RIA hält Kunden bei der Stange

Eine neue Generation von Web-Applikationen vereinen das Beste aus der Desktop- und Internet-Welt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/11

     

Im Internet ist Kundenbindung eine schwierige Sache: Besucher von Webseiten sind ungeduldig, Produktinformationen müssen schnell verfügbar und aktuell sein. Wenn Bestellvorgänge nicht schnell und einfach funktionieren, ist ein Kunde so schnell von der Webseite verschwunden, wie er gekommen ist. Rich Internet Applications (RIA) sind in der Lage, die Kundenbindung massiv zu stärken.


Schon eine oberflächliche Stichprobe im Internet zeigt, dass die meisten Webseiten auch heute noch in erster Linie statische Daten anzeigen, also als reine Informa­tionsvermittler fungieren. Schwierig wird es, sobald eine Interaktion des Benutzers gewünscht wird, wie dies bei
E-Commerce-Anwendungen, Anmeldungen, Registrierungen oder Buchungen, bei der Suche nach Produkten oder der zeitabhängigen Datenvisualisierung und -bearbeitung der Fall ist. Einfach gestrickte Webseiten verwalten dieses Benutzer-Interface meistens auf dem Server. Der Client fordert also nach jeder Interaktion die komplette Seite wieder auf dem Server an. Das kostet Bandbreite und strapaziert die Geduld des Benutzers.



Webanwendungen der nächsten Generation, die sogenannten Rich-Internet-Anwendungen (RIA), bieten sich hier als Lösung an, um eine wirkungsvolle Interaktion mit den Kunden zu erzielen. RIAs sind Webanwendungen, die die gleichen Eigenschaften und Funktio­nen bieten, wie man sie üblicherweise von Desktop-Programmen kennt. Im Unterschied zu letzteren findet die tatsächliche Datenverarbeitung jedoch nicht auf dem eigenen System statt, sondern im Netz auf einem Applikationsserver. Lokal werden User-Interface und Vorverarbeitungsmöglichkeiten installiert.


Verarbeitung asynchron im Hintergrund

Der Benutzer hat damit das Gefühl einer persönlichen Applikation. So kombinieren RIAs die Bedienfreundlichkeit einer intelligenten Desktop-Anwendung mit der hohen Reichweite von Weblösungen.

Plattformunabhängige Laufzeitumgebungen wie AIR (Adobe Integrated Runtime) ermöglichen den Aufruf von Applikationen direkt aus dem Web und deren Ausführung auf dem Desktop. Ladezeiten im Web werden reduziert, so dass Benutzer unmittelbares und direktes Feedback erhalten und eine echte Interaktion möglich ist. RIAs können zudem integrierte Logik enthalten und mit den Backend-Systemen eines Unternehmens kommunizieren.



Ein Grossteil der Benutzeranfragen kann durch die Anreicherung der Client-Logik direkt im Browser verarbeitet werden, ohne einen Request an den Server stellen zu müssen. Das führt zu einer erheblichen Reduzierung der CPU-Auslastung beim Server. Aspekte wie Session-Management, Transaktionshandling oder Caching können vom Client übernommen werden; die Webapplikation wird zum intelligenten Client. Der Server dient nunmehr ausschliesslich als Datenlieferant. Während der Interaktionen des Benutzers kann im Hintergrund die asynchrone Verarbeitung stattfinden, ohne dass die Webseite neu geladen werden muss.


Medienbrüche werden vermieden

In der Vergangenheit bewirkte der Umgang mit grossen Datenmengen im Browser erheblichen Entwicklungsaufwand, um gleichzeitig ein performantes Verhalten zu gewährleisten. Schnittstellenkomponenten für Standardfunktionen wie Navigation oder Sortieren von Datenmengen mussten aufwendig selbst implementiert werden.

Durch die Möglichkeit der Nutzung eines geeigneten Frameworks lassen sich diese Aufwände dra-s­tisch reduzieren. Rich-Web-Applikationen bilden damit eine neue Generation von Webanwendungen, die zwischen klassischen Webappli­kationen und Client- beziehungsweise Desktop-Applikationen angesiedelt sind. Mit zusätzlicher Client-Funktionalität, erhöhtem Bedienkomfort und neuem Look rufen Webapplika­tionen ein angenehmeres Benutzererlebnis hervor und kommen dem «Look & Feel» einer Desktop-Applikation im Web ein gutes Stück näher.



Gute Rich-Internet-Anwendungen haben den Vorteil, dass sie sofort auf Benutzereingaben reagieren, sich also ähnlich schnell wie eine Desktop-Anwendung verhalten und idealerweise komplett in dahinterliegende Systeme integriert sind. So werden bei Datenübertragungen Medienbrüche vermieden: Im Gegensatz zu Papierformularen, bei denen die Daten erneut erfasst werden müssen, verarbeiten Online-Systeme die Daten über den gesamten Prozess hinweg digital. Die Oberflächen lassen sich im Corporate Design des jeweiligen Unternehmens für eine intuitive Bedienung gestalten, so dass Benutzerführung, Design und eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit zu grosser Akzeptanz und hohem Wiedererkennungswert bei den Kunden führen.


RIAs bestens geeignet für Produktivitätsapplikationen

RIAs tragen bei Online-Geschäften wie Verkäufen oder Vertragsabschlüssen dazu bei, dass weniger Transaktionsvorgänge abgebrochen werden und mehr Verträge oder Käufe getätigt werden. Sie erhöhen so die Kundenbindung signifikant. Besonders geeignet sind Anwendungen, die Prozesse und Daten miteinander verknüpfen, also beispielsweise der Abschluss von Versicherungsverträgen. Allgemein ausgedrückt: Dynamische Inhalte oder andere komplexe Prozesse sind besonders für RIAs geeignet. Dagegen ist es nicht sinnvoll, statische Informationen, die über längere Zeiträume gültig sind, mit einer RIA zu nutzen.



Rich-Internet-Anwendungen eignen sich hervorragend für Produktivitätsapplikationen, Datenvisualisierung, High-Usability-Anwendungen, Echtzeit-Interaktivität und Multimedia-Applikationen. Erfolgreiche Anwendungsbeispiele dafür sind e-Procurement-Portale, Online-Shops, Produktfinder und Produktkataloge, Online-Rechner und Buchungsapplikationen.


Auch Entwickler werden produktiver

Ein wesentlicher Vorteil von Rich-Internet-Anwendungen ist beispielsweise eine hohe Zufriedenheit des Benutzers, da sich ihm eine durchgängige Anwendungssicht präsentiert. Dies reduziert die Anzahl der Schritte und vermeidet das Laden mehrerer Seiten. Auch die Entwickler profitieren von Rich Internet Applications:

Durch benutzerfreundliche Tools, vordefinierte Vorlagen und Komponenten sowie schnellere server- und clientseitige Skriptsprachen wird die Produktivität des gesamten Entwicklungsteams gesteigert. Darüber hinaus halten sich finanzielle und entwicklungstechnische Risiken in Grenzen dank der nativen Unterstützung für führende Internet-Industriestandards wie Java J2EE und .NET. Zudem sinken durch RIAs auf längere Sicht die Betriebskosten, da sich durch Auslagerung der Verarbeitung auf den Client die Bandbreitennutzung und die Serverbelastung verringern lassen.



Nachteile beim Einsatz von Rich Internet Applications gibt es nicht wirklich. Ihre Entwicklung und der damit verbundene Aufwand sind sicher anders als der für bisherige Webapplikationen, aber nicht grundsätzlich aufwendiger. Allenfalls müssen sich die Unternehmen mit einigen neuen Technologien vertraut machen. Bestenfalls schlagen höhere Anforderungen an die Rechenleistung des Clients zu Buche, doch ist die Leistung der Desktop-PCs heute im allgemeinen hoch genug.


Verbesserung der Kundenbeziehungen

Die Zufriedenheit von Kunden und die daraus entstehende Kundenbindung sollten bei den Geschäftszielen künftig oben an stehen. Adobe und EIU (Economist Intelligence Unit – der Geschäftsbereich «Forschung und Beratung» der Economist-Gruppe) haben in einer Studie weltweit 300 Führungskräfte zum Grad der Kundenbindung in ihren Unternehmen befragt: Die meisten Teilnehmer sehen Technologien wie elektronische Formulare, interaktive Webseiten und Multimedia­-Lösungen als wichtiges Mittel zur Verbesserung von Kundenbeziehungen.


Sachversicherungen, Haftpflicht-, Unfall- und Motorfahrzeug-Versicherungen sind im Antragsprozess meist einfacher abzuwickeln als Lebensversicherungen. In einem Schadensfall wird der Prozess jedoch komplexer. So sind die Schadensgutachter im Aussendienst, aber auch die Schadensregulierer im Innendienst auf Bilder, Erläuterungen und Querverweise zu Durchschnittswahrscheinlichkeiten zum Schaden angewiesen.



Oftmals ist es sinnvoll, weiter entfernte Experten über Kollaborations-Technologien einzubinden, um komplexere Fälle gemeinsam kostengünstiger und kompetenter lösen zu können. Mit einer auf Basis der Entwicklungs- und Implementierungslösung Adobe Flex 2 entwickelten RIA ist es beispielsweise möglich, einen Schaden an einem Motorfahrzeug in der Werkstatt online zu begutachten. Über eine Webkamera ist der Schadensregulierer beim Versicherer live dabei. Ergänzend lassen sich kontextsensitiv statis­tische Daten und Preise für Ersatzteile und Arbeitszeiten sofort einblenden.


Online-Cockpit für Versicherungen

Lebensversicherungsprodukte sind erheblich erklärungsbedürftiger als Kompositversicherungen und deshalb auch schwerer über Beratungsdialoge und Self-Service-Anwendungen im Internet vertreibbar. HTML-basierte Implementierungen müssen Beratungs- und Antragsseiten oft aktualisieren. Dies führt bei längeren Prozessketten zu verwirrenden Dialog-Folgen und hohen Abbruchraten. Die RIA-Technologie bietet hier eine völlig neue Form der direkten Interaktion ohne mehrstufigen Seitenaufbau. Eine Sofortanbindung von Backoffice-Funktionalitäten wie Tarifrechner oder Plausibilitäten ist möglich, und das Warten auf das Zusammentragen, Berechnen und Aufbereiten der Daten entfällt.



Mit Hilfe von «Schiebe-Reglern» schliesst der Anwender Bedarfslücken interaktiv und bildlich in Echtzeit. Für den Lebensversicherungsinteressenten stellt sich der Angebots- und Antragsprozess als erlebbares Cockpit dar, mit dem er in Echtzeit seine Risikoabsicherung konfiguriert. Dies tut er vielleicht sogar gemeinsam mit einem Finanzberater online. Per Drag & Drop lassen sich Tarifbausteine und Zusatzversicherungen auf dem Bildschirm direkt verschieben, ähnlich wie bei Desktop-Anwendungen, wobei die wertmässigen Auswirkungen sofort während des «Ziehens» dargestellt werden.


Zufriedene Kunden und hohe Prozesseffizienz

Internetnutzer honorieren ganz allgemein die Möglichkeiten, die sich ihnen durch Rich Internet Applications bieten – und dies ganz unabhängig vom Alter. Das lässt hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, weil alle Prozesse, in die Kunden eingebunden werden können, einen positiven Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit haben. Weniger abgebrochene Transaktionen bedeuten zufriedenere Kunden. Ein positives Besuchs- oder Bestellerlebnis erhöht die Kundenbindung. Geringere Fehlerquoten und dadurch weniger Nachbearbeitung der Daten macht Prozesse effi­zienter. Auf längere Sicht sinken die IT-Entwicklungskosten, da keine parallele Desktop-Applikation erforderlich ist. Rich-Internet-Applikationen, gut durchdacht und richtig programmiert, sind ein Gewinn für beide Seiten – Kunden und Unternehmen.


Der Autor

Markus Dobbelfeld ist Senior Marketing Manager Schweiz und Österreich bei Adobe Systems.




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