Kinder müssen heute schon früh lernen, mit der Informationsüberflutung umzugehen. Was ist wirklich wichtig, was ist hilfreich, was hat keinen Nutzen?
- Grössere Kinder müssen lernen, Falsch- und Verführungsinformationen zu erkennen. Das alte «Schulbuch» enthielt nur vorgeprüftes Wissen, das WWW leider nicht.
- Alte Lernkontrollmethoden – Abfragen von Schulbuchwissen – haben ausgedient. Heute ist zu prüfen, ob die Schüler den Umgang mit der Informationsflut (richtiges Suchen und Auswählen) und mit bösartigen Einflüssen (von Falschinformationen bis zu Computerviren) beherrschen. Schwierige Prüfungen.
- In schriftlichen Arbeiten – vom Aufsatz bis zu wissenschaftlichen Papers – plazieren clevere Leute zunehmend Texte, die sie aus dem Web herauskopiert haben. Wie können Lehrkräfte dies erkennen und bekämpfen?
Die Liste kann verlängert werden. Die heutige Schule hat in der Informationsgesellschaft neue, wichtige Aufgaben erhalten. Wir müssen ihr dabei helfen, alle an ihrer Stelle, als Eltern, als Behördenmitglieder, als Praktikumspartner, als Bürgerinnen und Bürger.